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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Die Lungen der Pflanzen.

Wie? – höre ich meine Leser beim Anblicke dieses Titels ausrufen. – Die Pflanzen sollen Lungen besitzen? – Allerdings, meine Freunde, besitzen dieselben Glieder oder Organe, welche zwar eine ganz andere Gestaltung und Bauart als die Lungen der Thiere, aber die gleiche Bedeutung und Bestimmung haben, und diese Organe sind – die Blätter. Erlauben Sie mir, Sie einen Blick in die innere Bauart der Blätter und in das Leben der Pflanze überhaupt thun zu lassen, und Sie werden sich überzeugen, daß ich vollkommen Recht habe, wenn ich die Blätter, diese unter so mannigfachen, so zum Theil wunderbaren Formen erscheinenden Organe, auf deren Vorhandensein einer der hauptsächlichsten Reize aller schönen Landschaften, das vielfach nuancirte den Augen so wohlthuende Grün beruht, die Lungen der Pflanzen nenne.

Viele Leute glauben, daß die Blätter der Pflanzen blos zum Schmucke dienen oder daß sie denselben deshalb gegeben seien, weil sie die Nahrung vieler Thiere bilden und auch von Menschen zu mannigfachen Zwecken angewendet werden können, indem sich so ein großer Theil der Menschen einbildet, daß ihres lieben Ichs halber das ganze Thier- und Pflanzenreich und überhaupt die ganze Welt geschaffen worden sei. Diese und ähnliche Ansichten über die Bestimmung der Blätter sind gänzlich verkehrt. Die Blätter sind den Pflanzen ihrer selbst wegen gegeben, weil die Pflanzen ohne Blätter nicht leben können, aus keinem anderen Grunde. Die Benutzung der Blätter von Seiten der Thiere und Menschen ist Nebensache. Uebrigens besteht der Hauptnutzen, den die Blätter der animalischen Schöpfung gewähren, keineswegs darin, daß sie Nahrung spenden und zu technischen Zwecken benutzt werden können, sondern in ihrer eigenthümlichen Lebensthätigkeit, durch welche sie, wie meine Leser bald erkennen werden, für die Reinigung der Luft und für die Erzeugung von Wasser im hohen Grade sorgen.

Wenn Sie, meine Leser, das Blatt eines Kirschbaumes oder einer Buche betrachten wollen, so werden Sie bemerken, daß der Blattstiel sich in Form einer auf der untern (dem Boden zugekehrten) Seite der Blattscheibe hervortretenden Rippe durch die Blattsubstanz hindurch bis in die Spitze des Blattes fortsetzt, und daß von dieser Rippe, die man, weil sie die Blattscheibe in zwei Hälften scheidet, in der beschreibenden Botanik die Mittelrippe, wohl auch den Mittelnerv zu nennen pflegt, auf beiden Seiten kürzere und schwächere Rippen ausgehen, welche bei jenen Blättern einander gegenüberstehen und sich parallel von der Mittelrippe nach dem Rande des Blattes erstrecken. Halten Sie[WS 1] ein solches Blatt gegen das Licht, so werden Sie eine Menge hell erscheinender dicker und dünner Linien unterscheiden können, welche sich auf das Vielfältigste verästelnd und mit einander verbindend, ein förmliches aus zahllosen kleinen, eckigen Maschen bestehendes Netz bilden, und es wird Ihnen nicht schwer fallen, zu erkennen, daß die stärkeren dieser hellen Linien von den Nebenrippen, auch wohl unmittelbar von der Hauptrippe des Blattes ausgeben. Das Innere der Maschen ist von der dunkeln Blattsubstanz erfüllt, welcher dem bloßen Auge als eine gleichförmige structurlose Masse erscheint. Ganz dieselbe Erscheinung würden Sie bei jedem andern Blatte, welches dünn genug ist, um das Licht durchscheinen zu lassen, wahrnehmen, nur mit dem Unterschiede, daß die Blattscheibe nicht immer von einer Mittelrippe durchzogen ist, welche Seitenrippen in der angegebenen Weise entsendet, sondern daß, wo an der Stelle, wo der Stiel in das Blatt eintritt, oder, wenn ein solcher ganz fehlt, wo das Blatt festsitzt, mehrere Rippen gleichzeitig entspringen und entweder parallel oder wie die Finger einer ausgebreiteten Hand durch die Blattfläche verlaufen; daß ferner die aus den Hauptrippen entspringenden Nebenrippen einander nicht immer gegenüberstehen, sondern diejenigen der einen Seite mit denen der andern abwechseln; daß dieselben sich in sehr verschiedener Weise verästeln und verzweigen, mit einem Worte, daß in der Anordnung der Rippen und der von ihnen ausgehenden hellen Linien, welche man in der beschreibenden Botanik Adern zu nennen pflegt, die verschiedenartigsten und mannigfachsten Verhältnisse obwalten. Wovon rühren nun diese Rippen und Adern her und wozu besitzt sie das Blatt? Ueber die erste Frage giebt uns die Betrachtung einiger in verticaler und horizontaler Richtung durch die Blattscheibe gemachten Schnitte unter dem Mikroskop Aufschluß, die zweite beantwortet uns die Physiologie oder derjenige Theil der botanischen Wissenschaft, welcher sich mit der Erforschung des Lebens der belebten Geschöpfe und den Verrichtungen von deren einzelnen Organen beschäftigt.

Durchschneidet man eine Blattrippe ihrer Länge nach und betrachtet man einen feinen in derselben Richtung davon abgeschnittenen Schiefer unter dem Mikroskop, so wird man in der Regel bemerken, daß die Blattrippe aus mehrern sogenannten Gefäßbündeln besteht, welche nicht selten von Bastbündeln begleitet sind. Gefäßbündel nennt man fadenförmige Vereinigungen parallel nebeneinander liegender Reihen von zartrandigen langgestreckten Zellen, so wie von engeren oder weiteren, nicht selten gegliederten Röhren, deren zarte Wendung bald von hellen runden Punkten oder Strichen wie durchlöchert oder zerspalten erscheint, bald inwendig mit einer oder mehrern spiralförmig aufgerollten Fasern, deren Windungen entweder eng neben einander liegen oder aus einander gezogen sind, und gekleidet ist, bald eine netzförmig-fasige Bauart erkennen läßt, wohl auch aussieht, als wäre sie über einzelne quer gestellte Ringe gespannt. Diese Röhren nennt man Gefäße, und unterscheidet nach der so eben angedeuteten Verschiedenheit in der Structur ihrer Haut punktirte oder poröse, netzförmige, Spiral- und Ringgefäße. Was man Zellen nennt, darf ich bei den Lesern dieses Blattes wohl als bekannt voraussetzen, weshalb ich hier blos hinzufüge, daß auch die sogenannten Gefäße weiter nichts als Zellen oder vielmehr Zellenreihen sind, indem sie aus gestreckten vertical über einander gestellten Zellen durch Zerstörung und Aufsaugung der Berührungsflächen entstehen, und daß die oben erwähnten Bastbündel, von denen die Gefäßbündel im Stiele und in den Rippen der Blätter häufig begleitet zu sein pflegen, aus Bastzellen, d. h. aus langgestreckten, fadenartigen, an beiden Enden zugespitzten, sehr dickwandigen und biegsamen Zellen zusammen gesetzt sind. (Der nebenstehende Holzschnitt A zeigt ein Gefäßbündel aus dem Stiele des gemeinen Tupfelfarrnkraut am Längs- und Querschnitt, wo sich in der Mitte, bei a quergestrichelte oder sogenannte Treppengefäße, nach außen zu, bei b gestreckte dünnwandige Zellen, sogenannte Cambiumzellen befinden. Das ganze Bündel ist von kurzgestreckten, eckigen Zellen umgeben, von denen die innerste Reihe bei c einseitig verdickte und poröse Zellen besitzt.) Das Gefäßbündelsystem, welches den Blattstiel durchzieht, zertheilt sich zuletzt in die Blattrippen, und aus diesen zweigen sich wieder einzelne Gefäßbündel ab, stärkere und schwächere, welche das durchsichtige Adernetz bilden. Die zwischen den Maschen des Adernetzes befindliche, dem bloßen Auge als dunkle gleichförmige Masse erscheinende Blattsubstanz zeigt sich unter dem Mikroskop aus Zellen von verschiedener Form zusammen gesetzt. Bei denjenigen Blättern, welche eine flächenförmige und dünne membranöse Blattscheibe haben, wie die Blätter aller unserer Bäume und überhaupt die Mehrzahl der bei uns wachsenden Pflanzen, lassen sich in der Regel vier Schichten verschiedener Zellen in dem Gewebe des Blattes, wenn man die Blattscheibe senkrecht auf ihrer Fläche durchschneidet, unterscheiden, nämlich: 1) die Oberhaut der obern, dem Himmel zugekehrten Fläche, welche aus abgeplatteten, dicht an einander schließenden Zellen besteht; 2) die obere Schicht des innern Gewebes, aus kurzen gestreckten, prismatischen, diese an einander schließenden, senkrecht auf die Blattfläche gestellten Zellen gebildet; 3) die untere Schicht des innern Gewebes, welche aus kuglichen oder unregelmäßigen, nur locker sich berührenden und daher ein schwammiges, von vielen Höhlungen und Gängen erfülltes Gewebe bildenden Zellen zusammen gesetzt ist und in welcher stets die Gefäßbündel verlaufen; endlich 4) die Oberhaut der untern Fläche. Letztere besteht der Hauptsache nach aus ähnlich gestalteten Zellen, wie die Oberhaut der obern Fläche; allein ihre Zellen schließen nicht überall dicht an einander, sondern es befindet sich an manchen Stellen zwischen je zwei oder mehr Zellen eine Lücke, ein sogenannter Intercellular- oder Zwischenzellgang, welcher nach innen zu mit den hohlen Räumen des schwammigen Zellgewebes in Verbindung steht, nach außen hin dagegen durch zwei halbmondförmig gestaltete Zellen geschlossen ist. Diese beiden „Schließzellen“ sind einander mit ihren concaven Rändern zugekehrt und besitzen die merkwürdige Eigenschaft, daß sie sich beliebig ausdehnen und zusammen ziehen können. Dehnen sie sich aus, so schließen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sie
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_036.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)