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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Spiegel los, vor dem sie so lange an sich geordnet hatte, und trat in dem Augenblick in den Saal, wo ihr Vater nach ihr rief.

Kein Erschrecken noch Verwundern, nur der Verklärungsglanz bestätigter Erwartung und eines süßen Entzückens flog über ihr Antlitz als sie diese Gruppe gewahrte, und diese Mittheilung ihres Vaters vernahm – sie reichte Bertram die Hand und sagte mit holdem Lächeln:

„Ich habe Dich gestern Abend gleich erkannt – ich wartete schon lange auf dich – Du hattest es ja versprochen, daß Du einst wiederkommen wolltest – und ich wußte, Du hieltest Wort!“

Bertram küßte ihre Hand und hörte ihre Rede mit dem höchsten Entzücken, aber das schwesterliche Du von Einst vermochte er nicht zu erwiedern, weil der Jungfrau andere Wünsche seines Herzens galten, als die einer brüderlichen Neigung. Freudig rief er:

„So habt Ihr mein Andenken bewahrt und ich bin Euch und diesem Hause kein Fremder geworden?“

„Du siehst es ja,“ antwortete Herr Meßmann, „und nun komm und erzähle bei Tafel uns und unsern Gästen, wie es Dir indessen gegangen.“ Und damit hieß der Hausherr sich Alle zur Tafel zu setzen und Bertram mußte nun den Ehrenplatz haben zwischen ihm und seiner Tochter.

Bertram erzählte erst nur kurz, wie er zu jenem Geschäftsfreund Herrn Meßmann’s nach Riga gegangen und wie er in dessen Dienst immer weiter aufgerückt sei, große Reisen in seinem Auftrag in’s Innere gemacht und manche Gefahr glücklich überstanden habe. Wie er auch auf diesen Reisen den ein Wenig veränderten Namen angenommen, der den Zungen jener Barbaren geläufiger gewesen als der deutsche, den ihm Herr Meßmann gegeben. Sein Herr sei sehr mit ihm zufrieden gewesen, habe ihn ganz mit in das Geschäft genommen und vor einigen Jahren bei seinem Tode ihn zu seinem Erben eingesetzt. Seitdem habe er unter dem neuen Namen die Verbindung mit Herrn Meßmann angeknüpft, und nie etwas Anderes im Sinne gehabt, als einst zu ihm und in sein liebes Lübeck zurückzukehren. Nun habe er all’ sein Gut in Liefland verkauft und wolle hier sich niederlassen. – Aber dies Alles bereitete Herrn Meßmann große Freude, Mächthilde hörte in seligem Verstummen zu und die Gäste konnten nicht müde werden, Bertram zu immer neuen Erzählungen seiner Abenteuer aufzufordern.

Endlich, da man die Tafel aufgehoben, eilte Mächthilde in den Garten, wo unter einer Eiche, die Bertram einst gepflanzt hatte, ihr Lieblingsplätzchen war. Hier saß sie lächelnd und mit gefalteten Händen – als Bertram plötzlich neben ihr stand.

Sie erschrak und erröthete bei seinem Anblick.

„Kennt Ihr die Eiche?“ sagte sie, um hinter ein paar Worten ihre Verwirrung zu verbergen – aber sie wagte jetzt auch nicht im Alleinsein mit ihm das vorige schwesterliche Du zu gebrauchen.

„Da ich sie pflanzte,“ antwortete Bertram, „waret Ihr noch so klein, daß ich Euch auf meinen Armen tragen konnte. – Mächthilde, habt Ihr auch so oft wie ich an diese Zeit gedacht?“

„Bertram – ich war recht böse, daß Ihr gegangen,“ sagte sie und schlug die Augen nieder, „obwohl ich später einsah, daß es so sein mußte – aber daß Ihr auch nicht mehr geschrieben, konnt’ ich Euch nicht vergeben!“

„Das mußte auch sein,“ sagte er, „aber vergebt Ihr’s denn nicht jetzt? Ich muß Euch an Euere Wort mahnen – seht diesen Talisman trag’ ich immer bei mir!“ und er zog aus seiner Brieftasche ein vergilbtes Pergamenttäfelchen hervor – es war der Brief, den sie ihm nach seinem Weggange geschrieben und deutete auf die Worte: „Ich vergebe Dir, daß Du fortgegangen, wenn Du einst als ein großer Mann wiederkommen willst. Aber ich weiß es, Du wirst wiederkommen – und dann lasse ich Dich niemals wieder fort!“

„Wirst Du Wort halten!“ fragte er leise.

Aber statt der Antwort nahm sie eine große goldene Kapsel von ihrem Busen, in der ein ähnliches Blättchen verwahrt ruhte – es war Bertram’s Brief an sie. „Das ist nie von meinem Herzen gekommen!“ sagte sie.

Da war Bertram seiner nicht mehr mächtig – in seliger Wonne schloß er die erglühende Jungfrau an seine Brust – sie wußte nicht, wie ihr geschah, und tauschte willig mit ihm den Verlobungskuß.

„Sag’ es meinem Vater,“ bat sie dann.

Und Bertram ging zu Herrn Meßmann, um bei ihm in aller Form um die Hand der Tochter zu werben, der erschrak, machte ein betrübtes Gesicht und antwortete: „Wie gern legt’ ich ihre Hand in Deine – aber sie schlägt alle Bewerber aus – willst Du Dein Heil bei ihr versuchen, so thu’ es – aber ich kann Dir keine Hoffnung geben –“

Bertram lächelte und holt Mächthilde herbei, die im Nebenzimmer wartete – „Vater,“ sagte sie schmeichelnd: „Hast Du es denn nie gemerkt, daß ich nur deshalb zu allen Freiern „nein“ sagte, weil ich keinen so lieb haben konnte wie Bertram, den ich niemals vergaß!“

Herr Meßmann staunte nicht wenig – aber weil er jahrelang nichts gemerkt, wollte er jetzt zeigen, daß er auch schlau sein könne und sagte: „Und so hast Du wohl gestern den Bootsmann erkannt und Dich für ihn heute so geputzt, daß ich gar nicht wußte, was mit Dir vorgegangen und Du alle Gäste bei Tafel warten ließest wie sonst niemalen!“ Aber wie er nun auch neckisch schalt, so war doch heute sein glücklichster Tag, er segnete das Brautpaar mit fröhlichem Herzen und gab zum Abend wieder ein großes Gastmahl, bei dem er den Gästen die Verlobung verkündete.

In Lübeck aber hat es lange kein schöneres, edleres und glücklicheres Paar gegeben als dieses.

Im Jahr 1222 ist Herr Bertram Morgenweg auch in den Rath zu Lübeck erkoren worden und hat daselbst das große Haus zum heiligen Geist gestiftet, welches noch steht. Darin wurden an die hundert armen Leute gespeist, außer dem Koch, Küchenjungen, Bäckern, Bräuern und Mägden, welche zur Pflege der Armen dienen. Auch hat er stattliche Dörfer und Güter und Aecker für die Stadt gekauft, damit von dem jährlichen Einkommen die Armen verpflegt würden, die Kranken aber täglich ein Plank Wein und je zwei ein gebacknes Huhn bekämen. Endlich hat er der Sicherheit wegen 14,000 Stück Geldes in allerlei alten Münzen den beiden ältesten Bürgermeistern als Vorstehern übergeben, damit unvorhergesehener Schade und Unheil davon und nicht von den andern Zinsen gebessert werden möchte.

Das Geld freilich ist längst verbauet.

L. O. 




Hospital-Scenen vom Kriegsschauplatze.
Mit Portrait der Miß Florence Nightingale.

Skutari am Bosporus, Constantinopel gegenüber auf der asiatischen Seite, 350 englische Meilen über das schwarze Meer hin vom Kriegsschauplatze, ist das Hauptlager der englischen Verwundeten. Ueber tausend liegen im Haupthospitale längs großer steingepflasterter Gänge und Corridore, 2500 in der zum Hospitale umgewandelten großen, prächtigen, türkischen Kaserne, 700 mußten in den Schiffsrumpfen bleiben und 700 nach Abydos geschickt werden. Im Ganzen haben diese Hospitäler die unglaublichsten und unmenschlichsten ihrer Schrecken, die anfangs lange darin wütheten, verloren, seitdem außer etwa hundert Aerzten, 86 englische Frauen und Mädchen darin als Krankenpflegerinnen walten. Diese Töchter Englands, größtentheils aus gebildeten Ständen und guten Vermögensverhältnissen freiwillig aus tiefem, ächten, weiblichen Erbarmen zu ihrer neuen Mission getrieben und mit zarter, sorgsamer Hand lindernd und heilend, was das englische Militärsystem an noch heilbaren Wunden geschlagen, sind unter dem Vorstande und der Leitung von Miß Florence Nightingale, eine tröstliche und eigenthümliche Erscheinung zwischen den blutigen Schreckensscenen des Krieges. Es sind zarte, englische, sentimentale Damen, welche die zum Theil scheußlichen Wunden von 4200 verstümmelten Soldaten pflegen und außer körperlicher Erquickung mit sanftem, aber zu Herzen gehenden Zuspruch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_074.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)