Seite:Die Gartenlaube (1855) 057.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 5. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Treue Liebe.
Miniaturbild aus alten Zeiten von Elise Polko.


Es war noch früh am Tage im kühlen Octobermond und doch standen schon viele Verkäufer auf dem großen Marktplatz der reichen mächtigen Handelsstadt Brügge. Nun rede ich aber nicht von dem heutigen Brügge, das so still und ernst in dem blühenden Garten Belgiens steht wie eine zerbrochene Statue, ich meine jene berühmte Stadt des 14. Jahrhunderts, jenen hellfunkelnden Edelstein der Provinz Westflandern, nach dessen Besitz es damals gar manchen hohen Herrn nicht wenig gelüstete. Von den reichen Wochenmärkten der damaligen Zeit weiß auch das heutige Brügge nichts. Ungeheure Wagen voll des köstlichsten Gemüses standen dicht neben einander in langen Reihen, herrliches Obst war massenhaft aufgehäuft, weiterhin hatte man breite Tische aufgestellt mit Blumen von allen Farben, und endlich waren lange Tafeln zu sehen mit Körben und Käfigen voll Geflügel aller Sorten und Bergen von frischen Eiern. – Einzelne Mägde in weißen anliegenden Hauben und blendenden knapp übergesteckten Brusttüchern schritten mit ihren saubern Körben daher, prüften und handelten mit den derben Bauern. Hier und da trippelte auch schon eine sorgliche Hausfrau herbei, das Beste zu wählen und die Vorräthe zu mustern. Ernste Männergestalten in großen Halskrausen und Ehrenketten und schwarzen Talaren wandelten dem Rathhause zu, Mädchenblumen in langen faltigen Gewändern, den Rosenkranz in den Händen, schwebten gesenkten Blicks vorüber, – denn die Glocken der hohen Liebfrauenkirche und der Jerusalemerkapelle läuteten zur Frühmette, und dazwischen rief, hell wie eine Kinderstimme, das Glöckchen des St. Johannishospitals die frommen Nonnen zur Andacht.

Vor dem letzten Platze an einer der langen Tafeln lehnte ein Knabe von etwa vierzehn Jahren, ein Korb voll wohlgemästeter Gänse gehörte ihm. Der junge Gesell stand aber neben den schnatternden unruhigen Thieren wie einer der träumt, das feine blasse Gesicht war sehr ernst und die großen dunkeln Augen schauten weit – weit weg. – Wohin? das wußte er wohl selbst nicht. – – Seitwärts von ihm saß auf einer umgestürzten Tonne sein Vater, die kurze Pfeife im Munde, ein großer Bauer aus dem Dorfe Damm. Man nannte ihn nur „der lange Hans von Damm.“ Bei ihm kaufte man immer gute Waare, er ließ aber um keinen Deut mit sich feilschen, man mußte willig zahlen was er forderte, und das war auch nie zu viel, meinten alle Leute, nur die reiche Frau Vandermer meinte es nicht und zankte sich an jedem Markttage mit dem langen Hans herum. Eben kam sie herangewackelt, die dicke Goldschmidtswittwe, in dem großblumigen Damastkleide und der pelzbesetzten weiten Contusche, in der seidnen Kaputze, aus der ein weißer Haubenstreif und ein rothes mürrisches Gesicht hervorsahen. Ihre fetten Hände steckten in einem großen Muff, und die hinter ihr hertrabende Magd trug den Korb und nickte schon von Weitem schlau lächelnd dem dammer Bauern zu. – „Mafraw" trat heran, besah und befühlte eine Gans, wog sie in der Hand, drehte sie um und um, hielt sie in’s Licht und in den Schatten, kehrte fast jede einzelne Feder um und fragte endlich mit scharfer Stimme nach dem Gebot. Kaum hatte sie’s aber vernommen, als sie in gewohnter Weise losfuhr, schier außer sich gerieth und das schöne Thier mager und krank nannte. Der lange Hans wurde gar grob. „Mafraw" erwiederte herzhaft jede derbe Rede und kreischte gewaltig. Da blieb denn bald Der bald Jener stehen, wo Einer steht, da kommen Andere dazu, es sammelten sich allmälig viele Leute um das zankende Paar – die geizige Frau Vandermer war ja in der ganzen Stadt bekannt. – Plötzlich schrie aber die junge Magd ganz hell auf: „Ach, da ist ja das leibhaftige Conterfey von Mafraw!" – Man hörte verwundert, drängte sich dichter zusammen, machte lange Hälse, – ein Gemurmel erhob sich – dann aber brach ein Lachsturm aus, so gewaltig, so unaufhaltsam, daß noch mehr Menschen herbeigelaufen kamen und selbst die Verkäufer ihre Plätze verließen und schrien und jubelten. – „Mafraw" allein stand mit geballten Fäusten und schäumend vor Wuth in Mitte der allgemeinen Freude und überschüttete mit Scheltworten den Urheber des Auflaufs, den hübschen Knaben. – Der hatte nämlich während des Gezänks mit einem Stückchen Kohle auf die letzte Ecke der Tischplatte die ganze Gruppe in rohen Umrissen aufgezeichnet und den Kopf und die Haltung der Alten so treu, so sprechend, oder vielmehr so keifend wiedergegeben, daß niemand dies Conterfey ohne Heiterkeit anzublicken vermochte. „Mafraw" wollte zwar zu wiederholten Malen darauf losfahren, um die Striche zu verwischen, aber hundert Arme streckten sich aus, die Zeichnung zu schützen. Eben als der Tumult am heftigsten war, schritt ein hoher, mild blickender Mann langsam über den Marktplatz. Er trug einen braunen Sammetüberwurf reich mit Pelz verbrämt und ein schwarzes Barett auf den lang herniederwallenden hellen, schon silberschimmernden Haaren. Junge Männer in ähnlicher Tracht gaben ihm mit dem Ausdruck höchster Ehrfurcht das Geleite. Ein Flüstern durchlief die Menge als er nahte.

„Was geschieht hier“ fragte er sanft. Man machte ihm sogleich Platz und er trat an den Tisch. Da stürzte aber der Knabe vor, warf sich dem Fremden zu Füßen und rief:

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_057.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)