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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

so wäre es ihm recht. Das kann Niemand von einem jungen Mädchen verlangen. Eine Heirathsgeschichte muß immer erst zurecht gemacht werden, und das versteht keiner besser, als wir Frauen. Ehe etwas geschieht, müssen wir einmal die Fühlhörner ein wenig ausstrecken.“

Sie trug das Frühstück in das Zimmer. Marianne hatte bereits ihre Toilette vollendet und einen Brief, den sie in dem Augenblicke schloß, als die alte Bäuerin eintrat. Mit einem unbeschreiblichen Wohlgefallen betrachtete das Mütterchen das junge Mädchen, das ihr schmerzlich lächelnd entgegentrat und die Hand reichte.

„Gefällt Dir dieses Zimmer, das unser Philipp eingerichtet hat?“ fragte sie. „Es ist freilich nicht so großartig wie die Zimmer des Schlosses – –“

„Aber freundlich und bequem,“ ergänzte Marianne; „es läßt nichts zu wünschen übrig.“

„O, das freut mich von Herzen! Ich hatte schon Sorge, daß Dir irgend etwas fehlen würde –“

„Mein gutes Mütterchen, wie bedauere ich, daß ich Euch so viel Sorgen bereiten muß! Gestatten Sie mir nur einige Tage, und ich ziehe wieder ab, um ferner die gewohnte Ruhe Eures Hauses nicht zu stören.“

„Was das nun wieder ist!“ rief in einem fast ärgerlichen Tone[WS 1] Mutter Eckhard. „Wir sind Deine Freunde und Verwandte und deshalb dürfen wir nicht zugeben, daß Du unter fremde Menschen gehst. Das wäre mir eine schöne Geschichte! Was würden die Leute über Eckhard’s sagen, wenn sie hörten, die älternlose Marianne sei nach der Stadt oder sonst wohin gegangen, nachdem sie sich einige Tage bei ihnen aufgehalten? Entweder würden sie sagen, Marianne sei zu stolz, um bei den schlichten Bauersleuten zu wohnen, oder Eckhard’s wären undankbare Menschen, die der armen Waise ihre Thür verschlossen hätten. Das geht nicht, Du mußt bei uns bleiben. Hätte Dich der selige Herr Oberst in jener unglücklichen Zeit nicht auf das Schloß genommen, so wäre es unsere Pflicht gewesen, für Dich zu sorgen und Du wärst nicht erst gestern, sondern schon vor Jahren zu uns gekommen. Aber warum weinst Du, Marianne? Ich will Dich nicht kränken, ich will Dir nur beweisen, daß Du bei uns bleiben mußt und daß wir die Verpflichtung haben, für Dich wie für unser eigenes Kind zu sorgen.“

Marianne trocknete ihre Thränen; dann flüsterte sie mit einem Seufzer: „Ich weine über mein Schicksal, das mich abhält, Ihre gut gemeinten Vorschläge anzunehmen; aber halten Sie mich darum nicht für undankbar oder wohl gar für stolz – ach, wollte Gott, ich könnte für immer in diesem friedlichen Hause und unter seinen guten Bewohnern bleiben!“

„Aber was hält Dich davon ab?“ fragte die alte Bäuerin verwundert. „Es kommt ja nur auf Deinen Entschluß an.“

In diesem Augenblicke trat Vater Eckhard ein. Ein Blick auf seine Frau genügte, um ihn erkennen zu lassen, daß er sich in seinem Argwohn nicht getäuscht hatte. Ein zweiter Blick auf die befangene und dennoch erregte Marianne, gab ihm völlige Gewißheit.

„Sie hat entweder schon geschwatzt, oder sie will schwatzen!“ dachte er, seinen aufkeimenden Groll gewaltsam unterdrückend.

„Grüß Dich Gott, Marianne!“ rief er laut und herzlich aus, indem er seine pelzverbrämte Sammetmütze auf einen Stuhl warf. „Ich würde mich früher schon erkundigt haben, wie Du nach dem gestrigen stürmischen Tage geschlafen hast, wenn ich nicht gefürchtet hätte –“

„Jetzt trinke Deinen Kaffee, mein Kind!“ unterbrach ihn Mutter Eckhard, die seine Absicht errieth und fürchtete, er würde jetzt schon sich offen gegen das Mädchen aussprechen. „Die Sahne ist so lecker, wie Du sie kaum auf dem Schlosse gehabt haben wirst,“ fügte sie redselig hinzu. „Unser Philipp hat erst im verflossenen Frühjahr ein Paar holsteinische Kühe angeschafft, die ihres Gleichen suchen.“

„Es ist gut, Mutter!“ sagte der ungeduldige Landmann, der den Brief auf dem Tische bemerkt hatte. „Nicht von gleichgültigen, sondern von wichtigen Dingen wollen wir reden. Marianne, jetzt sage mir ohne Hehl, worin ich Dir nützlich sein kann.“

Die alte Bäuerin warf einen Blick des Unmuths auf ihren Mann.

„Das dachte ich mir!“ flüsterte sie vor sich hin. „Er fällt wieder mit der Thüre in’s Haus, wie er es bei jeder Gelegenheit zu thun pflegt. Mit dem alten Rappelkopfe ist doch nichts anzufangen.“

„Ich habe eine Bitte an Sie zu richten, Vater Eckhard,“ sagte Marianne.

„So sprich sie aus, mein Kind, und ich erfülle sie.“

„Hier ist ein Brief – wie befördere ich ihn nach der Stadt?“

Vater Eckhard las die Adresse. Der Brief war an die Vorsteherin einer Erziehungsanstalt für junge Mädchen gerichtet, derselben, von der er wußte, daß Marianne dort ihre Bildung erhalten hatte. Er ahnte ihre Absicht.

„Ist der Brief von Wichtigkeit?“ fragte er.

„Ja.“

„Dann übernehme ich selbst die Besorgung. Diesen Mittag werde ich aus der Stadt zurückgekehrt sein.“ Er öffnete das Fenster und rief einem Knechte zu: „Jakob, sattele auf der Stelle den Fuchs, ich will zur Stadt reiten!“ – dann steckte er den Brief zu sich und verließ das Zimmer. Seine Frau folgte ihm, um die Reisekleider aus dem Schranke zu holen. Als sie vor ihm stand und ihm das Halstuch zurechtband, konnte sie sich nicht enthalten, ihrem Grolle Luft zu machen.

„Was wird das arme Mädchen von uns denken!“ sagte sie halblaut. „Anstatt sie zurückzuhalten, beeilen wir uns – –“

„Schweig, Mutter!“ sagte Eckhard ernst. „Gott im Himmel weiß, daß ich das Mädchen schätze und achte und daß ich bereit bin, Alles für sie zu thun – aber eben so wenig sie für unsern Philipp paßt, eben so wenig wird sie ihn zum Manne nehmen. Der arme Junge grämt sich ab, und wir haben uns die bittersten Vorwürfe zu machen, daß wir seine Neigung nicht im Keime erstickt haben.“

„Aber, Mann, bedenke, wenn wir Mariannen vor zwölf Jahren zu uns genommen hätten, wie es damals Deine Absicht war – –“

„Ach, dann ständen die Sachen anders! Dann wäre sie ein schlichtes Landmädchen geworden, wie es für unsern Philipp paßt, und ich hätte nichts dagegen einzuwenden. Sieh, Mutter, ich will es Dir nur bekennen, über diesen Punkt habe ich oft mit dem seligen Oberst gesprochen, der unsern Philipp eben so gern hatte wie Mariannen. Eckhard, sagte er noch kurz vor seinem Tode, als ich zufällig mit ihm auf der großen Wiese zusammentraf, die unser Philipp durch künstlich angelegte Röhren bewässert, daß sie wie ein Garten aussieht – Eckhard, sagte er, nehmt mir Euern Jungen in Acht, das ist ein Prachtkerl! – Wie meinen Sie das, Herr Oberst? fragte ich, obgleich ich längst wußte, wo er hinaus wollte. – Seht, Freund, fuhr er in seiner herablassenden Weise fort, ich hatte die Absicht, meine Marianne mit Philipp einmal zu verheirathen – –“

„Na, da hast Du es ja!“ rief eifrig das Mütterchen.

„Sapperment, laß mich ausreden!“ rief Eckhard mit dem Fuße stampfend.

Aber das erfreute Mütterchen hielt die Spitzen des schwarzseidenen Halstuchs fest, daß dem erregten Eckhard fast die Kehle zusammengeschnürt ward und dabei rief sie: „Das lasse ich mir nicht nehmen, der Herr Oberst war ein guter und ein kluger Mann, der recht gut wußte, was den Kindern frommt.“

„Ja, das wußte er!“ rief Eckhard mit seiner kräftigen Baßstimme. „Und deshalb sagte er auch, die Marianne ist ein so vornehmes und kluges Frauenzimmer geworden, daß sie einen Edelmann heirathen muß, wenn sie glücklich sein soll. Das wollte ich eigentlich nicht, aber es ist nun einmal so, und ich werde Mühe haben, einen passenden Mann für sie zu finden.“

„Das begreife ein Anderer!“ flüsterte erstaunt die Mutter Philipp’s. „Was Ihr aus dem Mädchen macht! Nun soll es selbst kaum einen Edelmann geben, der für sie gut genug ist. Mir scheint, der Herr Oberst war in das Mädchen vernarrt –“

„Mag sein, er war aber auch sehr verständig dabei. Es giebt genug Männer, sagte er, die sich zu benehmen wissen und eine große Rolle spielen, Männer, die jedes andere gebildete Mädchen glücklich machen würden; aber Marianne weiß mehr wie fast alle Männer, die man zu den reichen und gebildeten zählt, und außerdem will sie verstanden sein. Marianne macht entweder einen Mann sehr glücklich oder sehr unglücklich, sagte er; sie kommt

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Tonne
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_510.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2016)