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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

eigentlich aber damit der Gefangene sich in sie verliebe und dann plaudere. Das Mädchen blieb Stunden, halbe Tage lang bei ihm und eines gelang: Santini verliebte sich in der That, aber auch der Geliebten vertraute er nichts, so daß diese endlich erkannte es sei Alles vergeblich und nicht wieder erschien.

Ein Paar Stunden nach ihrem letzten Weggange erschien ein Beamter, der dem Gefangenen meldete, er sei in so weit frei, daß er aus der Citadelle entlassen werden solle, er müsse sich aber irgendwo in Oesterreich oder England aufhalten; entscheide er sich für Oesterreich, so werde man ihm Brünn zum Aufenthaltsorte anweisen. Santini wählte Oesterreich, wurde nach Wien gebracht, dort drei Wochen gefangen gehalten trotz seiner fortwährenden Erklärungen, man möge ihn erschießen, wenn er schuldig sei oder ihn frei lassen, wenn er nichts verbrochen habe. Endlich begleitete ihn ein Beamter nach Brünn. Hier sollte er in der Stadt frei herumgehen können, er durfte aber selbst die Vorstadt nicht betreten und mußte einen Mann bei sich dulden, der für seinen Dollmetscher galt, aber ein Spion war, der ihn zu beobachten hatte. Er fand in Brünn überall die freundlichste Theilnahme und nur einmal tiefen Schmerz. In dem Kaffeehause, das er täglich besuchte, mieden ihn einst alle, die sonst freundlich gegen ihn gewesen waren, und sahen ihn mit Blicken der tiefsten Verachtung an. Ein Offizier warf ihm endlich ein Zeitungsblatt hin, in dem aus London berichtet war, ein gewisser Santini, der für Napoleon in Europa agitire, sei ein Betrüger, seines schlechten Wandels wegen von St. Helena verwiesen worden und speculire durch seine lügenhaften Schriften auf den Beutel des Publikums.

Santini war auf’s Tiefste verletzt und protestirte laut, aber was konnte er thun? Er verließ das Kaffeehaus und schloß sich in seiner Wohnung ein. Vierzehn Tage hatte er den Schmerz zu tragen; da kamen eines Morgens wohl zwanzig Offiziere und andere Personen zu ihm, baten ihn um Entschuldigung und zeigten ihm ein Zeitungsblatt, in welchem Graf Flahaut erklärte: was eine Zeitung über Santini gesagt, sei eine schändliche Verläumdung; Santini sei Einer der treuesten Diener, der seine Existenz und seine Zukunft geopfert habe um der Welt die traurigen Geheimnisse von St. Helena zu entschleiern etc.

Von da an wurde er unverändert mit der größten Achtung behandelt und verlebte drei Jahre in Brünn, die er drei glückliche nennt. Ja selbst der Kaiser Franz sandte ihm einmal fünfhundert Gulden.

Im Jahre 1821 endlich meldete man ihm, daß sein Kaiser todt, er aber frei sei. Was lag ihm nun an der Freiheit? Es dauerte lange, ehe er seine Energie wieder fand; als es geschehen war, trat er seine Wanderungen von neuem an. Er suchte alle Verwandten seines Kaisers auf und begab sich endlich nach Corsica, um da sein Leben zu beschließen; aber die Polizei ließ ihm keine Ruhe und er ging nach Paris, wo er von Unterstützungen der wohlhabenden Bonapartisten lebte, aber auch stets von der Polizei verfolgt wurde.

Erst die Julirevolution machte seinen Leiden ein Ende. Er kam als Diener in das Cabinet Ludwig Philipp’s und blieb da zwei Jahre, dann aber übernahm er sein früheres Amt wieder – er wurde Courier.

Als solchen traf ihn die Februarrevolution von 1848 und Santini wurde sofort Einer der thätigsten und unermüdlichsten Werber, die das Land zu Gunsten Ludwig Napoleon’s bearbeiteten.

Unterdeß nahete sich das prachtvolle Grabmal des Kaisers Napoleon im Invaliden-Dome der Vollendung und es mußte ein Aufseher und Hüter desselben ernannt werden. Der damalige Präsident Ludwig Napoleon konnte dazu gewiß keinen Geeigneteren finden als Santini, dem er denn auch das Kreuz der Ehrenlegion gab und die Obhut des Grabes jenes Kaisers anvertraute, für den er ausschließlich gelebt hat.

Wer nach Paris kommt und das Kaisergrab besucht, reiche dem treuen Santini die Hand!




Blätter und Blüthen.

Wie erkennt man zu Anfange des Winters, ob dieser zu den strengen zählen werde oder nicht? – Der große Einfluß, den das Wetter auf die Verrichtungen und, wie schon Hippocrates bemerkt, auf das Wohlbefinden des Menschen ausübt, erklärt uns das Verlangen, das Wetter vorherzusagen. Bis jetzt aber besitzen wir die Mittel nicht, um mit Erfolg prophezeihen zu können, denn das Wetter wird in weiter Ferne – unter den Tropen für den ganzen Erdkreis gebraut. Nichts desto weniger mangelt es nicht an Wetterpropheten, wenn auch die Vorherverkündigungen sehr hinken. Diese Bestrebungen fingen an, sobald man gelernt hatte den Lauf der Wandelsterne mit Genauigkeit im Voraus zu berechnen. Sie sollten es sein, welche durch ihre verschiedenen Stellungen zur Erde die Vereinbarungen des Wetters veranlaßten. Ein sorgfältiges Studium des Mondes, des nächsten Gestirnes, das demnach den größten Einfluß ausüben mußte, hat die Nichtigkeit dieses Glaubens dargethan. 17jährige Beobachtungen, die der bekannte Astronom Mädler angestellt hat, lehren, daß die Unterschiede am Thermometer und Barometer in den verschiedenen Perioden des Mondes viel geringer sind als die, welche man bei diesen Instrumenten an zwei ganz nahe gelegenen Orten beobachtet. Zeigt nun das uns nächste Gestirn keine Beeinträchtigung, so dürfen wir sie auch für die unendlich weit entfernten nicht annehmen.

Es fällt uns daher nicht ein, hier die Temperatur der einzelnen Tage vorhersagen zu wollen, sondern nur ganz allgemein den Verlauf des Winters überhaupt. Da der von Vielen nicht gern gesehene Gast nicht lange auf sich wird warten lassen, so theilen wir dem Leser die Regeln mit, die man aus einer Vergleichuug der letzten 18 Winter in Berlin gezogen hat, damit er selbst prüfen könne, ob sie sich bewähren oder nicht. Man brachte die zu bestimmten Stunden eines jeden Tagen beobachteten Temperaturen in jedem Winter sorgfältig und übersichtlich zu Papier, um zu sehen, ob sich die Vertheilung der hohen und niedrigen Temperatur in den strengen Wintern charakteristisch von der in den nicht strengen unterscheide. Nach Verlauf von sieben Jahren will man nun folgende Unterschiede gefunden haben: 1) die strengen Winter haben wenige, die nicht strengen viele Kälteperioden; d. h. in den ersteren finden sich wenige Zwischentage, an denen das Thermometer über Null steigt, während dies bei den letzteren häufiger der Fall ist. 2) In den strengen Wintern sind die Kälteperioden lange anhaltend, in den nicht strengen umfassen sie nur wenige Tage. 3) Ist die Dauer eines strengen Wintern eine kürzere als die der nicht strengen.

Diese Beobachtungen hat der Leser wohl selbst schon gemacht, aber nicht die, daß man aus ihnen zu Anfange eines Winters den Verlauf desselben vorhersagen könne, wenigstens soll dies nach jenen sieben Jahren regelmäßig geschehen sein. Wie man dies anzufangen habe, wollen wir in Nachstehendem mittheilen. Sobald man sich den Wintermonaten nähert, beobachte man fleißig das Thermometer; täglich drei Mal, um 7 Uhr Morgens, Mittags und 10 Uhr Abends, zähle die beobachteten Grade zusammen und dividire die Summe durch die Zahl der Beobachtungen, so hat man die mittlere Temperatur des Tages. Sobald ein Frosttag eintritt, d. h. wenn die mittlere Temperatur des Tages entschieden unter Null bleibt, da heißt es aufgepaßt. Nachtfröste allein entscheiden hier nichts. Man wird nun finden, daß die ersten Frosttage nur unbedeutend sind; stellt sich aber größere Kälte ein und treten bald nach dem Beginn derselben Tage auf, an denen das Thermometer wesentlich und selbst bis über Null steigt, so aber, daß die Zahl und die Summe der Temperatur der kalten Tage die Zahl und die Summe der Temperatur der warmen Tage übertrifft, und nimmt dann die Kälte bald wieder entschieden zu, so kann man sicher schließen, daß der Winter zu den strengen gehören werde.

Die Betrachtung einzelner Winter wird dies näher erläutern. 1834 trat die erste, sehr unbedeutende Kälte am 13. und 14. Novbr. ein, dann blieb die mittlere Temperatur den Tagen bis zum 26. über Null und mit dem 27. trat eine lange anhaltende Kälteperiode ein. Während dieser stieg das Thermometer von – 4° am 29. Novbr. bis auf – 1° am 4., 9 und 11. Decbr. sank dann wieder bedeutend, so daß man am 18. Dec. den strengen Winter ankündete. 1817 konnten die unbedeutenden Wintertage im Novbr. nichts entscheiden. Am 1. Decbr. dagegen trat entschiedener Frost ein, am 11. stieg die mittlere Temperatur auf wenig über Null, ebenso am 21., 22. und 23. und nun trat wieder Frost ein, der die Entscheidung abgab. Nicht immer sind die Resultate sogleich ganz entschieden. 1835 fanden nach dem ersten Frost am 1[ ]. Decbr. verschiedene Wechsel statt, bevor die große Kälteperiode eintrat. Im Ganzen zählte man vor dem 27. Decbr. 9 Tage mit 19° Kälte und 7 Tage mit nur 15° Wärme. Erstere überwog daher und als am 27. Kälte eintrat, entschied man sich für einen strengen Winter. Der Leser darf auch nicht verzagen, wenn die Erfüllung seiner Prophezeihung sollte lange auf sich warten lassen. Der Winter von 1845 lehrt, daß man sich zuweilen mit Geduld auszurüsten habe. Der 20. Decbr. war hier der Tag der Entscheidung, aber der Januar war in seinem ganzen Verlaufe verhältnißmäßig gelinde; Februar und März holten jedoch reichlich wieder ein, was der Januar versäumt hatte.

Anders ist es nun bei gelinden Wintern. Hier treten entweder die Wechsel zwischen Kälte und Wärme häufiger ein oder es folgt einer anhaltenden Kälteperiode eine anhaltende Wärmeperiode. In beiden Fällen übertrifft die Zahl und die Summe der Temperatur der warmen Tage die der kalten. 1852 folgten den ersten 9 Frosttagen, zusammen mit 15° Kälte, nur 7 Tage mit 3° Wärme; hier hätte man der folgenden Kälte wegen auf einen strengen Winter schließen können. Aber die Kälte der ersten Periode war nur geringe und der zweiten (drei Tage mit 3° Kälte) folgten 10 Tage mit 50° Wärme. Entscheidend war die dritte Periode

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_627.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)