Seite:Die Gartenlaube (1855) 038.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

und Vertheilung des aufsteigenden Saftstammes innerhalb der Pflanzen und folglich muß sich auch der Saftstrom in den Blättern in zahllose kleine Strömchen zertheilen, welche netzförmig unter einander verbunden sind. Das Emporsteigen des Saftes geschieht übrigens weder in dem gesammten Gefäßbündelsystem, noch in allen Theilen der einzelnen Gefäßbündel. Schon oben habe ich bemerkt, daß in unsern Bäumen blos der Splint, das junge weiche Holz den Saft fortführt, während das untere Holz sich dabei garnicht betheiligt. Aus dem Splint der Aeste entspringen nun freilich auch alle zu den lebensthätigen Blättern gehenden Gefäßbündel. In dem Gefäßbündel selbst scheinen vorzugsweise die gestreckten zartwandigen Zellen (die Cambiumzellen, s. Fig. A b) den Saftstrom zu leiten, weniger die eigentlichen Gefäße, welche man früherhin als die saftleitenden Röhren betrachtete und ihnen deshalb den Namen „Gefäße“ gab, sie für ähnliche Organe haltend, wie die Blutadern der Thiere. Die Gefäße betheiligen sich nämlich den neuesten Untersuchungen zufolge nur in ihrer Jugend und in unserm Klima im ersten Frühling, wenn, wie man zu sagen pflegt, „der Saft in die Bäume tritt,“ an der Fortführung des aufsteigenden Saftes, denn später erscheinen sie niemals mit Saft, sondern mit Luft oder Gasarten erfüllt.

Der aufsteigende Saft wird auch roher Nahrungssaft genannt, weil er noch nicht fähig ist, die Pflanze wirklich zu ernähren, d. h. ihre Zellen mit denjenigen Stoffen zu versehen, aus denen neuer Zellstoff gebildet werden kann. Um diese Fähigkeit zu erlangen, muß er „assimilirt“ werden, d. h. er muß eine chemische Umwandlung erleiden, durch welche die in ihm enthaltenen noch wenig oder gar nicht veränderten unorganischen Stoffe, als Kohlensäure, Ammoniak, Wasser, Kalk- und Natronsalze u. s. w. in pflanzliche Stoffe, wie Zucker, Stärkemehl, Zellstoff u. s. w. übergeführt werden. Diese chemische Umwandlung oder die „Assimilation“ des rohen Nahrungssaftes geschieht in den Blättern oder wird wenigstens daselbst eingeleitet, in Folge der Berührung des rohen Nahrungssaftes mit den durch die Speltöffnungen aufgenommenen Gase der atmosphärischen Luft. In Folge dieser Zusammenkunft werden nämlich sowohl die unorganischen Stoffe des rohen Nahrungssaftes als die aus der Luft aufgenommene Kohlensäure in ihre einzelnen Bestandtheile zerlegt und gehen unter einander neue Verbindungen ein. Bei diesem Prozesse werden große Mengen von Sauerstoff- und Kohlensäuregas entbunden, welche wieder durch die Speltöffnungen in die Atmosphäre entweichen. Der rohe Nahrungssaft der Pflanzen erleidet folglich in den Blättern durch die Berührung mit den Gasen der Atmosphäre eine ganz ähnliche Umwandlung, wie das venöse, d. h. das kohlenstoffreiche, zur Ernährung des Thierkörpers untaugliche Blut in den Lungen, wo dasselbe, ebenfalls in Folge der Einwirkung der Gase der eingeathmeten Luft in arterielles, d. h. sauerstoffreiches, nahrhaftes Blut verwandelt wird, und deshalb kann man die Blätter mit vollstem Rechte die Lungen der Pflanzen nennen. Der assimilirte oder eigentliche Nahrungssaft kehrt nunmehr aus den Blättern wieder in die Aeste, in den Stamm, ja bis zu den Wurzeln zurück und wird unterwegs nach allen denjenigen Theilen des Pflanzenkörpers hingeleitet, welche ernährt werden sollen. Dieses Abwärtsströmen geht vorzüglich in der jungen Rinde, und wie es scheint, auch im Marke vor sich, indem auch die Zellen des Markes assimilirte Stoffe in großer Menge enthalten. Daß die junge Rinde, wenigstens bei unsern Bäumen vorzugsweise das den abwärtssteigenden Nahrungssaft leitende Gewebe ist, geht daraus hervor, daß, wenn man die Rinde eines Baumes am Stamme ringsherum durchschneidet und ein Stück derselben herausschneidet, einen sogenannten „Ringelschnitt“ macht wie die Gärtner sagen, daß dann das unterhalb des Schnittes befindliche Stück des Baumes nicht weiter oder nur unvollkommen ernährt wird, sondern blos noch die oberhalb des Schnittes befindlichen Theile. Deshalb schwillt ein solcher „geringelter“ Baumstamm oberhalb des Ringelschnittes stark an, während das untere Stück seine bis dahin erreichte Stärke beibehält oder sich nur unbedeutend verdickt. Da durch den Ringelschnitt eine stärkere Blüthenentwickelung so wie ein gesteigertes Wachsthum und eine größere Saftigkeit der Früchte hervorgebracht zu werden pflegt, so wird diese Operation von den Gärtnern sehr häufig bei den Obstbäumen in Anwendung gebracht, ohne daß viele derselben wissen, worauf eigentlich jene Erscheinung beruht.

Aus den vorstehenden Schilderungen ergiebt sich zur Genüge die eigentliche Bedeutung und Bestimmung der Blätter. Es resultiren aber aus dieser Bedeutung der Blätter zugleich höchst wichtige Winke für das praktische Leben. Da die Blätter die Athmungsorgane der Pflanzen sind, so liegt es auf der Hand, daß das Leben einer Pflanze im hohen Grade beeinträchtigt werden muß, wenn man sie ihrer Blätter beraubt. Hieraus folgt, daß jene Pflanzen, deren Blätter man theils zur Fütterung, theils zu andern Zwecken benutzt, z. B. die Maulbeerbäume, die Sauernkirschbäume u. a. nicht aller und überhaupt nicht zu vieler Blätter beraubt werden dürfen, sollen sie kräftig fortvegetiren. Besonders müssen die jungen Blätter geschont werden, da in diesen der Athmungs- und Assimilationsprozeß am Lebhaftesten und Wirksamsten geschieht. Da ferner die Aushauchung von Sauerstoff und die Einathmung von Kohlensäure, welche vorzugsweise die Assimilation zu unterhalten scheint, nur unter dem Einflusse des Lichtes vor sich gehen kann, so müssen alle Culturgewächse, welche im wilden Zustande in einem hellen Lichte zu wachsen pflegen, auch unter dem Einflusse eines solchen cultivirt werden. Das giebt einen wichtigen Wink für die Zimmer- und Gewächshausgärtnerei. Nicht selten hat man die Verwunderung darüber ausgesprochen, daß Zimmerpflanzen trotz der sorgsamsten Abwartung die Blätter verlieren und eingehen. Es ist dies eine ganz natürliche Erscheinung, die in den meisten Fällen ihre Ursache im Mangel des Lichtes haben wird. Sie kann aber auch im Staube der Zimmer begründet sein. Durch den Staub können nämlich die Speltöffnungen sehr leicht verstopft werden. Deshalb müssen die Blätter der Zimmerpflanzen von Zeit zu Zeit abgewaschen werden. Da sich endlich durch sogenannten „Mehlthau,“ d. h. durch schmarotzende mikroskopisch kleine Pilze, welche sich im Innern der Blätter entwickeln und deren Zellgewebe zerstören, durch die kleberigen Ausscheidungen der Blattläuse, welche die Unterseite der Blätter überziehen und deren Speltöffnungen verstopfen (den sogenannten „Honigthau“), endlich durch die Schildläuse, welche mit ihrem in das Gewebe der Blätter eingebohrten Saugerüssel den Nahrungssaft herausziehen, die Thätigkeit der Blätter und in Folge davon der gesammte Ernährungsprozeß der Pflanze im hohen Grade beeinträchtigt und endlich deren Tod herbeigeführt werden müsse, versteht sich von selbst.

Zum Schlusse will ich noch einige Bemerkungen über den eigentlichen und wahren bereits zu Anfange dieses Aufsatzes angedeuteten Nutzen hinzufügen, den die Blätter dem Menschen und der gesammten animalischen Schöpfung bringen: Durch den Athmungsprozeß der Thiere und Menschen wird der Atmosphäre fortwährend ein sehr bedeutender Theil ihres Sauerstoffgehalts entzogen, indem jene Geschöpfe den Sauerstoff der eingeathmeten Luft in ihrem Körper größtentheils zurückbehalten, und blos eine sehr kohlenstoffreiche Luft wieder ausathmen. Dieser bedeutende Sauerstoffverlust, den die Luft durch den Athmungsprozeß der Thiere erleidet, wird durch denjenigen der Pflanzen wieder ersetzt. Zugleich wird der Ueberschuß von Kohlensäure, der durch die Respiration der Thiere und Pflanzen in die Luft kommt, durch den Einathmungsprozeß der Pflanzen wieder entfernt. Denn die Absorption von Kohlensäure und der Luft durch die Blätter ist weit bedeutender als die Aushauchung von Kohlensäure in die Luft. Wir sehen also, daß ohne die Pflanzen, und noch specieller gefaßt, ohne die Blätter die Luft, diese wichtigste Bedingung des animalischen Lebens, für Thiere und Menschen am Ende irrespirabel, d. h. zum Athmungsprozeß untauglich werden, daß Thiere und Menschen ersticken würden. Aber die Blätter erhalten nicht allein das Gleichgewicht der die atmosphärische Luft zusammensetzenden Gasarten, sie sind auch eine nie versiegende Quelle für das zweite zum Leben der animalischen und der vegetativen Schöpfung unentbehrliche Bedürfniß, für das Wasser. Außer dem Respirationsprozesse erfolgt nämlich durch die Blätter auch eine bedeutende Aushauchung von Wasserdampf. Theils dadurch, daß die Pflanzen sowohl aus dem Boden tropfbar flüssiges, als aus der Luft dampfförmiges Wasser durch die Wurzeln und durch die jüngern Theile ihres in die der Luft befindlichen Körpers im Uebermaß aufnehmen theils dadurch, daß in Folge des Assimilationsprozesses fortwährend auch Wasser gebildet wird, entsteht im Innern des Pflanzenkörpers ein Ueberfluß von Wasser, welcher in Dampfform an die Oberfläche der jüngern und grünen Pflanzentheile, besondersaber durch die Blätter wieder ausgeschieden wird. Hierdurch wird also die Luft fortwährend durch die Pflanzen, und besonders durch die Blätter

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_038.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2023)