Seite:Die Gartenlaube (1854) 561.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 47. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Die Stedinger.
(Schluß.)
VII.
'Im Kerker.

Es war das unterste, das schauerlichste Verließ der Burg, darin der Junker lag; gefesselt an Leib, Arm und Bein; es war kalt und feucht und modrig; im trüben Schein einer Ampel sah er das gelbe Moos an den Wänden gespensterhaft glitzern und leuchten, in der grausigsten Stille hörte er die Tropfen von den feuchten Wänden niederfallen, vielleicht auf Knochen von Menschen, die hier ihren Tod gefunden; und wirklich, – jetzt entsann er sich, – es war eine blutige Erinnerung: als Knabe war er hier gewesen; man hatte ihm gezeigt: „hier hat einer Deiner Ahnen seinen Todtfeind verhungern lassen, der rannte im Hungerschmerz sein Haupt gegen die Mauer, da ist noch das verspritzte Hirn und Blut an der Mauer zu sehen, keine Uebertünchung haftet auf dem Fleck; immer fällt es wieder ab das Weiß, und immer wieder starrt der rothe Fleck.“ – Das war die blutige Erinnerung und jetzt war es ihm, als starre der fürchterliche Fleck ihn an, als grinse daraus das Antlitz des Gemordeten hervor, als träte er zu ihm hin, fasse ihn an, – fürchterlich, fürchterlich, – und er mußte schreien, daß es wiederklang vom Gewölbe. So lag er da, der Arme. Und dann dachte er an Elsbeth, und an die süße Stunde, wo der Schlag ihres Busens ihn durchglüht hatte; – und wie sie nun hoffen und harren und bangen würde, während der Geliebte wund von Ketten, klappernd vor Frost auf faulem Strohe verzweifele, – verflucht von der Kirche, verflucht von seinem zweiten Vater. Er wollte beten, – aber er konnte nicht. Das Vaterunser verwirrte sich in seinem Munde, es war ihm, als ob der lange, hagere, schwarze Kerkermeister mit den fürchterlichen Augen herankäme, ihm den Mund zuhielt und spräche: „Verfluchter, Du darfst nicht beten.“– Und keine Aussicht, keine Hoffnung auf Erlösung! – O, sterben wollte er! Sterben – dies war ihm Nichts, – Nichts, in diesem fürchterlichen Kerker. Nur noch einmal, den blauen Himmel sehen, frische Luft athmen, ein Menschenantlitz sehen, – – horch, da durch die Nacht, durch Moder und Qualen ein Laut, – ein fernes Klirren, – Tritte auf den Stufen, – im Schlosse ein Schlüssel, – ist es Tod, – ist es Leben, – sei was es sei, nur einen Odemzug[WS 1] Luft, und den Ton eines Menschen, – der Kerkermeister leuchtete mit einer Fackel voran.

Der Erzbischof trat ein. Furchtbar erschüttert schaute er sich um und auf den blassen, verstörten Jüngling, der die gefesselten Arme ihm entgegenstreckte und ausrief:

„Gelobt sei Gott! – O, heiliger Mann, Ihr bringt mir Rettung. Ihr könnt nicht Tod bringen.“

Der Erzbischof wollte segnend seine Hände auf des Junkers Haupt legen, dann besann er sich und ließ die feuchten Auges langsam niedersinken.

Der Kerkermeister entfernte sich.

Starren Blickes schaute der Junker den ernsten Mann an und der sprach: „Niemand kann Dich retten, als Du selbst!“

„Wodurch, heiliger Vater?“

„Durch eine That, die Manneskraft erfordert, schon sie zu denken: Entsage Deiner Liebe.“

„Nimmermehr!“

„Ich fürchtete diese Antwort und darum war ich so still und traurig. O Georg, Georg, mein geliebter Schüler; Du brichst mir das Herz, Du brichst mir’s durch Deine – Schwachheit!“

„Durch meine Stärke, Vater. Es wäre Schwachheit meiner Liebe zu entsagen.“

„Thörichter Knabe?“ rief der Erzbischof aus, mit Thränen im Auge und schönem Zorn auf den Wangen. Und nun erzählte er die Geschichte seiner Jugend, die Entsagung seiner Liebe in hohen, herrlichen, klangvollen Worten, die des Junkers Brust mächtig bewegten. Nun legte er ihm des Menschen Herz und des Menschen Hochmuth und die Gewalt des Willens in tiefer Weisheit dar und der Junker wagte nicht aufzuschauen in das Antlitz des weisen Mannes und doch klopfte auch sein Herz schon höher bei dem Gedanken: seiner Liebe, seinem Glücke zu entsagen und ein neues Leben mit neuen Thaten zu beginnen.

„Doch Sie, – Sie! Was wird aus Elsbeth?!“ so schrie er nun auf einmal auf.

„Rette Dich, um sie selbst retten zu können. Bleibst Du starr, so sind die Stedinger verloren, so wahr mir Gott helfe. Verloren schon um Deinetwillen und Dein Mädchen: sie vor Allen wird verfolgt werden mit fürchterlicher Grausamkeit.“

„Um meinetwillen! – O Vater, Vater! Haltet ein! Oder zeigt mir, daß ich sie retten kann, wenn ich sie verlasse.“

„Ich sinne dazu schon auf einen Plan; tritt herüber zu mir und meiner Waffe, wir retten sie und mit ihr viele Schuldlose.“

„O warum sagtet Ihr das nicht gleich, mein Vater?! Wie könnte ich nun noch zaudern! Sagt mir: was muß ich thun?“

„In wenigen Augenblicken wird Konrad von Marpurg sich hier einfinden zum Urtheilsspruch; dann gelobst Du, ewig zu entsagen, dies Gelöbniß wird Dir Deine Ketten sprengen. Nun?“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Odenzug
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_561.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)