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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

vertraue ich mich an, denn ich weiß, daß Sie meinem verstorbenen Vater, dem alten Buchhalter des Hauses Simoni, mehr ein Freund als ein Diener gewesen sind. Georg, ich habe die gewichtigsten Gründe von der Welt, meine Anwesenheit geheim zu halten, und so rasch als möglich weiter zu reisen.“

„Sie, Sie sind hier!“ sagte bewegt der Greis, indem er noch einmal die Hand des jungen Mannes ergriff. „Wohl war Ihr Vater mein Freund, wir hatten keine Geheimnisse vor einander, und haben nicht selten von Ihnen gesprochen – –“

„Still, Georg, still!“ sagte Franz düster. „Ich weiß, was Sie sagen wollen. Treffe ich dereinst dort oben meinen Vater wieder, so werde ich das vor ihm zu verantworten wissen, was ihm in seinen letzten Tagen Kummer bereitet hat. Die Zeit vergeht,“ fügte er unruhig hinzu – „kann ich Ihre Rückkehr hier erwarten?“

„Bereiten Sie sich vor, Madame Simoni zu sprechen!“

Georg half Franz den schweren Reisepelz ablegen, dann nahm er seine Blumen, und verließ das Zimmer.

„Der arme junge Mann!“ murmelte er vor sich hin. „Fast möchte ich glauben, daß sein bleiches, hageres Gesicht und seine unruhigen Blicke bestätigen, was man von ihm vermuthet. Wie blühend und schön war er, als er uns das letzte Mal besuchte – ich hätte ihn jetzt wahrhaftig nicht wieder erkannt. Madame muß ihn empfangen, und sollte ich mich einer List bedienen müssen, ihn einzuführen. Der arme Franz ist ja der Sohn ihres einzigen Bruders und meines besten Freundes!“

Franz Osbeck ging unruhig im Zimmer auf und ab.

II.

Wir betreten eine halbe Stunde früher als Georg den glänzend decorirten Hauptsaal der Wittwe Simoni. Wirthin und Gäste schienen zu wetteifern, den raffinirtesten Luxus zur Schau zu tragen. Man sah einen Flor junger Damen in den reizendsten Toiletten, da war kein Kopf, den nicht schimmernde Blumen, kein Busen, den nicht ein kostbares Diamantgeschmeide schmückte. Paris und London hatten die theuersten und geschmackvollsten Roben zu diesem Feste geliefert. Die Tafel war vorüber, und die von Champagner erhitzten Gäste gaben sich mit einem wahren Feuereifer den flüchtigen Freuden des Tanzes hin. Die bedächtigen Alten saßen in den Nebenzimmern beim Spiel oder an mit Flaschen besetzten Tischen.

Der Sohn vom Hause, Robert Simoni, stand mit gekreuzten Armen in einer der Fenstervertiefungen und sah sinnend dem Tanze zu. Er schien den allgemeinen Frohsinn nicht zu theilen, den er selbst durch seinen Reichthum vorbereitet; mit düster glühenden Blicken verfolgte er ein Tänzerpaar, das aus zwei stark kontrastirenden Personen zusammengesetzt war. Der Tänzer mochte ein Mann von einigen vierzig Jahren sein, er trug einen eleganten Ballanzug von auffallend hellen Farben und strotzte von Goldschmuck. Sein Gesicht war völlig bartlos, aber von vielen Falten durchzogen, die bei dem unaufhörlichen Lächeln stärker hervortraten. Den ziemlich dicken Kopf schmückte eine dunkle Perrücke, die über der Stirn ein hohes Toupet bildete. Seine Tänzerin war die schönste Dame der Gesellschaft, obgleich sie nicht mehr zu den jüngsten zählte, und wir irren nicht, wenn wir ihr Alter auf vierundzwanzig Jahre schätzen. Sie war einfach in dunkle Seide gekleidet, so daß sich ihre elegante Gestalt in dem Kreise der Tanzenden stets unterscheiden ließ. Sie hatte den niedlichsten Fuß von allen, die diesen Abend den Parketboden berührten. An ihrem schneeweißen runden Halse schimmerte eine feine Goldkette mit einem kleinen Kreuze. Den vollen Busen schmückte eine einfache weiße Rose von mattem Silber. Wie der Ausdruck ihres schönen Gesichts waren auch ihre Bewegungen ruhig, aber von unbeschreiblicher Grazie und Eleganz.

„Sie kokettirt mit der bescheidenen Toilette!“ flüstert eine junge Dame ihrem Tänzer zu, die in der Nähe des beobachtenden Robert stand. „Ist das ein Ballkleid?“ fügte sie spöttisch hinzu. „Man sollte glauben, die gute Dame befände sich in einem Trauerhause.“

„Vielleicht hat sie keine große Auswahl von Roben,“ flüsterte der Tänzer zurück.

„Wohl möglich!“

„Wer ist denn diese schwarze Taube?“

„Man sieht sie stets im Gefolge der Madame Simoni – vielleicht eine arme Verwandte. Ich saß bei Tafel neben ihr, – sie spricht nicht viel, aber gut, das muß ihr der Neid lassen. Ihr ganzes Wesen erscheint mir so niedergedrückt – –“

Das Gespräch ward unterbrochen, da die Tänzer von der Fluth des Gallops mit fortgerissen wurden. Der bunte Tänzer mit seiner schwarzen Tänzerin stand jetzt in der Nähe Roberts.

„Ich bitte, mein Herr,“ flüsterte sie, „erlauben sie mir, daß ich abtrete – der rasche Tanz hat mich so erschöpft, daß ich mich unwohl fühle.“

„Befehlen Sie, daß ich Sie in ein Nebenzimmer führe?“ fragte rasch der Stutzer. „Es herrscht in der That eine glühende Hitze in dem Saale.“

Robert trat rasch zu der Dame.

„Wie, Helene, Sie fühlen sich unwohl?“ fragte er hastig.

„Es wird vorübergehen, Herr Simoni, wenn ich mich erholen kann!“ antwortete sie in einem Tone, der ihre Überraschung, aber auch das Bemühen verrieth, die sorgliche Aufmerksamkeit des jungen Mannes von sich abzulenken.

„Ich führe Sie zu meiner Mutter, Helene!“ sagte Robert, indem er ihr mit der Dienstfertigkeit den Arm bot, die seine große Besorgniß um die junge Dame verrieth. „Herr Petersen,“ wandte er sich zu dem bunten Stutzer, „wird mir erlauben, daß ich ihm seine Tänzerin auf kurze Zeit entführe.“

Herr Petersen trat ehrerbietig vor dem reichen Manne zurück; er hatte auf die Bitte desselben keine andere Antwort als ein schmerzlich devotes Lächeln, das er halb an Helene, halb an Robert richtete. Mit eifersüchtigen Blicken verfolgte er das junge Paar, das Arm in Arm in der Thüre eines Seitenzimmers verschwand. Dann zog er sein duftendes Taschentuch hervor, trocknete sich die schweißbedeckte Stirn und trat zu dem Buffet, um durch ein Glas Limonade sein aufgeregtes Blut ein wenig zu beruhigen.

„Ich danke Ihnen, Herr Robert,“ flüsterte Helene, „daß Sie mich von der peinlichen Gesellschaft dieses Herrn befreit haben. Ich wäre vor Ueberdruß umgekommen, hätte ich den Tanz mit ihm beendigen müssen.“

„Es bedurfte wenig Scharfsinns, Ihre Absicht zu errathen; aber, Helene, Sie verzeihen meiner Besorgniß um Sie die Bemerkung, daß der Ball nicht die gehoffte Wirkung auf Sie ausübt –“

„Wie, Herr Robert?“ fragte rasch die junge Dame, die in der That so erschöpft war, daß sie sich unwillkürlich in dem Sopha niederließ, zu dem ihr Begleiter sie geführt hatte. Die Phrase von dem Ueberdrusse an der Unterhaltung war nur erfunden, um Roberts Gefälligkeit zurückzuweisen.

Der junge Mann, der in dem Zimmer keine Gäste sah, setzte sich ihr zur Seite.

„Helene,“ flüsterte er, „mit innigem Bedauern habe ich Ihr stilles, schüchternes Wesen bemerkt, das ich für eine Folge Ihrer Stellung hier im Hause halte; so darf es nicht länger bleiben, und nicht das Mitleid, sondern die Achtung vor Ihnen hat in mir den Entschluß gestaltet, Ihnen die Anerkennung zu verschaffen, die Ihnen mein Herz bei dem ersten Erblicken zollen mußte. Sie wissen, daß ich die Veranlassung zu diesem Feste gegeben habe, daß es Mühe gekostet, meiner Mutter, gegenüber, die geräuschvollen Vergnügungen abhold ist, den Plan durchzusetzen: es ist mir gelungen, und jetzt bekenne ich, von meinem Herzen gedrängt, daß das Fest veranstaltet ist, um eine Abwechselung in Ihr einförmiges Leben zu bringen, mehr aber noch, um Ihnen darzuthun, daß Ihr Verweilen bei meiner Mutter von der höchsten Bedeutung für mich ist. Helene, Sie sind die Königin des Festes und meines Herzens! O zweifeln Sie nicht an der Wahrheit dieser Worte – ich werde sie meiner Mutter wiederholen, damit sie weiß, daß Helene mehr ist, als die einfache Gesellschaftsdame, damit sie erfährt, ihres einzigen Sohnes Glück hängt von Ihnen ab.“

„Mein Herr, mein Herr!“ stammelte die bestürzte Helene, indem sie dem jungen Manne ihre zarte Hand zu entwinden suchte.

„Helene,“ fuhr Robert fort, „ich darf, wenn ich dieses Bekenntniß nicht in einem für Sie verletzenden Lichte erscheinen lassen will, die Bitte nicht unausgesprochen lassen: bleiben Sie immer in unserm Hause, werden Sie die Tochter meiner Mutter, werden Sie meine Lebensgefährtin!“ fügte er mit bebender Stimme hinzu.

Helene saß regungslos vor ihm; sie ließ ihre Hand in der seinigen und eine hohe Purpurröthe erschien auf ihren lilienweißen

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