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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

wo ich mir die Hunde kaufte, erfahren, so daß ich nicht eben im Gefühle großer Sicherheit reiste, obwohl ich mich mit den Hunden und dem Umstande zu trösten suchte, daß in Busch- und andern Herbergen viel übertrieben und gelogen wird. Doch als ich den einäugigen Cyklopen wirklich zu Gesicht bekam, half mir das Alles nichts. Zittert nicht für mich, denn ich schreibe meine Geschichte, wie jede andere, nachdem sie geschehen. Mich durch einen engen, steil zwischen Hügeln und Gebüsch herabfallenden Hohlweg hindurchwindend ward ich an einer Biegung plötzlich von einem überaus großen Känguruh beinahe mit sammt dem Pferde umgerissen. Es sprang in wilder Flucht über Büsche und Felsen. Meine Hunde setzten ihm nach, und ehe ich ihnen pfeifen konnte, ward ich aus gar nicht großer Entfernung von einer rauhen, heiseren Stimme angeschrieen: „Ergieb Dich oder ich blase Dir’s Hirn aus!“ Da stand das häßliche, einäugige Gespenst leibhaftig vor mir – mit zwei Augen, denn das fehlende ersetzte der mich sehr unfreundlich anglotzende Flintenlauf. „Dein Pferd und Du sollst leben!“ setzte er hinzu, während ich das Pferd schon gewendet, mich platt auf dessen Hals niedergedrückt und um die Biegung davon gesprengt zu sein glaubte. Doch fühlte ich seine Kugel noch ziemlich dicht am Nacken hinstreifen. Ich peitschte auf das Pferd, daß es sich wie rasend empor wand. Ich zwang es seitwärts in das Gebüsch hinein, da die Flucht aufwärts sehr riskant erschien. Aber hier ritt ich ihm gerade wieder entgegen. Er stürzte auf mich zu mit umgekehrter Flinte, um mit dem Kolben zu arbeiten. Ein riesiger Baum, der uns im Wege lag, ward von meinem braven Thiere meisterhaft übersprungen, aber auf der andern Seite hing sich ein Fuß im Gesträuch, so daß es auf den Kopf und ich über es hinstürzte, jedoch ohne den Zügel zu verlieren. Jerry, ganz außer Athem und mit aufgeblasenen Nüstern hervorstürzend, holte mit aller seiner Wuth aus, doch fing sich beim Schlage der Kolben in einem starken Baumzweige, so daß ihm das Gewehr aus der Hand geschleudert wurde. Das Pferd erhob sich, der Kerl griff nach dessen Zügeln, ich hieb ihm aber mit dem dicken Ende der Reitpeitsche einen so herzhaften Schlag über’s Gesicht, daß er unwillkürlich mit der Hand danach fuhr. Nach dem zweiten Hiebe griff er mich wüthend mit beiden Händen, ich desgleichen, so daß wir auf die roheste, ungekünstelte Weise um’s Leben rangen. Wir rollten über einander, während ich mit der rechten Hand sein linkes Handgelenk festhielt und mit der rechten in seinem Barte gleichsam festen Fuß gefaßt hatte, da mir es nicht gelungen war, die Gurgel zu packen. Bald hatte er mein Halstuch, zwischen welchem er seine furchtbaren Knöchel in meinen Hals drückte, so daß er mich jedenfalls erwürgt haben würde, hätte der leichte Stoff unter seiner furchtbaren Faust nicht nachgegeben. Jetzt griff er nach seinem Messer. Ich benutzte diesen Augenblick, ihm mit geballter Faust das einzige gesunde Auge auszuschlagen. Er brüllte und knirschte und kniete auf meiner Brust, während er nach dem Messer umhergriff. Mir fielen die Hunde ein, ich rief ihnen mit aller meiner Kraft und hatte die Genugthuung, zu finden, daß sie ihrem neuen Herren zu dienen verstanden. Das Fluchen und Brüllen des Räubers verwandelte sich plötzlich in ein entsetzliches Geheul. Der eine Bulldogg hatte den Räuber im Nacken, der andere in der Seite gepackt. Er ließ mich los und kämpfte mit ihnen, doch nur kurze Zeit. Bald lag er zerrissen und zuckend unter ihnen. So lange er noch zuckte, waren die Hunde nicht abzubringen. Als er todt war, sahen sie mich beide an und wedelten mit den Schweifen, als wären sie von den Lobpreisungen, die ich fühlte, vollkommen überzeugt.

„Die Hunde sahen noch mehrmals auf ihr Werk. Ich konnte es nicht und ritt in einer Tour fünfzehn Meilen, wie ein auf den Fersen verfolgter Mörder. Erst auf der nächsten Viehstation kam ich ordentlich zur Besinnung, und die Polizei, der ich meine Mordthat mittheilte, erlöste mich von meiner wirren Pein, indem mich Einer auf die Schultern klopfte und schmunzelnd sagte: „Nur keine Sorge, mein Herr! Ist schon Alles gut nun. Und was die Beerdigung betrifft, werden ihm schon die Geier und Adler zeitig genug ein anständiges Begräbniß besorgen.“ (Es folgen einige minder interessante und tragische Abenteuer, zuletzt die Bemerkung:) Ich trage jetzt jeden Morgen um das frisch rasirte Kinn frische Vatermörder und sehe überhaupt wieder wie ein Gentleman aus. Bei einem deutschen Holzhändler in Melbourne [1] habe ich eine ganz einträgliche Stellung gefunden.




Die Feuerwaffen der Neuzeit,
namentlich
Miniébüchsen und Lancasterkanonen.

Die Ereignisse in Bomarsund haben der Ungewißheit über die Wirksamkeit mehrerer der neuerfundenen Kriegswerkzeuge ein Ende gemacht und es ist jetzt klar, daß die stärkstgebauten Batterien, selbst wenn sie aus fest mit Klammern verbundenen Granitblöcken bestehen und mit Eisenplatten kasemattirt sind, in Trümmer gehen müssen, wenn eine schwere Metallmasse auf geschickte Weise gegen sie gerichtet wird. Eben so klar ist, daß ein mit der Miniébüchse bewaffnetes Infanteriepeloton selbst bei Belagerungsoperationen eine höchst wirksame Hülfe leisten kann und daß die Spitzkugel würdig ist, der Vollkugel und Bombe der weittragenden Kanone und des Mörsers an die Seite gestellt zu werden. Es sind in der letzten Zeit so viele Verbesserungen mit diesen Feuerwaffen vorgenommen worden, daß eine kurze Beschreibung der neuesten für unsere Leser nicht ohne Interesse sein wird.

Schon im Jahre 1827 lenkte Delavigne, Offizier bei der Garde du Corps Karl’s X., die Aufmerksamkeit des Königs auf mehrere Verbesserungen an der Büchse, wobei sein Hauptzweck vermehrte Leichtigkeit des Ladens war. Er war der Erste, welcher den Kammerstoß vorschlug, der jetzt seinen Namen trägt. Dieser Stoß war in der Kammer, welche das Pulver enthält, nach Art dessen in einem Mörser gebildet und die Kugel rollte frei in den Lauf hinein, bis sie auf den Vorspringen oder Schultern dieser Kammer liegen blieb, wo sie dann mit dem Ladestock einige kräftige Stöße erhielt, um sich ein wenig in die Breite zu drücken. Anstatt dies aber zu thun, nahm die Kugel meistentheils dadurch eine unregelmäßige Gestalt an, welche ihren Flug wesentlich beeinträchtigte. Um diesem Mangel abzuhelfen, erfand Delavigne eine längliche Kugel mit Furchen oder Einschnitten, welche den Zweck hatten, die Reibungsfläche oder Friction zu vermindern. Kurz darauf bemerkte Tamassier, daß solche gefurchte oder mit Einschnitten versehene Kugeln weit richtiger gingen als glatte und schloß daraus, daß die Atmosphäre auf sie eben so wirke, wie auf die Federn eines Pfeils. Deswegen begann man überall sie einzuführen. Bald nachher verbesserte Oberst Thouvenin die von Delavigne erfundene Stoßkammer dadurch, daß er einen stählernen Dorn in den Stoß der gewöhnlichen Muskete einschraubte, auf welchen die Kugel zu sitzen kam, während das Pulver vollauf Raum zur Explosion hatte. Diese einfache Vorrichtung, welche als eine große Verbesserung der Idee Delavigne’s betrachtet ward, ist diejenige, welche noch jetzt an den Büchsen der Jäger von Vincennes angebracht ist.

Die Miniékugel, nach welcher die Miniébüchsen benannt sind, ward von dem Capitain Minié, einem Offizier der französischen Armee, erfunden, und war die erste, die unten mit einem


  1. Bei dem ehemaligen preußischen Lieutenant Techow, welcher bei der Uebergabe des berliner Zeughauses 1848 betheiligt war.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_599.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)