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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Soviel ich weiß, befindet sie sich auf dem Meierhofe des alten Eckhard, ihres Verwandten,“ stammelte der Greis. „Wohin auch sollte sie sich anders wenden?“

„Meinen Wagen, ich will sogleich nach Adersheim fahren.

„Werde ich Sie begleiten?“

„Nein!“

Der Kammerdiener entfernte sich. Nach einer Viertelstunde bestieg Franziska einen glänzenden Wagen, der sie rasch nach Adersheim brachte. Eine Stunde später befand sie sich bei dem Gerichtshalter.


VIII.

Marianne befand sich noch immer in dem Hause des alten Eckhard. Statt eines Rückschreibens von der Vorsteherin des Pensionats war der junge Baron Walther von Linden gekommen und hatte eine lange Unterredung mit ihr gehabt. Der Eindruck, den dieser Besuch auf den armen Philipp ausübte, läßt sich nicht beschreiben. Der junge Landmann, der in reiner, uneigennütziger Liebe seiner Jugendgespielin zugethan war, zog den Schluß, sie stehe schon lange mit dem schönen, eleganten Baron in einem zärtlichen Verhältnisse, und aus diesem Grunde verharre sie auch darauf, ein Unterkommen in der Stadt zu suchen. Bis zum Tode niedergeschmettert, durchschlich er den ganzen Tag die Felder, denn er wollte aus Liebe zu Mariannen und seinen alten Aeltern den Zustand seines Herzens so geheim als möglich halten.

„Mag sie so glücklich werden, als sie es zu sein verdient,“ dachte er; „sie soll nie erfahren, was ich für sie empfinde, damit ihr Leben durch keine schmerzliche Erinnerung getrübt werde. Es ist ja ganz klar, sie kann mich nicht anders als den Bruder lieben.“

In der Abenddämmerung kam er nach Hause zurück. Langsam und leise schlich er unter dem erleuchteten Fenster des Zimmers vorüber, das Marianne bewohnte. Ein freudiger Schreck durchbebte seinen ganzer Körper, als er die Gestalt des jungen Mädchens durch die hellen Scheiben bemerkte; sie sprach freundlich mit seiner Mutter.

„Sie ist noch nicht abgereist!“ flüsterte er. „Vielleicht bleibt sie dennoch bei uns. Aber wie heiter sie ist?“ fügte er nach einigen Augenblicken traurig hinzu. „So habe ich sie nach dem Tode des Obersten noch nicht gesehen. Sollte der Baron Nachrichten gebracht haben, die ihren Wünschen entsprechen?“

Auf der Hausflur traf er seinen Vater, dem er wie gewöhnlich Bericht von dem Zustande der Felder abstattete. Der Greis hörte schweigend zu, und nur mit Mühe vermochte er die Besorgniß zu unterdrücken, die er um den Sohn hegte. Mit klopfendem Herzen betrat Philipp das Zimmer, nachdem die Mutter zum Abendessen gerufen hatte. Kaum hatte man sich zu Tische gesetzt, als der Gerichtsbote von dem Schlosse angemeldet ward. Marianne bebte zusammen; eine Ahnung sagte ihr, daß Franziska einen Streich gegen die Familie ausführen würde, die sich ihrer so großmüthig angenommen hatte.

„Er soll eintreten!“ sagte Vater Eckhard in seiner gewöhnlichen Ruhe. „Ihr seid’s, Kaspar!“ rief er dem alten, bärtigen Gerichtsdiener entgegen, der auf der Schwelle erschien. „Was bringt Ihr noch so spät?“

„Ich habe Ihnen eine Vorladung des Gerichts zu übergeben.“

„Eine Vorladung – hat man mich verklagt?“

„Weiß nicht!“ antwortete der Diener, indem er dem Landmann einen großen versiegelten Brief überreichte. Dann grüßte er und entfernte sich wieder.

Alle Blicke waren auf Vater Eckhard gerichtet, der das Schreiben öffnete.

„Lies Du vor,“ wandte er sich an Philipp, der ihm zur Seite saß; „meine Augen taugen nicht mehr zum Lesen bei Lichte!“

Philipp überflog mit hastigen Blicken das Schreiben. Seine Hände zitterten und sein Gesicht ward bleich.

„Gerechter Gott!“ flüsterte er bestürzt vor sich hin. „Das hätte ich nicht gedacht!“

„Was ist’s?“ fragte Marianne, die sich bebend erhoben hatte.

„Nichts, nichts – es geht nur den Vater und mich an – wir werden später darüber sprechen. Beunruhige Dich nicht, Marianne.“

„Philipp, das ist ein Unglücksschreiben!“ sagte sie mit fester Stimme. „Es ist gegen Euch, gegen meine Wohlthäter gerichtet; aber es soll mich treffen. Du darfst mir den Inhalt nicht verschweigen.

„Sage gerade heraus, was es ist!“ rief Vater Eckhard.

„Wir sind Alle bei der Sache betheiligt – Marianne darf wissen, was das Gericht von uns will.“

Marianne nahm aus Philipp’s Hand das Papier; nachdem sie es durchlesen, sagte sie mit Thränen in den Augen:

„Mehr als Euch, Ihr guten Leute, geht es mich an, und es wäre nicht gut gewesen, wenn ich es später erfahren hätte. Die Erbin von Adersheim fordert alle Grundstücke zurück, die der selige Oberst Euch zur Benutzung gegeben hat, wenn Ihr an einem bestimmten Termine nicht beweisen könnt, daß sie durch Kauf oder Schenkung Euer Eigenthum geworden sind.“

Die beiden alten Leute falteten die Hände und sahen sich, starr vor Schrecken, an. Philipp war zur Seite getreten, um seine schmerzliche Bewegung zu verbergen. Marianne allein schien ihre Fassung bewahrt zu haben. Nachdem sie das Papier noch einmal gelesen, sagte sie:

„Vater Eckhard, ehe diese unglückselige Angelegenheit geordnet ist, darf ich Euch nicht verlassen. Ich trage zwar die Schuld daran, daß Euch die neue Besitzerin von Adersheim haßt; aber glaubt mir, auch keine andere kann Euch das erhalten, was mit vollem Rechte Euer Eigenthum ist. Vater Eckhard, erlaßt mir jede weitere Erklärung und haltet Euch versichert, daß Euer und Philipp’s Glück noch nicht gefährdet ist. Franziska ist in einem unheilvollen Wahne befangen, der sie jetzt völlig beherrscht und zu unüberlegten Schritten verleitet – man wird sie aufklären und sie wird die Willensmeinung des Verstorbenen ehren. Philipp,“ rief sie mit bewegter Stimme, „ich hoffe, daß Du mir beistehen wirst.“

Diese Worte trugen nur wenig zur Beruhigung der bestürzten Familie bei. Das Abendessen war bald vorüber und man trennte sich in einer peinlichen Stimmung. Der Greis verließ heimlich das Haus und ging nach der Wohnung des Pfarrers, die er nach einer Viertelstunde erreichte. Marianne hatte mit Philipp noch eine Unterredung, von der wir nichts weiter berichten, da sich ihre weitern Folgen bald zeigen werden, als daß der junge Mann nach Beendigung derselben mit freudestrahlendem Gesichte seine Kammer betrat und kaum noch der Vorladung des Gerichtshalters gedachte. Die Worte des jungen Mädchens hatten ganz andere Gedanken, sie hatten zu viel Hoffnungen angeregt, als daß er noch Befürchtungen hegen konnte. Um zehn Uhr kehrte auch Vater Eckhard von dem Pfarrer zurück. Als er Mariannen eine gute Nacht wünschte, fügte er hinzu: „Gott wird ja wohl Alles zum Besten lenken.“

In Franziska’s Gemüth sah es ganz anders aus; sie war unzufrieden mit sich und der ganzen Welt. Obgleich sie sich vorgenommen, nachdem sie ihre Rache völlig befriedigt, sich um das ihr verhaßte Liebespaar nicht mehr zu kümmern, sollte sie dennoch dem alten Gottfried Auftrag geben, über Walther’s Leben Erkundigungen einzuziehen. Eines Tages erschien der Greis.

„Der Baron von Linden ist vorgestern auf Eckhard’s Meierei gewesen,“ berichtete er. „Der Lohnbediente, der ihn begleitet, hat es mir gesagt. Mittags ist er dort angekommen und erst Abends ist er wieder abgereist. Das hätte ich von der stillen Marianne nicht gedacht!“ fügte der Greis kopfschüttelnd hinzu.

„Was?“ fragte Franziska auffahrend.

„Man erzählt sich, daß sie mit dem Baron eine heimliche Liebschaft unterhält. Es ist wahr, sie ist leidlich gebildet, aber sie sollte nicht über ihren Stand hinausgehen, sie sollte immer bedenken, wer sie ist.“

Aus dieser Mittheilung des alten Kammerdieners glaubte Franziska schließen zu dürfen, daß sie in ihm eine ganz ergebene Person besäße. „Er redet nicht mehr zu ihren Gunsten,“ dachte sie; „während er sonst jede ihrer Handlungen zu bemänteln suchte, theilt er mir jetzt Alles unumwunden mit, was sie in meinen Augen herabsetzen muß. Die Sache macht mir Spaß!“ rief sie mit einem Lächeln, das ihr die bitterste Eifersucht erpreßt. „Wäre sie nicht das Pflegekind meines verstorbenen Onkels, ich würde ihr das Glück gönnen, die Gattin eines leichtsinnigen, bettelarmen Edelmanns zu werden. Bringe mir ferner Nachrichten über das Fortschreiten dieses merkwürdigen Verhältnisses.“

Seit dieser Nachricht war Franziska’s Leben ein höchst martervolles geworden. Sie begriff, daß Walther für sie verloren war, denn sie durfte bei seinen bekannten romantischen Gesinnungen nicht zweifeln,

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