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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Kleidern zu kaufen. Sie verlangen rothen Merino zu sehen und der Ladenbesitzer, glücklich in der Aussicht, ein Geschäft zu machen, wirft ein Dutzend Rollen auf den Tisch, lauter ganz gleich gefärbte Merinos. Aber die Damen behaupten und bleiben dabei, daß die letzten fünf bis sechs Stücke nicht von derselben frischen Röthe seien. Wie geht das zu? Die Antwort ist einfach. Ihre Augen sehen die rothe Farbe nicht mehr, wie sie wirklich ist, sondern durch das komplementäre Grün (vermittelst des successiven Contrastes) abgeschwächt und gleichsam beschmutzt. Versteht der Ladenbesitzer Farbe und seinen Vortheil, legt er grüne Stoffe neben die rothen. Der Contrast beider giebt dem Auge sofort seine normale Unterscheidungskraft wieder. Die rothen Stoffe sehen nun sogar schöner in der Farbe aus, als sie wirklich sind, da der Anblick des Grünen dessen Complement-Roth hervorruft und letzteres zu den rothen Stoffen hinzuthut.

Das Chevreul’sche Werk ist mitten in seiner wissenschaftlicken Strenge und Klarheit reich an solchen handgreiflichen Beispielen, welche beweisen, wie alle Künstler und Handwerker, die mit Färbungen zu thun haben und alles Publikum, welches in seinen Einkäufen, Kleidern, Verzierungen u. s. w. auf Farben sieht, durch die Unkenntniß dieser Farben Schaden hat und anrichtet und durch deren Kenntniß unberechenbare Vortheile genießt. Das Buch verdient deshalb in allen Kreisen und Klassen der Gesellschaft genau bekannt und studirt zu werden und wer eine wohlfeile deutsche Ausgabe davon veranstaltete, würde sich eben so viel Verdienste um die praktische Bildung und Aesthetik des Volkes, Verschönerung industrieller und künstlerischer Fabrikate als Geld für sich erwerben.

Von allen Anwendungen der Gesetze von den Farbencontrasten ist die auf Gärten und Blumenbeete die anmuthigste und reichste. Man kaufe einen Blumenstrauß auf dem ersten besten Markte von Paris, und man wird sich allemal über das gefällige Arrangement von Farben freuen. Und man kaufe für den sechsfachen Preis in Conventgarden zu London das beste Bouquet, einen in weißes Papier gesteckten, plumpen Knäuel von Blumen, dessen Buntscheckigkeit eben so gemein ist, als dessen dickbäuchige Form, in welcher er die Brust des herrschaftlichen Kutschers verunstaltet.

Wie wir hören, will Sir Joseph Paxton in den herrlichen Parkräumen des Krystall-Palastes zu Sydenham die Chevreul’sche Farbenwissenschaft im Großen durch die Blume zu verstehen geben und danach schon diesen Herbst seine Einrichtungen treffen, so daß diese in blühendes, duftiges Leben verwandelte Wissenschaft ein herrliches Seitenstück zu dem Arboretum, einer classificirten, wissenschaftlichen, lebendigen Zusammenstellung aller Bäume und Gesträuche bilden würde.

Jeder unparteiische Kenner giebt zu, daß die Franzosen in Farbe und Form industrieller und künstlerischer Produktionen die ersten sind. Was ihren Geschmack in Zusammenstellung und Verschmelzung von Farben betrifft, so ist Chevreul thatsächlich bereits der Schöpfer einer neuen Epoche geworden, wie Diterle (von Geburt ein Deutscher, Director der Porzellan-Manufactur zu Rouen) der Reformator in Formen und Desseins keramischer und plastischer Produkte. Chevreul’s Name war schon lange berühmt unter den praktischen und wissenschaftlichen Chemikern, aber sein Werk über die Farben ist sein Monument, denn hiermit hat er für immer einen der mächtigsten Factoren in Leben, Industrie und Kunst von der empirischen Unsicherheit der Charlatans und Dilettanten befreit. Viel Dank gebührt hier der französischen Regierung, die, wie sie auch zu verschiedenen Zeiten auftrat, absolutistisch, constitutionell, republikanisch, tyrannisch, doch immer Wissenschaft und Kunst zu fördern und Eins durch das Andere zu heben suchte. Sie lud 1836 Chevreul ein, seine Farbenwissenschaft den Gobelins gegenüber für die Arbeiter an derselben und sonstige Künstler vorzutragen. Das Direktorium der polytechnischen Schule gewann ihn darauf, seine Vorträge in dieser Anstalt zu wiederholen. Sie waren so berühmt, daß das Handelsamt zu Lyon nicht eher ruhte, bis Chevreul auch die Seidenweber u. s. w. mit seiner Wissenschaft bekannt machte. Dies war 1842. Und seit dieser Zeit wurden die Fabrikate von Lyon so schön in Muster und Farbeneffect, daß sie förmlich sprichwörtlich geworden sind.

Die englische Kritik begrüßte die Uebersetzung des Chevreul’schen Werks als die Bürgschaft einer neuen Epoche in Industrie und Kunst. Alle Befriedigungs- und Verschönerungsmittel des Lebens im weitesten Sinne sind jetzt über den bloßen Zweck des Nutzens hinaus. Jeder verlangt mit Recht, daß der Rock nicht nur warm halten, sondern auch „sitzen,“ daß der Stiefel nicht nur ganz, sondern auch schön sein soll, so daß selbst Schuster und Schneider ganz wesentlich zu den Künstlern gehören müssen, wenn sie gute Geschäfte machen wollen. Daß neben der schönen Form die schöne Farbe überall an und um uns her von der größten Wichtigkeit ist und daher das Chevreul’sche Werk auch ein deutsches Volksbuch zu werden verdient, wird schon nach diesen hier gegebenen Andeutungen keines Beweises mehr bedürfen.




Miralda Estalez.
(Aus der Geschichte von Cuba.)

In einer der Hauptstraßen Havanna’s, der Kaufmannsstraße, war der Cigarrenladen der schönen Kreolin Miralda Estalez fast eben ein solches Mekka für junge und alte liebebedürftige Jünglinge und Männer, wie jetzt das Bierhaus zu London in der Oxfordstreet mit der im ganzen Umfange Londons berühmten schönen Schottin den Hauptwallfahrtsort fahrender und reitender, gehender und englisch stelzender Liebesritter bildet und wie einst die schöne Alma die Berliner Jünglinge entzückte und anzog.

Miralda war erst sechszehn Jahre alt und schon alleiniger und einzeln stehender Herr des ganzen Ladens und Hauses. Vater und Mutter, kurz hinter einander verstorben, hatten ihrem einzigen Kinde nichts hinterlassen, als das Geschäft. Sie war ein Gemälde tragischer Schönheit, mit einer fein gerundeten Form, einem sanften, länglichen, zarten Gesicht mit etwas gelblichem Hauch, das aus dem blendend schwarzen Haar mit dunkeln, blitzenden Augen und schneeweißen Zähnen wie verkörpertes Morgenroth hervorleuchtete. Dabei stand das frische, unschuldige, ovale Köpfchen so keck auf dem schlanken, elastischen Körper, und über den schneeweißen „Zaun der Zähne“ und die Rosenknospen der Lippen sprudelten die graciösen Scherze und pikanten Zurechtweisungen gegen die Stutzer von Havanna so treffend und schlagend, daß Niemand jemals klug wurde, ob sie wirklich in Naivität und Unschuld unwillkürlich alle Anbeter in bestimmter Entfernung halte, ohne Einem den Vorzug zu geben, oder ob Koketterie im Interesse ihrer Cigarren dahinter stecke. So viel ist gewiß, Niemand, der jemals dort seine Cigarren genommen, konnte anderswo kaufen. Niemand konnte aus dem Zauberkreise, der sie umgab, wieder heraus, weder mit Centrifugal-, noch Centripetalkraft. Jeder mußte zugleich in einer bestimmten Entfernung und Nähe bleiben. Aber endlich kam’s doch heraus unter den Cigarrenrauchern höherer Art, daß sie einen straffen, jungen Bootschiffer, der zwischen Punta und dem Moro-Schlosse an der andern Seite des Hafens Waaren und Menschen fuhr, vor allen Andern begünstige. Dadurch ward Petro Mantanez (das ist der Name des Bootsmannes) bald ziemlich eben so berühmt, wie Miralda. Das weibliche Geschlecht interessirte sich für ihn, weil man neugierig war, wie der Held aussähe, der das Herz der Schönsten, die unter den Reichsten und Schönsten der Antillen-Perlen-Residenz nur zu wählen brauchte, so unauflöslich gefesselt habe; und die Herren studirten ihn förmlich, in der Hoffnung, daß sie durch Nachahmung seines Wesens mit Addition ihrer gesellschaftlichen und Vermögensvorzüge ihn vielleicht verdrängen könnten.

Doch dies schien dem Grafen Almante, dem Don Juan von Havanna, zu langweilig und gemein für seine Stellung und die Liste seiner Siege. Er war ihr getreuester und liberalster Kunde. Miralda plauderte mit ihm so treuherzig, munter und graciös, wie mit jedem Andern; aber in seiner wirklichen tragischen Leidenschaft hielt er sich für den Auserkornen. In seiner hochgebornen Leichtfertigkeit

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