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Ausdrucke in seiner Mahlzeit zu stören scheint. Hat er so das Gesicht weggelöscht, saugt er, falls er ungestört ist, mit Muse die Knochen ab und aus. Dabei geht er so ökonomisch zu Werke, daß er oft mit dem kleinen Finger anfängt, dann jeden andern Finger einzeln vornimmt, zur Hand, dann zu den Füßen fortschreitet und so endlich alle Knochen aussaugt, ohne diese selbst zu zerbeißen.

Unser Engländer erhob sich, gerade dem Bären dicht gegenüber, von seinem Falle und hielt unwillkürlich eine Hand gegen die ausschlagende Tatze. Der Schlag fiel, so daß ihm der Arm zerbrochen und ein Theil des Gesichts zerrissen ward. In demselben Augenblicke fuhr dem Bären eine vierte Kugel durch die Ohren in’s Gehirn, so daß er todt auf den Engländer hinstürzte und ihm den gebrochenen Arm dabei noch einmal brach. So zugerichtet, ward er schnell, aber doch sehr mühselig und kostspielig über Land nach London gebracht und zwar vollkommen wieder hergestellt, aber nicht ohne den Denkzettel, den ihm Braun zwischen Ohr und Auge eingegraben, sehr deutlich zu behalten.

Die finnischen Bauern, die nicht mit Schießgewehr spielen dürfen, haben eine geniale Methode erfunden, den Bären zum Selbstmörder zu machen. Seine Passion für Honig benutzend, hängen sie vor die Baumhöhlungen, in denen wilde Bienen ihren Honig getragen, an langen Stricken große Steine oder Kanonenkugeln. Der Bär schiebt das Hinderniß auf die Seite, das ihm in den Honigkeller im Wege ist. Das Hinderniß kommt dadurch in Schwingung und giebt ihm einen leisen Schlag an den Kopf. Er schiebt den Stein unwilliger hinweg, das dritte Mal schon ärgerlicher, das vierte Mal aufgebracht, das fünfte Mal wüthend, das sechste Mal rasend und so fort, da der Stein jedesmal desto schwerer und wuchtiger zurückprallt, je leidenschaftlicher er ihn von sich schlug. So sieht man ihn Stunden lang mit Pfoten, Klauen, Kopf und Rachen gegen den Stein kämpfen und brüllen und wüthen, bis er sich durch seine eigene Wuth thatsächlich selbst den Kopf zerschlagen hat, nachdem Hals, Rücken und Tatzen mit Beulen bedeckt sind. Nur zuweilen rettet ihn der Zufall seiner Wuth, wenn er den Strick selbst faßt, zerkratzt und zerbricht. Das geschieht jedoch selten, so daß die finnischen Bauern alle Winter eine Menge Bären abziehen, die auf die angegebene Weise an sich zum Selbstmörder wurden.




Kinder-Ausstellung in Amerika. Die Leistungen der Menschheit werden jetzt in allen Sphären und Phasen der Kritik und Oeffentlichkeit, der Concurrenz und Veredelung anheim gegeben, selbst Kinder. Die letzte große Kinderausstellung in Springfield (Staat Ohio, unweit Cincinnati) wird als wahrhaft glänzend geschildert. Auf einem 30 bis 40 Quadratfuß großen Plakate waren alle Besitzer und Besitzerinnen von Kindern zur Theilnahme und Concurrenz für die ausgestellten Preise aufgefordert worden. Es lautete (in der Uebersetzung) folgendermaßen:

„Große National-Convention von Säuglingen.

„Die Säuglinge der vereinigten Staaten werden eingeladen, auf dem Platze der Clark-Kreis-Ackerbaugesellschaft, Donnerstag, 5. Oktober 1854 sich mit Aeltern und Liebhabern einzufinden. Man wird für die beste Bequemlichkein Sorge tragen. Zu diesem Zwecke wird für die Versammlung ein glänzenden Zeltenhaus, das 10,000 Personen fassen kann, errichtet werden. Die Unterzeichneten hoffen deshalb, die größte Kinder-Convention, die jemals gehalten worden, zu sehen. Ein aus unbetheiligten Damen und Herren bestehendes Comité wird für die am Besten befundenen Kinder drei Preise im Werthe von 500 Dollars zuerkennen. Um diese Preise kann sich Jeder bewerben, nur unter der Bedingung, daß das concurrirende Kind nicht über zwei Jahre alt und in den vereinigten Staaten geboren sei. Das Comité verbürgt sich für alle Bedingungen des Gelingens, die irgend mit Geld, Mühe und Sorgfalt erreicht werden können. Es wird für die strengste Ordnung und die genaueste Beobachtung des Anstandes Sorge getragen werden, wozu eine Specialpolizei von hundert Mann angestellt werden wird, die Jeden, der sich die geringste Verletzung des Anstandes zu Schulden kommen lassen sollte, zu verhaften Befehl hat, so daß keine Dame Bedenken zu tragen braucht, sich zu betheiligen. Hoffen wir, daß Kinder in möglichst großer Anzahl erscheinen werden, so daß wir eine herrliche Ausstellung von Knospen zu sehen hoffen, mit der keine Blumenausstellung concurriren mag. Wir werden das Unsrige thun; thue Jeder das Seine. – Das Lokal-Executiv-Comité: H. Vival, J. Paist, J. Kleinfelder (Deutscher), R. Masow, G. H. Frey (Deutscher), E. B. Cassilly, B. H. Warder. –“

So hatten sich denn zum Jahrmarkt in Springfield im großen Zelte am 5. Oktober 120 tüchtige Schreihälse eingefunden, Knospen von Ohio, Pennsylvania, Luisiana, Massachussets und Indiana. Zwölf Frauen und zwölf Herren saßen zu Gericht, als man die übliche Vieh-Prüfung und die Ackerbauwerkzeug-Concurrenz (Wettpflügen u. s. w. – die olympischen Spiele Amerika’s, Stellvertreter der Paraden in der alten Welt) vollendet und mit Preisen gekrönt hatte. Das ungeheuere Zelt war übervoll und 120 Knospen bemühten sich, das Publikum durch ein sehr naives Vocal-Concert zu unterhalten, wozu die Mütter pischten und huschten, damit die Knospen den Preis nicht verschrieen. Den ersten Preis erhielt die zehn Monat alte Tochter eines William Rower aus dem Clark-Kreise (blieb also im Kreise) – ein Silber-Service; den zweiten, eine silberne Schüssel, der Sohn von M. M’Dovell aus Hamilton, den dritten, eine einfache silberne Schüssel, die Tochter eines Mr. Cann aus Philadelphia. Nach diesem Urtheilsspruche mit Preisvertheilung entstand ein ungeheurer Jubel, aber nur auf kurze Zeit, da das Volksurtheil im Widerspruche mit den Richterinnen die Tochter eines Mr. Howe aus Cincinnati allgemein für die schönste „Baby“ erklärt hatte. Ein Herr Graff beschenkte, dem Volksurtheile huldigend, die Schönste mit einem silbernen Krucifixe, einem vermeintlich frommen, aber wirklich sehr gottlosen Spielzeuge. Nach diesem Kinderfeste kam das Damenwettrennen, d. h. Prüfung der Damen in ihrer Reitkunst. Der erste Preis bestand aus Sattel, Zaum und Peitsche, der zweite einem silbernen Becher, der dritte silbernen Sporen. – Lächerlich für uns, nicht wahr? Aber in Amerika strebt man ernstlich nach Kräftigung des schönen und Veredlung des aufwachsenden Geschlechts. In Turn-, Kraft- und Geschicklichkeitsfesten kräftigen sich Jünglinge, so daß alle Elemente zusammenstreben, der Verweichlichung anderer Civilisation entgegen zu wirken.




Die Know-Nothings in Amerika. Die außerordentliche Zunahme von Einwanderern aus Europa in den verschiedenen Staaten Nordamerika’s hat bewirkt, daß es jetzt unter den 20 Mill. Bewohnern der Vereinigten Staaten etwa 4 Millionen giebt, die nicht dort geboren wurden. Da dieselben aber, besonders im Norden, wo sie schon nach einer Anwesenheit von einem halben Jahre alle Bürgerrechte ausüben dürfen, großen Einfluß, oft einen entscheidenden, auf den Gang der Verwaltung und Politik haben, so ist der Patriotismus der eingebornen Amerikaner empfindlich und gereizt worden. Schon vor zwanzig Jahren zwar bildete sich eine Gesellschaft mit der ausgesprochenen Absicht, alle „Fremden“ von den Staatsämtern auszuschließen und zehn Jahre lang wirkte sie in ihrem Sinne nach verschiedenen Seiten hin; weil indeß gerade damals die am Ruder stehenden Staatsmänner der Einwanderung günstig waren und dieselbe durch mancherlei gesetzliche Bestimmungen zu fördern, statt zu hemmen suchten, so erlosch die „Gesellschaft der eingebornen Amerikaner“ (native Americans) allmälig, in unsern Tagen aber erhebt sie sich mit unerwartetem Ungestüm und blinder Rücksichtslosigkeit von Neuem unter dem Namen der Know-Nothings (Nichtswisser), und vor mehreren Monaten machte sich ihr Bestehen gleichzeitig auf fast allen Punkten des Landes bemerklich. Sie zeigte sich nicht blos in den östlichen Staaten und in den großen Städten, sondern hauptsächlich im Westen, in dem sich die meisten Einwanderer finden.

Die Know-Nothings geben sich offen als das, was sie sind, als die Todfeinde aller Eingewanderten und Naturalisirten und nennen sich die wahren Vertreter der amerikanischen Nationalität. Von Parteifragen unter sich wollen sie nichts wissen, sondern alle Kraft nur gegen den „Einfluß der Fremden“ richten. Um diesen Einfluß zu bekämpfen, handelten sie wie die Revolutionäre in der alten Welt und organisirten sich unter dem Namen Freiheitshüter fast militärisch in Regimenter, Compagnien und Brigaden. Sie verlangen von dem zu ihnen Tretenden zwar keinen Schwur, aber die Versicherung auf Ehrenwort, die Gesetze des Landes als guter Bürger zu vertheidigen. Sobald eine Ruhestörung, ein Straßenauflauf erfolgt, begiebt sich der Commandant der Know-Nothings zu dem Mayor oder Sherif den Ortes, um seine Dienste zur Herstellung der Ordnung anzubieten. Auch in dieser Weise suchen sie die Herrschaft in ihre Hand zu bringen, aber sie gehen weiter: sie verlangen die Einführung eines rein amerikanischen Schulunterrichtes, namentlich aber die Abschaffung aller Naturalisationsgesetze und wissen bei jeder Gelegenheit den an sich gewiß richtigen Satz zu verfechten, daß Fremde nie und unter keiner Bedingung an der Regierung und Verwaltung eines Landes, in dem sie nicht geboren sind, das sie nicht kennen, Theil nehmen dürfen.

Noch nicht genug. Da der bei weitem größte Theil aller Einwanderer, die in Amerika ankommen, der katholischen Kirche angehören, so haben die Know-Nothings angefangen einen Kreuzzug gegen den Katholizismus zu predigen, den sie den gefährlichsten Feind der amerikanischen Freiheit nennen. Sie richten die dringendsten Aufforderungen an die Protestanten und scheinen sogar nicht abgeneigt zu sein, den alten Fanatismus der Puritaner, wenn es möglich wäre, neu in’s Leben zu rufen. Zu diesem Zwecke haben sie bereits eine Zeitung gegründet, den Know-Nothing and American Crusader, in welchem es heißt: „Der größte, der furchtbarste Feind des Landes, den, welchen wir Amerikaner vor jedem andern zu fürchten haben, ist die außerordentliche Macht der katholischen Kirche und ihr bereits bestehender nicht zu berechnender Einfluß auf unsere Angelegenheiten. Schon hat sie ihre Riesenhand erhoben etc.“ Und so schürt die neue Partei unablässig, um den – Religionshaß zum Brande anzufachen.

Die Disciplin der Know-Nothings ist charakteristisch. Sie treten nirgends geräuschvoll und eitel hervor; sie sammeln sich nicht um eine offen getragene Fahne, ja sie sprechen nicht auffallend oft; sie wirken mehr negativ und im Stillen, namentlich bei den Wahlen, um ihre Leute in den Congreß und in Stellen zu bringen, wie sie sich nie über den letzten Zweck erklären, welchen sie verfolgen.

Leider aber bleibt es bei der grundsätzlichen negativen Thätigkeit der Gesellschaft nicht. Wenn der amerikanische Parteigeist gereizt wird, wüthet er wie ein wildes Thier. So begannen die Know-Nothings in New-Orleans gegen die Irländer, die sie vorzugsweise hassen, einen blutigen Kampf, der vierzehn Tage dauerte, viele Opfer kostete und nicht anders zu unterdrücken war, als daß die Miliz ein Militairregiment einführte, das ziemlich dem Belagerungszustande glich. In St. Louis hatten die Demokraten, um die Wahl ihrer Candidaten für den Congreß durchzusetzen, hundert Meilen weit die irländischen Eisenbahnarbeiter herbeikommen lassen. Trotzdem setzten die Know-Nothings die Wahl ihres Candidaten durch und die Folgen davon waren blutige Schlägereien, die mehrere Tage lang andauerten.

Die verständigen und ruhigen Amerikaner verwerfen die Bestrebungen der neuen Partei, denn wenn es sich auch recht wohl erklären läßt, daß das protestantische und amerikanische Gefühl mißtrauisch gegen das riesig anschwellende Zuströmen fremdartiger Elemente wird, so ist es doch noch viel zu früh, schon jetzt den Nothschrei zu erheben, und mit Bangen blicken die Freunde der Vereinigten Staaten in und außerhalb derselben auf das Umsichgreifen einer Partei wie die Know-Nothings, die politischen und religiösen Fanatismus zu Hülfe rufen, um ihre Zwecke zu erreichen, die wie die Freimaurer in Europa geheime Zeichen und Logen haben und sich nicht scheuen, ihre Lehren mit Flintenschüssen zu begründen.


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