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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

ausüben muß, geht daraus hervor, daß wir uns durch Kleider gegen die Unbilden der Witterung, gegen Kälte und Hitze, wie gegen übermäßiges Licht, gegen Nässe und rasche Temperaturwechsel schützen können. Allerdings ist der Hauptzweck des Bekleidens die Erhaltung unserer Eigenwärme (s. Gartenlaube Nr. 33, S. 386), da nur bei einer gewissen Temperatur alle lebenswichtigen Processe innerhalb unsers Körpers vor sich gehen können, und deshalb muß sich auch die Kleidung nach dem Grade unserer eigenen und der äußern Wärme richten, überhaupt den klimatischen Bedingungen und der verschiedenen Beschäftigung entsprechen. Doch davon in einem spätern Aufsatze. Für das Wohlbefinden der Haut ist große Reinlichkeit in der Kleidung, besonders häufiger Wechsel der Leibwäsche unerläßlich.

Schließlich sei es wiederholt, daß Reinhalten der Haut durch Waschungen, Bäder und Abreibungen des ganzen Körpers, sowie durch reine Wäsche, eine wesentliche Bedingung zur Erhaltung der Gesundheit ist. Ohne Zweifel trägt der Mangel einer tüchtigen Hautcultur zur Zeit einen großen Theil der Schuld mit am Verfalle des Menschengeschlechtes in gesundheitlicher Hinsicht und jedenfalls dürfte die Gründung öffentlicher Badeanstalten für die ärmeren Volksklassen dem weiteren Verfalle Schranken setzen helfen.

B. 




Von den Farben.
Ein Kapitel für Industrie, Kunst und Leben.
Die Lehre vom Lichte, die dunkelste Parthie der Naturwissenschaft. – Chevreul und seine Principien. – Das Gesetz von den Farben-Contrasten. – Eigenthümlichkeit und Sehnsucht des Auges. – Tinten und Schattirungen. – Ein Beispiel für den Kattundrucker. – Die Farben als Unfriedenstifter. – Noch ein Beispiel aus der Damenwelt. – Die Kunst des Straußbindens. – Der französische Geschmack.

Die Farbe, welche in Kunst und Industrie, in unsern Wohnungen und Kleidern, in unsern Freuden und Genüssen über die Schönheiten der Natur und der lebendigen Wesen darin, ja selbst in unsern Gemüthsstimmungen und Launen eine viel wichtigere Rolle spielt, als wir im Allgemeinen glauben, ist bis jetzt gleichwohl noch ein ziemlich dunkeles Geheimniß der Männer der Naturwissenschaft, welche sich besonders mit den optischen Wissenschaften mit Katoptrik und Dioptrik beschäftigen, (d. h. den Theilen der Optik, welche vom zurückgeworfenen und gebrochenen Lichte handeln) geblieben. Ein Professor der Physik fing seine optischen Vorträge ehrlich damit an: „Es giebt keine dunklere Parthie in den Naturwissenschaften, als die Lehre vom Lichte.“ Wir halten uns hier blos an die praktische Wichtigkeit der Farben, von der jeder Maler, Färber, Musterzeichner, Kattundrucker, Tapezierer, kurz jeder praktisch beschäftigte und mit Schönheitssinn begabte Mensch eine Ahnung, eine praktische Erfahrung oder durch natürlichen „Farbensinn“ eine Art Gefühls-Aesthetik, aber sehr selten eine wirkliche Wissenschaft besitzt. Kunst und Industrie und Cultur überhaupt sind wie die Sonne, die, wie Goethe sagt, „kein Weißes duldet,“ da sie stets Alles mit Farben beleben will. Wie wichtig ist daher eine wirkliche Farben-Wissenschaft, welche es jedem möglich macht, den Natur- und Seh- und Schönheitsgesetzen gemäß zu färben, Farben zusammenzustellen oder gefärbte Waaren- und Lebensverschönerungsmittel zu beurtheilen und danach zu wählen! Woher kommt die Ueberlegenheit der Franzosen in Dessins und Farben? Warum sind die meisten englischen Fabrikate geschmacklos in Form und Farbe? Die Ersteren besitzen nicht nur natürlichen Schönheits- und Farbensinn, sondern auch eine Menge Schulen, Akademien und praktische Lehranstalten, worin die Schönheitsgesetze der Form und Farbe Handwerkern, Fabrikaten und Künstlern unentgeltlich gelehrt werden, während letztere mit natürlicher Geschmacklosigkeit Mangel oder zu große Theuerung solcher Anstalten verbinden.

Die Farbenwissenschaft für Kunst und Industrie hat in Chevreul seit vielen Jahren in Frankreich den größten Meister und praktischen Lehrer gefunden. Man kann eine ordentliche Landkarte von seiner Wirksamkeit machen und in den Fabrikaten der verschiedenen Städte Frankreichs nachweisen, bis wohin seine Farbenwissenschaft gedrungen und wo er sie vorgetragen. Seine Wissenschaft ist jetzt Gemeingut aller Völker geworden und zwar durch seit veröffentlichtes Werk „die Principien der Harmonieen und Contraste der Farben und deren Anwendung auf Künste, Handwerk u. s. w.“ Eine englische Uebersetzung desselben wurde in der Times als der Anfang einer neuen Periode der Kunst und Industrie bezeichnet. Für England hat dies seine volle Richtigkeit. In Deutschland, wo man durch natürlichen Farbensinn und Geschmack, durch Erfahrung und Schaden, aus dem man klug wurde, den Mangel an wirklicher Wissenschaft besser zu ersetzen weiß, wird man nicht gerade „Periode“ zu sagen brauchen, gewiß aber „Epoche“. Die Wichtigkeit des Chevreul’schen Werkes besteht darin, daß sich Jeder auch ohne den natürlichen Farbensinn und ohne die Erfahrungen praktischer Maler, Färber, Drucker u. s. w. ein klares Wissen und eine sichere Anwendung von Farben und deren Harmonieen aneignen kann.

Wir geben hier eine gedrängte Skizze des meisterhaft ausgeführten, nach allen Seiten hin praktischen wissenschaftlichen Gebäudes, welches Chevreul aufgestellt und seit Jahren bewährt gefunden. Schon daraus wird man sich eine Vorstellung machen können, wie wichtig und interessant es sich bekunden muß.

Um allgemein verständlich zu sein, müssen wir die natürlichen Licht- und Farbengesetze und den bestimmten Sinn verschiedener Ausdrücke angeben.

Das Gesetz von den Farben-Contrasten gründet sich auf die physiologische Thatsache, daß unser Auge für das Sehen weißen Lichtes construirt ist. Mit andern Worten: weißes Licht ist die Einheit des Lichtes, welche das Auge bei allen Vielheiten oder Brüchen desselben voraussetzt. Das Auge bezieht alle Farben auf diese Einheit, dieses Weiß. Wohl Jeder weiß, daß man den natürlichen weißen Lichtstrahl durch Prismen und sonst eckig und winkelig geschliffene Gläser in Farben brechen kann. Diese Farben bestehen aus einer unendlichen Menge verschieden gebrochener Lichtstrahlen, wie im Regenbogen. Man theilt sie in 6 Gruppen: Roth, Blau, Gelb, Violett, Orange und Grün. Die drei ersten heißen primäre (erste), die drei letzten secundäre (zweite) Farben, weil sie sich durch Mischung aus den drei ersten bilden: Violett aus Roth und Blau, Orange aus Roth und Gelb, Grün aus Blau und Gelb. Um aus diesen verschiedenen Farben wieder zu weißem Lichte zu kommen, mischt man die primäre Farbe mit der secundären, die durch Mischung der beiden anderen primären entstand, also Roth mit Grün (Gelb und Blau), Blau mit Orange (Roth und Gelb), Gelb mit Violett (Roth und Blau). Durch Mischung von primären Farben entsteht immer nur eine secundäre, während durch Vereinigung je einer primären und secundären Farbe immer alle Elemente zusammenkommen, die weißes Licht (d. h. die Einheit aller Farben) hervorbringen. Die Farbe nun, welche zu irgend einer gegebenen Farbe nöthig ist, um die Elemente des weißen Lichtes zusammenzubringen, heißt die complementäre oder Ergänzungsfarbe zu der letzteren. Die Ergänzungsfarbe einer primären ist allemal die secundäre, welche aus den beiden andern primären entstand. Wenn dies Vielen ganz bekannt ist, mögen sie es entschuldigen, da es zur Vollständigkeit der Skizze gehört, die in ihrem Verlaufe gewiß Jedem etwas Neues und Praktisches geben wird. Sieht das Auge auf eine bestimmte (besonders primäre) Farbe allein und längere Zeit, entsteht in ihm gleichsam der Instinct und das Bedürfniß, weißes Licht zu sehen. Diesem physiologischen Bedürfnisse kommt die Natur des Auges selbst zu Hülfe: sie schafft das weiße Licht d. h. sie überhaucht die angesehene Farbe mit dem Complement, der Ergänzung derselben zum weißen Lichte, also z. B. Roth mit Grün. Ungeübte oder ungebildete Augen merken davon nichts und werden höchstens, aufmerksam gemacht, finden, daß z. B. Roth, lange angesehen, etwas von seiner Röthe verliert und schwächer erscheint oder sich grünlich überhaucht; geübte und gebildete Augen sehen dies aber genau und gewisse Augen, welche danach in der Augenheilkunde verschiedene Krankheitsnamen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_556.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)