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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

durch einen Schlüsselkamm in eine Schüssel mit Wasser. Dann bildet sich das Handwerksgeräth des künftigen Bräutigams. Das Bild desselben aber kann die Wißbegierige sehen, wenn sie am 8. Januar bei Sonnenaufgang in den Brunnen blickt. Am 5. Januar erblickt der, welcher am Niederrheine ein Kreuzstettmännchen (eine kleine Kupfermünze) bei sich trägt, alle Hexen und Gespenster.

Der Schluß des Festes der zwölf Nächte bildete, wie bemerkt, der heutige Dreikönigstag, der, wie ebenfalls bereits erwähnt wurde, in mehreren Gegenden vorzüglich Wodan’s Gemahlin, Gerke, Holle, Frick oder Perchta geweiht war und in Oberösterreich noch jetzt der Perchtentag heißt. In andern Strichen galt er allen Göttern, und dieselben hielten an ihm einen großen Umzug. Dieser letztere ist durch das Christenthum in den Umzug der drei Könige aus dem Morgenland verwandelt worden, welche in den meisten Gegenden Nord- wie Süddeutschlands mit ihrem Sterne noch jetzt umherziehen. Die Anfangsbuchstaben der drei Könige mit Kreide über die Stallthüre geschrieben, hält die Hexen vom Viehe fern. In der Dreikönigsnacht ein Knochen mit den Zähnen aufgehoben und rücklings geworfen, vertreibt Fallsucht und Bezauberung. Besonders hoch gehalten werden die zwölf Tage von Weihnachten bis zum 6. Januar auf den Höfen an der obern Wupper und an der Sieg. Hier wird während der ganzen Zeit kein eisernes Werkzeug in den Kuhstall gebracht und von Neujahr bis zum Dreikönigsfeste nichts gearbeitet, sondern geschmaust und getanzt. Diese Schmäuse nennt man Herkemal, ein Name, der deutlich an die alte Erdgöttin Herke mahnt und den anderwärts auch das Erntefest führt.

So sehen wir denn den Ursprung der deutschen Weihnacht aufgestellt. In das „Ehre sei Gott in der Höhe“ des christlichen Chors klingt aus grauer Vorzeit der Jubel des heidnischen Julfestes. Die Kerzen des Christbaums strahlen nicht blos als Mahnung an das geistige Licht, das an diesem Tage geboren sein soll, sondern auch zu Ehren des Geburtstages der Sonne, der unsern Vätern auf den Tag der Sonnenwende des Winters fiel. Die vergoldeten Aepfel und Nüsse endlich, die um den grünen Tannenbaum hängen, sind nicht blos eine Freude der Kinder, sondern zugleich eine Stellvertretung einstiger Opfer. Die Leser aber werden nach dieser Erklärung, welche das allgeliebte Fest zu einem vorwiegend heidnischen macht, unsere Weihnacht und ihren freundlich strahlenden Lichterbaum nicht weniger lieben und nicht weniger wünschen, daß der alte Ruf, mit dem Freunde sich beim Abschiede vor dem fünfundzwanzigsten December trennen, der altehrwürdige Ruf: „Fröhliche Weihnacht!“ mit dem auch wir uns heute von ihnen verabschieden, noch lange Jahrhunderte wiederhalle.




Zwei Schiffbrüche.

Ein englisches Kriegsschiff, genannt „Birkenhead,“ zieht stolz und leicht, obgleich mit einem ganzen Regiment Soldaten belastet, durch den Ocean. Die Küste Afrikas, deren Bestimmung, ist schon in Sicht und Alles freudig geschäftig, die Landung vorzubereiten. Besonders eifrig sind die verschiedenen Soldatenfrauen, sich und ihre Kinder recht schmuck zu machen, um gleich beim ersten Betreten des frischen Bodens der Wilden in ihrer Weise der englischen Flagge Siege zu verschaffen. Mitten in dieser bienensummenden, ameisenwimmelnden Geschäftigkeit bekommt Jeder plötzlich einen gewaltigen Stoß, so daß Weiber und Kinder aufschreiend durcheinander purzeln. Der Kriegdampfer erhielt seinen Todesstoß von einem tückisch unter der Oberfläche lauernden Felsen und fing an, rasch zu sinken.

„In der halben Stunde sind wir alle unter Wasser!“ sagte der Ingenieur, nachdem er die Wunde unten im Schiffe gesehen.

„Keine Rettung möglich?“ fragte der Commandeur.

„Keine. Die Boote reichen kaum für die Frauen und Kinder hin.“

„Nun denn rasch mit allen in die Boote.“

Die Boote werden losgeschnitten, die schreienden Kinder und wehklagenden Frauen gewaltsam gepackt und hinuntergetrieben, ohne daß man allen erlaubt, den letzten Kuß auf die Wange des Gatten oder Vaters zu drücken, da keine Zeit mehr dazu ist. Der Commandeur befiehlt mit kurzer, militärischer Strenge, wer die Frauen und Kinder begleiten und leiten soll. Jetzt dröhnten die Wirbel der Trommeln durch das Schiff und riefen das ganze Regiment auf Deck. In wenig Minuten standen sie Mann an Mann in Reih und Glied. Der Commandeur theilte in kurzen, ernsten Worten mit, als wär’ es ein Tagesbefehl von einem Obern, daß das Schiff nach einigen Minuten versunken sein werde, daß Jeder als Mann und Soldat sterben und einen Namen zur Ehre der englischen Nation zurücklassen müsse. Frauen und Kinder seien gerettet und in den Händen des Staates und Gottes. Das Meer, das sie als Grab aufnehme, sei ein herrlicher Kirchhof: es berge fast nur brave Engländer. „Lasset uns mit Ehren zu ihnen hinabsteigen!“ Jetzt gab er Befehl zum Laden. Mit militärischer Pünktlichkeit geschah’s. Schon bis über die Knieen im Meere, standen sie immer noch in Reih und Glied und nahmen jetzt durch eine volle Salve Abschied von der sonnigen, warmen Oberfläche des Meeres und den Frauen und Kindern auf den Booten. Schulter an Schulter, Mann an Mann, sanken sie hinunter lautlos, Jeder zu stolz, den geringsten, feigen Versuch zu machen, ob er wenigstens sich retten könne. Die Pulverdampfwolke des Abschiedsgrußes zog still in die Lüfte nach Oben, das Regiment englischer Soldaten still verschwand es in den Wogen des Oceans.

Diese große, einfache Thatsache, erst einige Monate alt, bedarf weiter keiner poetischen Lobrednerei. Sie ist noch aus den Zeitungen im frischen Andenken und läßt sich deshalb ohne Vermittelung mit einem jüngern Ereignisse von wilderem dramatischen Effekte vergleichen.

Das große amerikanische Postdampfschiff „Arctic,“ eines der vier schnelligkeitsberühmten von Collies, ging am 27. September Mittags, nur noch 40 Meilen vom Cap Race, mit mehr als 800 Menschen unter. Die Sache ist aus den Zeitungen wohl bekannt genug und am Ende auch schon wieder unter dem Kanonendonner und den Leichen von Sebastopol verschüttet und vergraben. Wir rufen die schauderhafteste aller Scenen, die wie ein unvertilgbarer dreihundertfacher Kainsstempel auf der Stirne der amerikanischen Nationalgottheit, dem Goaheadism[1], brennt, auch nur deshalb zurück, um die demoralisirende Macht dieses Götzen leibhaftig zu zeigen im Contraste zu der vorher angedeuteten Tragödie, welche die göttliche, Heldenmuth einflößende Gewalt eines scheinbar ganz wesenlosen Ideals zur erschütterndsten tragischen Geltung und Anschauung bringt.

Die Collies-Dampfer fuhren mit den Cunard’schen (denen der concurrirenden englischen Gesellschaft) seit Jahren um die Wette und es gehörte zu dem stereotypirten Stolze der Yankees, daß die Collies’ die Marktpreise der Baumwolle in Liverpool und Manchester oft Stunden früher auf die New-Yorker Börse brachten. Aber das Dampfschiff „Arabia“ der Cunard’s wußte immer noch oft genug den Ruhm der Collies zu schmälern, so daß es Letzteren besonders darauf ankam, diese Arabia zu verdunkeln. Als diese nun am 16. September Liverpool verlassen, kam es dem „Arctic,“ der am 20. folgte, ganz besonders darauf an, den berühmten Rivalen, wenn auch nur um einige Minuten, zu schlagen. Zwar waren schon öfter bei solchen Wetthetzjagden Schiffe nur um eines Haares Breite vor Zerschmetterung vorbeigesaust; aber was schadete das? Galt es doch, ein gnädiges Lächeln von Baumwollspeculanten und Sklavenzüchtern auf der New-Yorker Börse zu erwischen. Capitain Luce auf dem „Arctic“ war schon ganz überzeugt, daß er diesmal einen glänzenden Sieg erringen würde. Fragte er doch nichts nach dem Nebel an der Neufundland-Bank, sondern ließ mit krachenden Maschinen ohne Lärmsignale durch das hier fast stets nebel- und schiffbedeckte Meer hindurchwüthen. So rannte ein kleiner französischer Dampfer „Vesta“ plötzlich von dem Bette einer großen Woge herauf in den hinunter stürzenden „Arctic,“ welcher eine große, breite Wunde nahe am Kiel unten bekam, während die „Vesta“ sofort bis in ihren untersten Raum zerschmetterte und in wenig Minuten sank. Die Wunde des „Arctic,“ 5 Fuß lang und 11/2 Fuß breit, war sofort tödtlich, da sie unter der


  1. Nur vorwärts um jeden Preis.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_612.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)