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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

begreiflich zu machen was ich von ihm verlangte. Er beroch sie, weil ich’s ihm hieß, aber ohne irgend ein Interesse dabei zu verrathen und sah nach meinem Gewehre, das ich in die Ecke gestellt hatte. Ich ließ es stehen und ging mit ihm hinaus. Auf der Schwelle beroch er die Schuhe des Knaben und darüber freute ich mich.

„Das Kind war nun achtzehn Stunden schon fort und die Spur von seinen Fußtapfen in der Nähe des Hauses ließ sich schwerlich auffinden, wenn ich dem Hunde auch hätte begreiflich machen können, daß er derselben folgen solle. Die Wege nach den Nachbarn und die nähere Umgegend des Hauses waren schon durchsucht worden und so nahm ich mir vor, sogleich in die Prairie hinaus zu gehen. Der Hund folgte mir, sah aber gelegentlich verwundert nach dem Hause zurück, in dem ich die Flinte gelassen hatte.

„Wir waren etwa eine Viertelstunde weit von dem Hause weg, als ich den Hund wieder zu mir rief und ihm verständlich zu machen versuchte, was ich wünschte. Er beschnoberte den Strumpf des Knaben, den ich mitgenommen hatte und sah mich an, als wolle er aus meinem Gesichte erkennen, was er mit dem Strumpfe solle. Dann lief er in einer Richtung fort und sah sich nach mir um, als wolle er sich überzeugen, ob er es recht gemacht habe. Ich rief ihn zurück und hielt ihm wieder den Strumpf vor, vergebens wie es schien, denn er lief nun in einer andern Richtung fort und sah sich um wie um zu fragen, ob es so recht sei. Ich rief ihn wieder zurück und er ging verlegen und verdrüßlich neben mir.

„Die Nachbarn hatten sich unterdeß nach allen Richtungen hin zerstreut zu dem fast hoffnungslosen Suchen, denn der Knabe konnte unterdeß Stunden weit gelaufen sein und wir wußten auch, daß wir zehn Schritte von ihm vorüber gehen konnten, ohne ihn in dem hohen dichten Prairiegrase zu bemerken. Aber die arme Mutter hatte ihre letzte Hoffnung auf mich und meinen Hund gesetzt. So gingen wir Stunden lang. Von Zeit zu Zeit versuchte ich immer wieder, dem Hunde begreiflich zu machen was man von ihm erwarte, immer vergebens. Einmal kam er rasch zu mir und sah mich mit glänzenden freudigen Augen an; als ich ihm den Strumpf des Knaben vorhielt, faßte er ihn mit den Zähnen und trug ihn stolz als wollte er sagen: „Nun weiß ich’s, den Strumpf soll ich tragen.“

„Mein Gesicht muß unwillkürlich meine Gedanken verrathen haben, denn er ließ gleich darauf Kopf und Schwanz hängen und brachte mir den Strumpf wieder. Ich nahm ihm denselben ab, streichelte ihn aber und ging langsam weiter.

„Endlich blieb er stehen, beschnoberte den Boden, sah erfreut aus, lief hin und her, um eine frischere Spur zu finden, blickte zu mir empor und lief langsam fort, die Nase dicht am Boden haltend. Wir folgten ihm, ich zum erstenmale mit der Hoffnung, daß er doch wohl endlich verstanden habe, was er thun solle. Aber er folgte vielleicht – wahrscheinlich sogar – der Fährte eines Wildes. Aber nein, er beschnoberte ein großes Gras, zu hoch oben, als daß ein Vogel so weit hinauf hätte reichen können, und ein Hirsch konnte nicht da gegangen sein, da wir keine Fährte sahen, auch kein Wolf, denn der Hund knurrte nicht und wieß nicht die Zähne wie er es immer that, wenn er eine Wolfsfährte fand. Er ging weiter und weiter, beroch einen jeden Grasbüschel, jede Prairieblume, blieb stehen, schnoberte lange und drückte dabei die Augen halb zu, als wolle er ganz allein den Geruchsinn wirken lassen.

„Die Mutter war dicht neben mir und fragte jede Minute: „Hat er die Spur? Wird er das Kind finden?“ Ich wagte nicht ja zu sagen, denn ich wußte es nicht, gleichwohl hatte ich den Hund noch nie so auf einer Fährte gesehen. Die Fährte war jedoch nicht warm, wovon sie auch herrühren mag, denn er blieb stehen, lief in weitem Kreise umher und kehrte an dieselbe Stelle zurück; er hatte die Spur verloren.

„Er machte einen neuen Versuch in weiterm Kreise; nichts. Er bellte ärgerlich, kehrte sich plötzlich um und verfolgte im scharfen Trabe seine eigene Spur wohl zweihundert Ellen weit zurück. Da blieb er stehen, beschnoberte den Boden, kam an einen Büffelweg und ging langsam und bedächtig über denselben quer hinüber, dann rasch vorwärts, er hatte offenbar die Spur, die er suchte, plötzlich aber blieb er stehen und kehrte um, etwa als habe er vergessen einen Grasbüschel zu beachten, an dem er eben vorbei gekommen. Ich besah diesen auch und da an dem dürren Stengel hing ein kleines Stückchen blauer Baumwolle. Die Mutter sah, daß ich es betrachtete, kam schnell herbei, entriß mir die kostbare Reliquie und sagte, sie wisse bestimmt, das sei von ihrem Hans. Ich dachte es auch; aber wie lange konnte das Baumwollenstückchen da gehangen haben! Der Hund war unterdeß voraus gekommen und wir eilten ihm nach.

„Denken Sie sich recht lebhaft die arme Mutter. Sie verwendete kein Auge von dem Hunde und folgte jeder seiner Bewegungen. Sie hoffte bereits und ich hatte nicht den Muth, durch Zweifel und Bedenken sie zu stören. Der Hund lief immer noch voraus und ich hatte die einzige Noth jetzt, die ungeduldige Mutter zurückzuhalten, damit sie dem Hunde nicht vorlaufe und so die Spur verderbe.

„Von allen Seiten her kamen die übrigen suchenden Nachbarn auf uns zu. Wir blieben in gehöriger Entfernung von dem Hunde und Aller Augen folgten ihm. Er hatte offenbar die Spur, aber sie war schwach; er wußte was er sollte. Stunden lang folgte er so der Spur des Knaben, die sich bald hier hin bald dort hin wendete, und aller Zweifel hörte auch bald auf: da auf einer alten Büffelfährte zeigte sich deutlich die Fußtapfe eines Kindes. Ich stellte rasch meinen Fuß darauf, damit die Mutter sie nicht sehe, weil ich fürchtete, ihr Eifer werde sich dann nicht mehr zügeln lassen und den Hund stören, der unsere einzige Hoffnung war. Aber meine Bemühung war vergebens; sie hatte meine Bewegung gesehen, lief vor und sah eine andere Fußtapfe. Ich hielt sie fest, ehe sie dieselbe erreichte und während sie in einem Tone, den ich in meinem Leben nicht vergessen werde und der nur aus einer geängstigten Mutterbrust kommen kann, aufschrie: „das ist seine Spur! Mein Kind! Mein Kind!“ betrachtete ich mit Jägerauge und Aufmerksamkeit die Fußtapfe. Es war der deutliche Abdruck eines Kinderfußes in weichem Staube. Die Fußtapfe war übrigens gemacht, nachdem die Sonne aufgegangen und der Thau aufgetrocknet, da der Staub ganz trocken gewesen war, als der kleine Fuß darauf getreten. Ein Wurm war darüber gekrochen; also war doch schon längere Zeit vergangen, seit sie entstanden. Wir konnten vielleicht noch eine Stunde weit gehen müssen, ehe wir den Knaben einholten, wenn ihn nicht Ermüdung aufgehalten. Die Aufgabe, ihm zu folgen, war nicht leicht, da der Knabe auf dem Büffelwege fortgegangen war. Die Leute alle mußten mindestens einen Steinwurf weit hinter dem Hunde zurückbleiben. Ich allein blieb bei ihm. Er freuete sich, denn er wedelte mit dem zottigen Schweife. Der Weg, auf dem wir gingen, war vielleicht schon seit hundert Jahren von Büffeln und Indianern gegangen; er führte die kleinen Hügel hinan, in die kleinen Thäler hinein und wieder hinauf. Auf ihm in der weiten Prairie, den blauen Himmel über uns, die grüne Erde unter uns, folgten wir der Spur, nicht um zu tödten, was wir suchten, sondern um zu retten, denn es war ja das theuerste Gut zweier Menschenherzen, der reichste Schatz einer Prairie-Farm. Auf dem Gipfel eines Hügels blieb der Hund stehen; die Mutter und ich standen neben ihm. Gewiß war da das Kind gewesen, um sich umzusehen, wo das Haus des Vaters stehe. Vergebliche Hoffnung! Von da aus war keine Spur von einer menschlichen Wohnung zu sehen. Er war oben auf dem Gipfel rund um gegangen, um nach allen Seiten hinzusehen. Er hatte sich niedergesetzt, um auszuruhen, vielleicht zu weinen, denn ich konnte am Wege den Eindruck der beiden Fersen sehen.

„Aber wieder war er fort und – wohin? Der Hund suchte und suchte lange, bis er an der Seite des Hügels hinunter in das grüne Gras hineinlief, so schnell, daß wir, ich und die Mutter, kaum mit ihm Schritt halten konnten. Er führte uns an einen kleinen Bach, an dem der Knabe getrunken hatte. Wir konnten sehen, wo die kleinen Füße in den weichen Boden am Ufer getreten waren, und wo er niedergekniet, sah man beide Hände eingedrückt. Von da ging die Spur wieder rückwärts. Da plötzlich blieb der Hund stehen und sein Wesen änderte sich. Er hielt die Nase nicht mehr an den Boden, um der Spur zu folgen, er hob den Kopf empor, streckte den Hals und ging fest und sicher weiter. Er brauchte sicherlich der Spur nicht mehr, er witterte den Knaben wo er lag. Ich bemerkte diese Veränderung sogleich und kannte ihre Bedeutung, wagte aber nicht der Mutter etwas davon zu sagen. Aber was entginge einer Mutter, die ihr Kind sucht? Sie bemerkte, daß der Hund sicher nach einer Stelle zu ging, rief aus: „er hat es gefunden! er hat es!“ stürzte an mir vorbei, als fliege sie und im nächsten Augenblick hörte ich des Knaben Angst- und der Mutter Freudenschrei.

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