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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

leihen, daß die wirklichen[WS 1] genialen Erfinder erst nach dem Tode anerkannt werden. –

Einen andern kuriosen Kauz, dessen Fach Sie gewiß nicht in Paris vertreten wähnen, muß ich Ihnen in der Gestalt eines Herrn Deshaies vorstellen. Er ist ein sterbliches pariser Kind und kam wie Kant nie aus der Stadt hinaus, die er sich zur Residenz gewählt hatte; aber er kann, was man so nennt, Schlangen bezaubern, ganz so wie ein Birmane, ein Malaye oder ein schwarzer Kerl von der Küste von Mozambique. Wenn man ihn fragt, wie er zu diesem Talente gekommen ist, so versetzt er bescheiden: „durch die Bücher.“

Der alte Deshaies hat eine vollständige Sammlung aller kriechenden Thiere der Wälder Frankreichs; er schließt Freundschaften mit ihnen, nährt sie, pflegt sie, liebkoset und hätschelt sie; er hat ihnen kleine, hübsch warme Nester gemacht, worin sie es ganz bequem und behaglich haben. Darin besteht nun seine Industrie. Er verkauft den Garköchen Buschaale, wie die Leute sagen, und diese machen daraus prächtigen Backfisch.

„Wenn man ihm einmal die Haut heruntergezogen hat, so kommt meinem Buschaale kein Flußfisch gleich.“

Der alte Deshaies läuft daher die ganze schöne Jahreszeit in den Wäldern herum, wie ein Waldheger. Ueberhaupt sieht er aus wie eine Figur aus Cooper’s Romanen und benimmt sich auch so. Wenn er lacht, so geschieht das ganz leise; er spricht leise und tritt leise auf, als wenn er Furcht hätte, seine Beute zu verscheuchen. Sein Gang ist leicht wie der einer Gazelle, seine Arme breitet er immer aus, als suche er beständig die Baumäste auseinander zu thun; er hat ein feines, leuchtendes und durchdringendes Auge. Alle seine Sinne sind außerordentlich ausgebildet; sein Geruch und sein Gehör sind wunderbar; er erräth instinktmäßig die Nähe einer Blindschleiche; selbst seinen Anzug hat er nach dem amerikanischen Romandichter copirt.. Er trägt hohe Kamaschen von Leder, eine kurze flaschengrüne sammetne Hose, eine Art Latz von Rehleder, und auf seinem kleinen Fuchsschädel sitzt ein breitkrämpiger Hut, am Gürtel hängt seine einzige Waffe, ein kleines sichelartiges Messer.

„Ihr Handwerk muß Sie sehr anstrengen,“ bemerkte ich einmal.

„Ah, nicht mehr als die Jagd, und diese amüsirt manche Leute,“ versetzte er. Was mich betrifft, so freut mich der Betrieb meiner Profession. Ich war dazu geboren; in meinem Körper hat sich eigentlich eine Ogibewas-Seele verirrt; ich weiß selbst nicht, wie sie nach Paris gekommen ist. Ich habe die Gehölze, die Einsamkeit sehr gern, meine Nächte bringe ich eben so bequem am Fuße einer Eiche zu, als im besten Bette von der Welt.“

„Und damit verdienen Sie viel?“

„In Paris giebt es 500 Händler mit Flußaalen, die alle ziemlich gut fortkommen, mit meinen Waldfischen mache ich ihnen Concurrenz; ich bin mit der Vorsehung zufrieden, Schlangen hat es immer genug gegeben, und wird ihrer auch immer genug geben.“

„Das ist gerade nicht sehr tröstlich für Feinschmecker.“

„Mein Gott! wenn sie nicht betrogen werden wollen, müssen Sie sich mit Ergebenheit entschließen, von Schöpsenschlegeln zu leben. Zwei Ihrer großen Gelehrten, die Herren Payen und Chevalier haben dicke Bücher über die Fälschung der Nahrungsmittel veröffentlicht, und doch haben sie nur die Hälfte der Wahrheit gesagt.“ – –

Früher habe ich Ihnen einmal von dem Fabrikanten von Lebkuchen erzählt, der vor allen Gelehrten einen Zucker erfunden hat, mit dem er seine Pfefferkuchen versüßt, ohne daß die Runkelrübe oder das Zuckerrohr nur im Geringsten deswegen belästigt werden. Heute bin ich bei Madame Badeuil gewesen, die ebenfalls um zwanzig Jahre der Wissenschaft vorausgeeilt ist. Während die Verwaltung der öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten Wasserbecken baut, worin die Blutegel ihr Blut wieder hergeben können; während man von allen Seiten mehr oder weniger lesbare Memoiren darüber druckt, hat diese Frau Badeuil, eine ganz simple Krankenwärterin, eine wirklich sehr einträgliche Industrie daraus gemacht.

Sie leiht Blutegel aus.

Madame Badeuil hat ein empfindsames Herz, sie hat die kleinen Viecher und die Leute gern; sie ist die wahre Vorsehung verlaufener Hunde und kranker Leute. Sie kann kein lebendiges Wesen leiden sehen. Daher hat sie etwas für die Blutegel gethan, diese armen kleinen Dinger, die so viel Gutes leisten und die der Mensch so schlecht belohnt!

„Herr,“ sagte sie, „wenn die Blutegel den reichen Leuten Gutes thun, so können sie den Armen nicht schaden; ich setze nämlich den Fall, daß die Reichen sich nicht etwa aus Luxus und zur puren Unterhaltung Blutegel ansetzen. Ich habe mir also oft gedacht, daß eigentlich jeder Mensch Blutegel haben sollte. Anstatt daher diejenigen Blutegel in den Abzug zu werfen, die ich meinen Kranken gesetzt hatte, habe ich sie heimlich aufbewahrt, sie gepflegt und sie das Blut wieder hergeben lassen. Jetzt habe ich ihrer sehr viele und leihe sie aus; Niemandem thun sie also weh, wie Sie sehen.“

„Freilich. Aber wie machen Sie es, daß sie sich wieder entleeren, damit sie nicht ungesund werden?“

„Das ist mein Geheimniß. Aber ich will es Ihnen schon sagen. Ich nehme eine gute Hand voll Küchensalz und werfe es ihnen auf den Rücken; dann lasse ich sie darin Etwas ausputzen, sie entleeren sich; dann gebe ich sie in eine Schüssel, die am Grunde ein kleines Loch hat, und über die ich ein Sieb lege. Das stelle ich nun unter einen Wasserbehälter und lasse aus dem Hahne desselben eine Stunde lang Wasser laufen, bis sie kein Wasser mehr hergeben. Aber jetzt kommt der eigentliche Moment: ich nehme lauwarme Holzasche, wickle sie zwischen doppelter Leinewand darin einige Male herum, bis sie keinen Flecken mehr machen und fange das Bad mit fließendem Wasser wieder an. Und das ist Alles! Ich bin fest überzeugt, daß sie wieder nüchtern sind, wenn ich sie eine Stunde später wieder in’s Glas thue.“

„Und Sie gebrauchen sie gleich den andern Tag?“

„O, nein! Sie müssen erst noch gehörig behandelt werden. Drei Tage darauf nehme ich ein Stück Thonerde, knete es gut durch, mache eine hohle Kugel daraus und sperre die Thierchen hinein. Zur Vorsicht mache ich einige kleine Löcher darein und umwickle das Ganze mit einer feuchten Leinewand, damit die Erde nicht hart werde. Meine Blutegel sehen Licht hereinbrechen, sie kriechen darauf los, sie strengem sich an, strecken sich aus, um durch die engen Oeffnungen zu gelangen und entleeren sich somit gänzlich. Wenn sie dann wieder auf meiner Leinewand liegen, so sind sie gesund und frisch als ob sie eben erst auf die Welt kamen. So kann man sie bei jedem Menschen ohne die geringste Gefahr anwenden. Ich aber will sie nicht ermüden. Daher gebe ich sie immer in verschiedene Gläser, klebe einen Zettel darauf und schreibe den Tag gehörig daran, so daß sie der Reihe nach an die Arbeit kommen; bei mir giebt’s keinen Vorrang. Sehen Sie, ich habe ihrer mehr als zweitausend; einige sind länger als zehn Jahre in meinen Diensten und doch so gut als am Anfang. Diese gebrauchten Blutegel sind eben so gut als ganz neue.“

„Wie viel zahlt man Ihnen für’s Ausleihen?“

„Fast Nichts; ich verlange nur 30 Sous für funfzehn Blutegel und für’s Ansetzen. Sie begreifen, daß ich sie Niemandem anvertraue. Diese armen kleinen Thiere gehen nie ohne ihre Herrin aus dem Hause.“

Es scheint also, daß die Erfahrung den Gelehrten Recht giebt, die behaupten, daß man die Blutegel entleeren könne. Die Verwaltung der Spitäler hat die prächtigen Maulbeerbäume des Gartens der Miramionnes umhauen lassen, um daselbst Wasserbehälter anzulegen. Wir haben fünf bis sechs Berichte über diesen Gegenstand gelesen, wir wissen aber nicht, welches System man daselbst angewendet hat. Jedenfalls empfehlen wir das der Madame Badeuil, das uns gut vorkommt und einige Aufmerksamkeit verdient, wenn nämlich eine 29jährige Erfahrung in den Augen von Gelehrten einen Werth haben kann. – –

Schließlich muß ich Sie mit einigen Worten vor der letzten Menschwerdung des Frackes, der Seidenweste und des Glanzschuhes aufhalten. Im Quartier du Temple gelangen diese Kleidungsstoffe allmälig in’s „finstere Land des Unbekannten,“ wohin endlich Alles geräth.

Wenn ein Kleid über alle Stufen der Toilette heruntergekommen ist, vom Schneider zum Kunden, dann zu dessen Bedienten oder Hausmeister, dann zum Alt-Kleiderhändler, zum Trödler, dann zu irgend einem Barriere-Stutzer, so kommt es endlich in den Temple, in diese Metropole, in diese Todtenstadt der Kleidungsstücke. Hier nun wird es gewendet, geflickt, wieder hergestellt; nur eine Phase, eine Periode muß es noch durchmachen, bevor es zum Wollenfabrikanten kommt, eigentlich zum Fabrikanten, der die Wolle damit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: weiblichen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_051.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2023)