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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Außer diesen vier Bänden gab Auerbach in den letzten Jahren heraus: „Schrift und Volk, Grundzüge der volksthümlichen Literatur, angeschlossen an eine Charakteristik J. P. Hebel’s“ (1846), dann als Ergebniß seiner Anwesenheit in Wien während der Oktoberrevolution: „Ein Tagebuch aus Wien, von Latour bis Windischgrätz“ (1849) und eine Sammlung schon früher einzeln veröffentlichter Novellen unter dem Titel: „Deutsche Abende“ (1850).

Auerbach ist derjenige der deutschen Schriftsteller neuester Zeit, der die größte Verbreitung erlangt hat. Die ersten beiden Bände der Dorfgeschichten haben vier Auflagen erlebt, und sind bis zu 25,000 Exemplaren in das Volk übergegangen. Sie sind in’s Englische, Holländische, Schwedische und dreimal in’s Französische u. s. w. übersetzt; Auszüge werden sogar als französische „Eisenbahn-Bibliothek“ verkauft. Seine gesammelten Werke erleben bei Bassermann in Mannheim jetzt eine stereotypirte Ausgabe.

Seit vier Jahren lebt Auerbach, zum zweiten Male verheiratet, in Dresden im vertrauten Umgange mit Gutzkow, Hammer, Wolfsohn, den Gebrüdern Bank, Amely Boelte und den übrigen, diesem geist- und charaktervollen Kreise sich anschließenden Männern des öffentlichen und privaten Lebens. Seine Kunst hat einen goldenen Boden gehabt und die kleine Scholle der Dorfgeschichte ihm mehr als Manchem ein Rittergut eingetragen. Sein natürliches, wohlwollendes Wesen hat nichts eingebüßt in seinen eleganten, nach feinem wiener Geschmack seiner Gemahlin arrangirten Salons. Freilich wollen seine Freunde behaupten, daß das Wohlbehagen athmende Benehmen, die gedrungenere Figur anfange, ihn mehr als dem „Reinhart“, dem „Wandeleswirth“ ähnlich zu machen; aber das klangvolle, aus der breiten Brust tönende Organ und das der Welt weit geöffnete, entgegentretende blaue Auge – eine seltene Schönheit neben dem schwarzen, gelockten Haar – lassen keinen Augenblick den Dichter in ihm vergessen. Daß er dasselbe Glück in der irdischen Wirklichkeit, das er mit seinen Poesien enthüllte, auch für sein Lebensschicksal zu erobern wußte, ist wohl nur ein neues Zeugniß für die kräftig gesunde, harmonische Natur seiner Dichtungen sowohl als seines Selbst.

R. Gieseke. 




Des Menschen erste Lebenszeit.
Der Neugeborne und Säugling.

Sobald der Mensch das Licht der Welt, in der Regel mit einem wehklagenden Schreie, erblickt, tritt er in den Stand des Neugebornen (s. Gartenlaube Nr. 14 S. 162[WS 1]) und wird ein solcher während seiner ersten 6 bis 8 Lebenstage genannt, überhaupt so lange, als er noch die Reste des Nabelstrang’s an sich trägt. Im Anfange dieser Zeit findet im kindlichen, noch allen Ebenmaßes entbehrenden Körper insofern eine große Revolution statt, als eine Menge Organe, welche vor der Geburt unthätig waren, vorzüglich die Lungen und die Verdauungsorgane, in Tätigkeit treten und andere, wie die Kreislaufsorgane, das Nervensystem, der Harn- und Hautapparat, ihre Thätigkeit ändern, noch andere Organe aber ihr Thätigsein ganz einstellen. Nicht selten kommt freilich diese Revolution gar nicht oder nur theilweise und in falscher Weise zu Stande und dann stirbt gewöhnlich das Kind bald nach der Geburt wieder, aus angeborner Lebensschwäche, wie man zu sagen pflegt. Es soll in Städten etwa der zehnte Theil der Neugebornen dem Tode verfallen und hierbei die Sterblichkeit unter den Knaben größer als unter den Mädchen sein. Man glaube nun aber ja nicht etwa, daß diese große Sterblichkeit unter den Neugebornen wie auch unter den Säuglingen eine natürliche, durch die Zartheit des kindlichen Organismus bedingte sei; sie ist nur die Folge der vielen Fehler in der Behandlung der Kinder von Seiten der Erzieher (s. Gartenl. Nr. 17 S. 196).

Das neugeborne Kind verlebt seine Zeit größtentheils im Schlafe und wird nur durch Eindrücke auf seine Empfindungsnerven zum Schreien gezwungen, was ebensowohl die Angehörigen auf die Bedürfnisse des Kindes aufmerksam machen, wie gleichzeitig auch den Athmungsapparat desselben kräftigen soll. Diese Eindrücke auf die Empfindungsnerven des Kindes (wie Nahrungsmangel, Nässe, Kälte, Luft- und Stuhlanhäufung im Darme und dergleichen) rufen nun aber nicht etwa Empfindungen, weder angenehmer noch unangenehmer Art (Schmerzen) im Innern desselben hervor, denn das Bewußtseinsorgan, durch welches man empfindet, das Gehirn nämlich, ist zur Zeit noch gar nicht so weit ausgebildet, daß[WS 2] es empfinden könnte. Das Schreien wird ohne alle Empfindung blos dadurch veranlaßt, daß die Nervenfäden, welche in der spätern Zeit allerdings zum Bewußtwerden von Empfindungen an den verschiedenen Stellen des Körpers dienen, jetzt nur diejenigen Nervenfäden, welche das Schreien veranlassen, in Thätigkeit versetzen, ohne aber im unentwickelten Gehirne, wie später, gleichzeitig Empfindungen erregen zu können. Das Schreien bei kleinen Kindern, wobei dieselben also keine Schmerzen oder überhaupt Empfindungen haben können, ist sonach wie das Thun und Treiben Somnambuler (s. Gartenlaube Nr. 32 S. 373) ein unbewußtes und, in Folge der Nerveneinrichtung in unserm Körper, ein erzwungenes. Es giebt dieses Schreien der Mutter die Andeutung, daß das Kind irgend Etwas bedarf und dieses Etwas, die Quelle des Schreiens oder der Ort und die Art den Eindruckes auf gewisse Empfindungsnerven, ist dann zu ergründen. Die gewöhnlichste Veranlassung zum Schreien bei gesunden Kindern ist, abgesehen von der Einwirkung der atmosphärischen Luft in der ersten Zeit des Lebens, Nahrungsmangel, sodann ein nasses kaltes Lager und bisweilen auch noch Luft- und Kothanhäufung im (dicken) Darme. Es wird deshalb das Schreien auch recht bald durch Trinkenlassen oder ein warmes trocknes Lager und, hilft beides nicht, durch ein einfachen Klystier von warmem Wasser gestillt werden können. Dauert das Schreien trotz dem noch fort, so ist es entweder ein krankhaftes oder auch schon, wenigstens bei etwas älteren Säuglingen, eine Ungezogenheit in Folge falscher Erziehung.

Die hauptsächlichsten Bedürfnisse des Neugebornen sind: passende Nahrung und Luft, sowie Wärme und Schutz vor äußern Schädlichkeiten. Man gewöhne das Kind ja nicht an das Umhergetragenwerden, an das Wiegen oder Schaukeln, sondern lasse dasselbe ganz ruhig in seinem weichen, warmen und trocknen Lager. Zu sogenannten Saug- oder Nutschbeuteln (Zulpen) darf eine vorsichtige und gewissenhafte Mutter nie greifen, um das schreiende Kind zur Ruhe zu bringen, da durch diese Hülfsmittel sehr leicht Krankheiten in Verdauungsapparate veranlaßt werden. – Was die Nahrung des Neugebornen betrifft, so ist die Milch der Mutter die zweckmäßigste, weniger tauglich ist Ammen- und Kuhmilch. Das Darreichen von etwas Anderem aber als Milch (s. Gartenlaube Nr. 12 S. 131), besonders Chamillenthee und einem abführenden Säftchen, gestatte man der Kindfrau durchaus nicht. Daß eine gesunde Mutter ihr neugebornes Kind selbst stillen soll, wenigstens die erste Zeit seinen Lebens, bedarf als eine, dem Kinde wie der Mutter heilsame Natureinrichtung, keiner weitern Besprechung. Es stehe eine Mutter nur nicht gleich vom Stillen ab, wenn auch in den ersten Tagen die Milchabsonderung noch nicht eine sehr reichliche ist; sie kann ja auch ruhig warten, da der Neugeborne nicht gleich in seinen ersten Lebenstagen sehr viel Nahrung bedarf. Sollte eine Mutter aber wirklich nicht stillen können oder ihres Körperzustandes wegen nicht dürfen, was aber nur der Arzt zu bestimmen hat, dann ersetzt Ammenmilch am besten die Stelle der Muttermilch. Da bei der Wahl der Amme auf Mancherlei, was der Laie zu beurtheilen nicht im Stande ist, Rücksicht genommen werden muß, so sollte man diese Wahl nur gewissenhaften Aerzten überlassen. Daß übrigens die stillende Amme hinsichtlich ihrer Ernährung, ihrer Arbeit und Behandlung, des Kindes wegen, gerade so wie die Mutter, wenn diese stillte, gehalten werden muß, versteht sich zwar von selbst, wird aber sehr oft von Frauen, welche Dienstboten für Sklaven ansehen, vergessen. Wo nun aber weder Mutter- noch Ammenmilch dem neugebornen Kinde gereicht werden kann, da darf das Kind durch kein anderes Nahrungsmittel als durch warme Thiermilch ernährt werden, nur muß man diese durch Zusatz von Wasser und Milchzucker der Menschenmilch so viel als möglich ähnlich zu machen suchen (siehe später beim Säugling). Am meisten gleicht die Eselsmilch der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 262
  2. Vorlage: das
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_515.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)