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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Er mag ein guter und gelehrter Mensch, ein ausgezeichneter Prediger und alles sein, was Vater an ihm mit so großer Vorliebe rühmt – aber er ist doch ein wenig zu häßlich!“

„Concordia!“ rief mahnend die Mutter.

„Ich weiß es, Mütterchen, der arme Vetter hat sich sein Gesicht nicht gemacht, er ist unschuldig daran, und ich beklage ihn, daß ihn ein solches Mißgeschick betroffen hat – aber kann ich dafür, daß mir dieses bleiche, zerrissene Gesicht nicht gefallen will? Als ich ihm vorhin den Kaffee präsentirte, kam ich ihm natürlich nahe, da empfand ich einen Widerwillen, daß ich selbst in die größte Bestürzung gerieth. Der Vetter dauert mich, aber heirathen kann ich ihn nicht. Gebt nur die Hoffnung auf,“ fügte sie entschieden hinzu, „seine moralischen Vorzüge werden mich nie so begeistern, daß ich sein Gesicht darüber vergesse.“

„Aber bedenke, mein Kind, es ist der Lieblingsplan des Vaters – –“

„Der Vater wird mich nicht zwingen wollen, einen Mann zu heirathen, den ich nicht leiden kann,“ fuhr Cordchen eifrig fort. „Lieber will ich gar nicht heirathen!“

„Der arme Vetter!“ seufzte die gutmüthige Mutter. „Wie muß ihn das kränken.“

„Liebes Mütterchen, was würde der Vetter sagen, wenn er ein schönes, glattes Gesicht, und ich ein häßliches, verunstaltetes hätte, das ihm denselben Widerwillen einflößt, den ich vor ihm empfinde? Er würde für eine solche Frau schönstens danken, und sich nach einer andern umsehen, die ihm gefiele. Das würde ihm kein Mensch verargen. Es gehört nur ein wenig Gerechtigkeitsgefühl dazu, um dies einzusehen. Bekenne offen: gefällt Dir der Vetter?“

Die Frau Pastorin befand sich zwischen zwei Feuern. Der Tochter konnte, und dem Gatten durfte sie nicht Unrecht geben. Sie hatte sich zwar noch nicht darüber ausgesprochen, aber im Grunde der Seele wünschte sie der einzigen, zärtlich geliebten Tochter einen hübschern Mann. Die Achtung vor den Ansichten des würdigen Ehegemahls hatte bisher die mütterliche Eitelkeit unterdrückt. Die Frau Pastorin hielt ihr Kind für das schönste Mädchen in der ganzen Umgegend.

„Mein Gott,“ flüsterte sie, „was soll denn nun geschehen?“

Concordia trat zu ihr an das Fenster, und flüsterte:

„Das will ich Dir sagen. Ich weiß zwar, daß der Vater die Vereitelung seines Plans ungern sieht, aber daraus, daß er das Zustandekommen der Heirath von meinem Gefallen an den Vetter abhängig gemacht hat, läßt sich schließen, daß er zu meinem Nachtheile nicht hartnäckig darauf beharren wird. So lange der Vetter hier ist, darf er meine Meinung nicht erfahren, aber auch dem Vater muß sie verschwiegen bleiben, damit er dem Vetter keine Eröffnungen macht, der nur dann erst das ihm zugedachte Glück erfahren soll, wenn ich einwillige. Später bereiten wir den Vater nach und nach vor, und Herr Arnold Vließ hat von dem ganzen Handel nichts erfahren.“

Der Mutter leuchtete zwar der Plan Concordia’s ein, aber sie konnte sich der Bemerkung nicht enthalten: „Es ist traurig, daß er Dir nicht gefällt. Ich hätte ihm wohl gewünscht, daß er unsere Pfarre bekäme.“

„Mein Gott,“ rief Concordia, „was hindert ihn, der Nachfolger des Vaters zu werden? Muß denn gerade mein Mann hier Prediger sein.“

„Und Du?“

„Ich werde schon einen Mann finden!“ sagte das junge Mädchen, indem es sich zu einer am Fenster stehenden Rose neigte, um die flammende Röthe des Gesichts zu verbergen. „Oder glaubst Du, Mutter, daß es dazu der Pfarre bedarf?“

„Nein, nein!“

„Fast sollte ich mich darüber ärgern!“ fuhr Cordchen muthig fort. „Ich wollte, Herr Arnold wäre schon unser Prediger, damit die Leute sähen, daß der Vater ohne Rücksicht auf mich ihn versorgt. Und damit der Vater sieht, daß ich seinem Schützling dennoch geneigt bin, ohne ihn gerade zu heirathen, werde ich ihn zu bestimmen suchen, keinen andern zu seinem Nachfolger vorzuschlagen. Hat Herr Arnold diese einträgliche Pfarre, so findet er auch eine Frau, trotz seines häßlichen Gesichts. Mehr kann ich nicht für ihn thun!“

Die Frau Pastorin, gerührt von dieser Großmuth, küßte ihre Tochter, und erklärte sich mit dem Vorschlage einverstanden. Hätten sie das Gespräch der beiden Männer in der Laube gehört, sie würden den Entschluß nicht gefaßt haben, dem Kandidaten zur Erlangung der Pfarre behülflich zu sein, trotzdem aber den Heirathsplan des Vaters zu vereiteln.

„Man weiß,“ dachte die Mutter, „daß Concordia, unser einziges Kind, nicht ohne Mitgift aus dem Hause geht – ein munteres, hübsches Mädchen und wohl erzogen ist sie auch – ich wette, daß sie schon gewählt hat. Ein Theologe ist es auf keinen Fall, denn sonst würde sie ihm die Pfarre aufbewahren – nun, es braucht ja auch nicht gerade ein Prediger zu sein.“

„Ich habe die Mutter auf meiner Seite,“ dachte Concordia, „nun darf ich hoffen, den Mann zu heirathen, den ich liebe. Je eher Herr Arnold die Pfarre bekommt, je eher bekomme ich meinen Mann, denn der Vater muß bei mir und meinem Karl wohnen, das ist nöthig und abgemacht. Ist der Vater in der vorliegenden unglückseligen Heirathsgeschichte aufgeklärt, so soll Karl um meine Hand bei ihm anhalten. Hu, was wird der gute Vater für Augen machen!“

Die Ankunft eines Landmanns, der den Seelsorger zu einem Sterbenden auf das benachbarte Filialdorf rief, lenkte die Aufmerksamkeit der Bewohner des Pfarrhauses von der Familienangelegenheit ab. Man kannte den Kranken; und war bestürzt über den plötzlichen Unfall. Pastor Braun rüstete sich zur Erfüllung seiner Amtspflicht, und bald fuhr er in der Kalesche davon, die der Bote mitgebracht hatte. Arnold beurlaubte sich von den beiden Frauen, um einen Spaziergang durch das Thal zu machen, und später dem Onkel entgegenzugehen. Concordia ermahnte ihn freundlich, das Abendessen nicht zu versäumen, im Falle er den Vater verfehlen sollte. Gedankenvoll hatte Arnold das Dorf durchschritten, und nur mechanisch hatte er auf die ehrerbietigen Grüße der Landleute gedankt, die in festlicher Ruhe vor ihren Häusern saßen. Ehe er sich dessen versah, befand er sich an dem Gitter des Parks. Erschreckt blieb er stehen.

„Das habe ich nicht gewollt!“ flüsterte er vor sich hin. „Ich darf, ich will sie nicht wiedersehen, um so leichter zerstöre ich den ersten Eindruck. Wäre es nicht thöricht, eine Neigung zu hegen, die offenbar zu keinem Resultate führt? Wie kann ich, ein armer Kandidat, mit einem durch Krankheit entstellten Gesichte, daran denken, selbst nur die Aufmerksamkeit dieser reizend schönen Dame zu erregen? Das sind die gewöhnlichen Launen des Schicksals,“ fügte er mit einer Art Bitterkeit hinzu: „es zündet in mir die Liebe nach einem unerreichbaren Gegenstande. Liebt der Maler nicht sein Werk, das ihm gelungen? Liebt der Dichter nicht seine Verse, die er in der Begeisterung geschrieben? Liebt der gefühlvolle, denkende Mensch nicht die unerreichbaren Sterne an dem herrlichen Abendhimmel? So will ich jene Jungfrau lieben. Sie sei mein Gemälde, mein Gedicht, mein Stern!“

Arnold schlug einen Fußweg in das Thal ein, und das verhängnißvolle Schloß verschwand hinter den Bäumen des Parks. Wie ein Träumender erreichte er einen Steg, der über einen Bach führte. Hohe Ulmen beschatteten das Bett des rieselnden Wassers, das ihn an Vorsicht mahnte. Schon hatte er den Fuß auf das schwankende Brett gesetzt, als er jenseits zwei Damen erblickte, die im Begriffe standen, denselben Pfad zu überschreiten. Wer beschreibt seine Bestürzung, als er die Bewohnerinnen des Schlosses erkannte! Rasch trat er zurück, und zog ehrerbietig den Hut.

„Deine Hand, Cäcilie!“ sagte die Mutter, als sie sah, daß der Fremde Platz machte.

„Ist das der Steg wieder, den wir vorhin überschritten?“ fragte Cäcilien’s Engelsstimme.

„Ja, mein Kind! Vorsicht, er schwankt!“

Der verwirrte Arnold, der seiner Sinne kaum mächtig am Ufer stand, hielt es für Aengstlichkeit, daß die Tochter sich von der Mutter führen ließ. Langsam kamen die Damen heran, und ihm blieb Zeit, sein Ideal in der Nähe zu betrachten. Cäcilie trug heute ein blaues Florkleid mit weißen Spitzen. Wie reizend stand diese Farbe dem wunderbar geformten Körper! Aber noch tausendmal reizender erschien ihm das zarte, matt geröthete Gesicht unter dem großen weißen Strohhute mit dem Kranze himmelblauer Kornblumen! Die Blicke auf den schwankenden Steg gerichtet, ging sie langsam an ihm vorüber. Wie eine Bildsäule stand er da; er vergaß zu grüßen, und als er wieder zur Besinnung kam, sah er Mutter und Tochter Arm in Arm hinter einem Wiesenbusche verschwinden. Um seinen Vorsatz war es geschehen;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_607.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)