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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

französische Kunst gründlich kennen zu lernen. Und der Künstler that dies; einige Zeit kämpfte er zwischen deutscher und französischer Kunst. Den Polen zog zwar die Liebenswürdigkeit, die Feinheit und der Glanz der Letzteren besonders an, aber seinem tieferen Wesen, seiner unendlichen Natürlichkeit auch für die höchste Tragödie, seinem keuschen, sittlichen Kunstsinn trat die deutsche Kunst doch viel näher; sie gewann den Sieg über ihn. – Nun nach Lemberg zurück; dort noch tüchtig gespielt, den polnischen Accent bemeistert, ein Dutzend großer Rollen klassischer Werke einstudirt, traurigen und doch hoffnungsglücklichen Abschied von einer geliebten Braut (einer liebenswürdigen feinen Schauspielerin am polnischen Theater zu Lemberg) – und nun hinaus in das Land seiner Sehnsucht, nach Deutschland. – Er kam zuerst nach Breslau. Der große, knochigstarke Mann mit dem gewaltigen Kopfe, den scharfen, leidenschaftlichen Zügen, den unruhigen, eckigen Bewegungen und dem noch immer fremdartigen Accent, der Mann ohne alle die nothwendigen Requisiten von blauem Frack mit blanken Knöpfen, goldener Uhrkette, großem Siegelring, gelben Glacéhandschuhen, Empfehlungsschreiben, fuchsschwänzelnden und einschmeichelnden Redensarten, sondern eben nur jene herbe, spröde, fremdartige Erscheinung, mit dem einfachen Worte: „Ich bin Pole, habe aber in Lemberg schon Deutsch gespielt und möchte das auch hier thun“ – bekam als Antwort ein höhnisch freundliches Achselzucken.

Fünf Jahre später stand dieser Mann auf demselben Platze, als der hochgefeierte Gast vom kaiserlichen Burgtheater in Wien. Denn jener vor Frost und Hunger und Seelenschmerz weinende Knabe vor dem farbenbeschmierten Brette im armen Zimmer der Vorstadt Warschaus: er ist jetzt der größte, gefeiertste Schauspieler der Gegenwart, die erste Zierde am edelsten und schönsten deutschen Theater; in Farbe und Marmor schon verewigt, und der Centralpunkt von intelligenter Bewunderung und Liebe in der intelligenten Hauptstadt Sachsens, – es ist Bogomil Dawison in Dresden. – Von Breslau ging der Abgewiesene tiefgekränkt, doch nicht entmuthigt, hinweg. Um die scharfen Züge, mit dem Sarkasmus des Genies durchzückt, mag da wohl ein stolz-ironisches Lächeln der Bitterkeit und des Selbstbewußtseins gespielt haben. – Und so noch oft, denn noch oft wurde der fremdartige Mann, – manchmal wohl mit einem gewissen unheimlichen Gefühle solch trotziger Kraft gegenüber, – abgewiesen. Er litt viel! Innerlich und äußerlich. Aber das waren eben nur die formenden, härtenden Hammerschläge des Geschicks. – Einer derselben und eigentlich der letzte der schweren, hätte ihn bald vernichtet: er kam nach Berlin und sein erster Eintritt war eigentlich kein solcher, sondern ein Niedersturz, der eine gefährliche und höchst schmerzliche Verrenkung eines Beins bewirkte. Der arme, kranke, fiebernde Mann wurde in das Krankenhaus gebracht. Hier lag er drei Monate. Sein erster Ausgang galt dem ungeschwächt festgehaltenen Ziel: er ging zu Louis Schneider, dem damals noch sehr beliebten Schauspieler am königlichen Theater, dem geist- und kenntnißreichen Schriftsteller und liebenswürdigen Baudeville-Dichter. Dieser hatte ihn schon in Warschau kennen gelernt und ihm seine künstlerische Aufmerksamkeit zugewendet. Jetzt gab er ihm einen warmen Empfehlungsbrief an seinen Freund, dem Director des damals noch neuen und vortrefflichen Thalia-Theaters in Hamburg, Herrn Maurice, und Dawison kam im Winter 1847 nach Hamburg. – Hier war die Grenze seiner Leiden, der Anfang seines Ruhmes. Er trat zuerst auf als Hans Gürge in Holtei’s: „Die Perlenschnur“ und als Czsolsky im Maltitzschen: „Der alte Student.“, Ein paar junge schwärmerische Dichter fanden sofort „das Genie“ heraus; der göttliche Instinct im anfangs stutzigen, dann frappirten, zuletzt electrisirten Publikum fühlte unbewußt dasselbe und während einige alte Kritiker und Recensenten auf den Corridoren sich noch herumstritten: ob der neue Gast wirklich Talent habe, hatte ihn der sichre und praktisch schauende Director Maurice schon zu 32 Gastrollen engagirt. – Nach 14 Tagen war Dawison schon „der Löwe des Tages“ und das Thalia-Theater durch ihn angefüllt wie sonst selten. – Noch einige Zeit – und er war mit bedeutendem Gehalte auf zwei oder drei Jahre engagirt. Nun reiste er nach Lemberg und holte seine theure Braut als liebes, junges Weib in die neue Heimath.

Das war der erste Abschnitt seines neuen Lebens.

Sein Ruf ging nun schon durch die deutsche Theaterwelt. Gutzkow, damals Dramaturg am dresdner Hoftheater, suchte ihn unter glänzenden Anerbietungen für dasselbe zu gewinnen; desgleichen der General-Intendant von Küstner, für das Hoftheater in Berlin; Beide aber unter der Bedingung, daß Dawison sich nach seinem ersten Gastspiel engagiren lassen müsse, wenn er gefalle; Dawison aber in seiner freien, echt künstlerischen Weise, wollte auch eine ähnliche Bedingung für sich haben.

„Ich soll zeigen ob ich gefalle, – nun, so will ich denn auch sehen, ob es mir gefällt; habt Ihr Eure Freiheit mich nicht zu engagiren, wenn ich Euch nicht gefalle: so will ich auch die Freiheit haben, mich nicht engagiren zu lassen, wenn es mir bei Euch nicht gefällt.“

Diese echt künstlerische, aber bei einem noch nicht „berühmten“ Schauspieler ganz unerhörte Bedingung, wurde nicht angenommen und Dawison blieb noch in Hamburg, bis Herr von Holbein, damals noch Intendant des kaiserl. Burgtheaters in Wien, sie annahm und ihn 1849 zu Engagements-Gastrollen auf gegenseitiges Gefallen einladete. Des Letzteren war Dawison so sicher, daß er seine Familie, die sich um einen reizenden Knaben vermehrt hatte, gleich mit nach Wien nahm. – Seine Sicherheit wurde so glänzend gerechtfertigt, daß er gleich nach den ersten Rollen auf mehrere Jahre und mit dem bedeutendsten Gehalte der ersten Koryphäen daselbst engagirt wurde. Bald zählte man auch ihn dazu. Nun wurde sein Ruf immer größer, seine Gastspiele in den ersten Städten Oesterreichs zündeten überall in selten erlebter Gewalt; dann kam er nach Breslau. Wo man ihn damals mit höhnischem Achselzucken nach Brieg und Ohlau verwiesen hatte, flogen ihm jetzt Lorbeerkränze entgegen. – Aber für das allgemeine Deutschland war er noch kein „berühmter“ Name. Erst der eifrig-künstlerischen Intendanz, dem lebendig empfänglichen und gebildeten Publikum und der warmen und geistvollen Kritik und Intelligenz Dresdens war es vorbehalten: von hier aus Dawison’s Name durch das ganze Vaterland tragen zu lassen und seinem großen Genius die vollste Anerkennung und Geltendmachung zu verschaffen.

Im Sommer 1852 gastirte Dawison zum ersten Male in Dresden, als hier noch nicht bekannter Name, in seiner ersten Rolle vor leerem Hause; in der zweiten schon vor weit vollerem, in der dritten vor gedrückt vollem Hause und mit den übrigen bewirkend, was Roger und Demoiselle Rachel nicht vermochten: bei peinigend schwüler Sommerhitze alle Räume des Hauses über und über zu füllen. Das war die Macht des Genies, das sich in wenigen Tagen eine große Stadt gewann. Freilich gehörten zu solchem Siege auch die übrigen oben berührten Elemente in dieser Stadt. Sie machten dieselbe dem Künstler auch unendlich lieb und schätzenswerth und mit demselben Eifer, womit ihm schon bald wieder ein zweites Gastspiel dort angeboten und von hoher Seite her ermittelt wurde, nahm er es an. So kam Dawison im Dezember 1852 zum zweiten Male nach Dresden und was seit Jahren bei einem Schauspieler nicht erlebt war: sein Gastspiel wurde mit erhöhten Preisen angekündigt und dennoch bei stets vollem Hause, unter dem donnernden Jubelrufe des Publikums, unter der höchsten und allgemeinsten Anerkennung der Kritik ausgeführt.

Dem armen, vor Frost, Hunger und sehnsüchtigem Geistesdrange weinenden Polenknaben vor dem farbenbeschmierten Thürschilde, gaben die Koryphäen der Intelligenz und Kunst der Hauptstadt Feste, als dem größten Schauspieler der Gegenwart; er wurde zu den Majestäten nach Hofe geladen und kehrte ruhmgekrönt zu seiner glänzenden Stellung in der Kaiserstadt zurück, wo Statuen und Bilder ihn verewigten, wo er mit dem größten Gehalte aller dortigen ersten Größen aufs Neue für viele Jahre gewonnen wurde.

Doch „der Mensch versuche die Götter nicht!“ So auf dem Gipfel seines äußeren Ruhmes und Glückes, sollte er doch nicht völlig glücklich sein. Die feine Organisation seiner Frau, begann an der wiener Luft zu kränkeln: es zeigte sich die Nothwendigkeit, die zarte, liebe Pflanze in ein helleres, frischeres Licht zu bringen und Dawison, der erst Gatte und Vater und dann erst Künstler sein wollte, sah die Nothwendigkeit ein, seine große und glänzende Stellung am kaiserlichen Theater zu verlassen. Er bat um Entlassung, – dringender und dringender; – man versprach, man wies ab und versprach wieder. Aber der heißblütigen und rasch energischen Natur Dawison’s, so wie seiner auch wohl zu ängstlichen Gattensorge, war solches Zaudern und Hin und Her unerträglich und führte dann, in Verbindung mit Direktor Laube’s

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_594.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)