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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Rechnung Vorträge halten wollen, können sich hier Hörsäle und Zimmer zu den verschiedensten Zwecken und Preisen und die nöthigen Instrumente dazu miethen. Industrielle, Fabrikanten und Producenten aller Art, die auf eine würdige Weise Anzeigen machen wollen, miethen sich die im Panoptikon zu diesem Zwecke in reichlicher Auswahl vorhandenen Ausstellungsbuden. Wer endlich ohne bestimmten Zweck sich auf eine kultivirte Weise mit Freunden und Familien nur eben erholen und einen Nachmittag oder Abend angenehm verbringen will, findet im Panoptikon die günstigste Gelegenheit dazu, da alle Arten von Erfrischungen und auch besondere Zimmer und Abtheilungen miethweise zu haben sind, so daß man sich von dem großen Publikum zurückziehen kann, nachdem man mit ihm gemeinschaftlich genossen, was die Eigenthümer des Unternehmens für Alle ausgestellt haben und durch kurze Vortrage an den einzelnen arbeitenden Maschinen und Experiment-Apparaten erläutern lassen.

Hiermit wird man sich ein allgemeines Bild vom Panoptikon zurechtlegen können und hoffentlich zugeben, daß diese moderne, neue Art, Wissenschaft, Kunst, Industrie, Leben, Erholung und Vergnügen zu combiniren und Eins durch das Andere zu tragen und zu heben, von der segensreichsten Wirkung für eine wirklich allgemeine, durchgreifende, gesunde, praktische Massenkultur sein muß, zumal wenn man bedenkt, daß diese neue Art von Universität, Akademie und Markt vereinigt, noch im Entstehen ist und sich einer Ausdehnung in Mitteln und Zwecken fähig zeigt, wovon wir vor der Hand kaum eine Vorstellung haben mögen.

Die Mittel und Werkzeuge, die Aristokratie des Wissens über alle Klassen des Volks zu verbreiten und durch Offenheit und Concurreuz wahrhaft in grünes, goldenes Leben umzusetzen, sind jetzt noch selbst Experimente und erste Versuche. Wer weiß, wie weit sie sich in diesem jetzt rasch pulsirenden Leben der Wissenschaft und Künste, des industriellen und ideellen Verkehrs zwischen allen Völkern binnen einem Menschenalter vermehrt und vervollkommnet haben mögen! Möglich, daß dann auch bald alles Metall, das jetzt noch massenweise zu Flinten, Kanonen, Kugeln und Säbeln verarbeitet wird, sich für produktive und menschliche Zwecke so ausschließlich verwerthen lasse, daß Mars, der brüllende Kriegsgott, noch selbst mit den Massen bei den Musen der Wissenschaft, Kunst und Industrie in die Schule gehen lernen muß, um etwas zu lernen und sich anständig zu ernähren.




Sturmbilder aus dem schwarzen Meere vom 13. November.

(Von Augenzeugen.)

Was Kugeln, Cholera, Kälte und Diplomatie ihrer eigenen Herren gegen die englischen Soldaten auf der Krim bisher nicht ruiniren konnten, schien der Sturm des schwarzen Meeres vom 13. November vollenden zu wollen. Während er in Constantinopel stolze, schlanke, glänzende Minarets und goldene Dächer, die Jahrhunderte den Stürmen und Orkanen eine ruhige, feste Haltung entgegengesetzt hatten, wie morsche Stäbe zerbrach und donnernd niederwarf auf Häuser und Menschen, knickte er thurmartige Masten und mannsstarke Taue und tausend Centner schwere Ankerketten der englischen, französischen und türkischen Flotte bei Balaklava, an der Katscha und bei Eupatoria wie Strohhalme und Zwirnsfäden und schlug die wie Nußschaalen zwischen den Alpen der Wogen umhergeschleuderten Schiffe gegen einander, daß sie gegenseitig in Trümmern auseinander stoben oder gegen die graugrünen, grimmigen, steil aus der Meerestiefe hervorragenden Gestadefelsen schossen, welche mit einem Schlage ganze schwimmende „Meeresfestungen“ zu Pulver zermalmten, so daß leblose und lebendige Schätze unbarmherzig in die Tiefe gedrückt wurden, denn an Rettung die steilen Felsen empor war nicht zu denken. Wenn auch Dieser und Jener sich für einige Sekunden anklammerte, das nächste heranprallende Wassergebirge spülte ihn mit sich fort, wie ein trockenes Baumblättchen, oder die überall lauernden Gewehre der Russen schossen ihn herunter. Der Sturm gilt als das Furchtbarste von Wuth, was das schwarze Meer jemals geleistet. Abgesehen von den Zerstörungen und Verwüstungen in den Flotten sprechen dafür die Leistungen desselben gegen die Minarets von Constantinopel.

Es ist nicht unsere Absicht, die Thaten dieses Sturmes aufzuzählen, wie in einem Zeitungsberichte: wir geben blos einige charakteristische Scenen und Bilder aus den Schilderungen von Augenzeugen wieder, wie sie in den englischen Zeitungen und Privatbriefen wimmeln. So weit man das Ergebniß dieser Naturtragödie schon übersehen konnte, waren mindestens tausend Menschen ertrunken, außer denen, die von den Russen erschossen oder als Gefangene aus dem Meere in Empfang genommen wurden. Der bloße, nackte, direkte Verlust an Gütern und Materialien wurde von der Times auf zwei Millionen Pfund Sterling oder vierzehn Millionen Thaler geschätzt. Aber der Sturm verschlang hauptsächlich alle möglichen nothwendigen Bedürfnisse für die Armee, Speisen und Getränke, Arzneien, Winterkleider, Baumaterialien für Winterzelte u. s. w., so daß die aus diesen Verlusten sich noch ergebenden Verwüstungen nicht blos in’s Geld, sondern auch fernerweitig tief in’s Leben gehen, nicht blos in das Leben Derer, welche direkt aus Mangel an Nahrung, Kleidung und Wohnung und Arznei in Regen und Schnee jämmerlich umkommen, sondern auch in das Leben Englands überhaupt, welches bereits durch die Krim-Expedition eine ganz andere Physiognomie bekommen. Der straffe Stolz auf ihre Kraft hängt jetzt erschlafft auf ihren Gesichtern, das übermüthige Vertrauen auf das Recht der „westlichen Civilisation“ und auf die unfehlbare Weisheit der politischen Lenker derselben hängt und schüttelt den Kopf, und selbst der neue Glaube an die riesigen Anstrengungen des reichsten, männlichsten Volkes erwärmt nicht die Gemüther, da man unwillkürlich ahnen mag, daß sie theils „zu spät“ kommen, theils noch nicht die rechten, siegreichen seien.

Sehen wir uns erst eine Scene an der Mündung des Katschaflusses an. Acht französische Briggs, mit Pferden und Mannschaften beladen, werden auf den wogenden Wasserbergen umhergeschleudert. Hier und da fallen je zwei von den Gipfeln der Wogen herunter in tiefe Thäler und verschwinden den Blicken der russischen Offiziere und Kosaken, die auf den Klippenufern oben auf Beute lauern. Das Thal, worin sie zusammenkrachten, verwandelt sich in Berge, auf welchen die Trümmer beider Schiffe, Masten, Menschen, Pferde, Planken und Bretter, Tonnen und Kisten abermals durcheinander gewirbelt werden. Auf Trümmern reitende Soldaten werden von Masten und Stangen in die Tiefe gestoßen, die rauhen, spitzen Enden einer zerrissenen Schiffsplanke durchbohren den hervorragenden Kopf eines Pferdes, ein noch ganzes Schiff schleudert sich zwischen lebendige und todte Trümmer, während eine Woge über dasselbe hinwegrast und Menschen und Waaren mit sich fortreißt und der Sturm einen Mast abbricht, um ihm einem Ertrinkenden tückisch als Strohhalm der Rettung nachzuwerfen. Von den acht Schiffen zertrümmerten sich vier gegenseitig, die andern wurden vom Sturme zerrissen und dann vom Meere verschlungen. Die Trümmer und die Schiffbrüchigen wurden begierig von den Kosaken aufgefischt, sobald sie an’s Ufer trieben. Russische Offiziere, die von Sebastopol herbeigekommen waren, schienen die Kosaken im Zaume zu halten. Auch gaben sie mit geschwenkten Hüten und Tüchern von den Klippen herab Zeichen, daß sie ruhig landen könnten; doch gaben weder Engländer noch Franzosen diesen Einladungen Gehör. Gegen Abend, als sich die Offiziere entfernt zu haben schienen, kam ein Barkschiff in das Bereich der Kosaken, die jauchzend und in wilder Lust unter den an’s Land geschleuderten Trümmern, zerrissenen und verstümmelten, lebenden und todten Pferden und Menschen, Kisten und Kasten – umherwirthschaften. An der einen Seite der Barke klammerten etwa dreißig Menschen, darunter eine Mutter mit ihrem Kinde, die sich tapfer mit einem Arme hielt, während der andere das Kind krampfhaft umschloß. Das Schiff, bald links, bald rechts, bald mit dem Kopf, bald mit dem Hintertheil in die Wogen gebohrt, ließ die Angeklammerten bald unter Wasser verschwinden, bald hielt es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_642.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)