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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

V.

Die Regulirung der Erbschaftsangelegenheit ging nicht so rasch von Statten, wie Franziska geglaubt hatte. Es fanden sich indeß Geldmänner, die ihr Summen, natürlich mit bedeutenden Zinsen, vorschossen. Ehe ein Monat verflossen, lebte sie wieder auf demselben großen Fuße, wie früher. Sie hatte eine große, prachtvolle Wohnung gemiethet, hielt Pferde und Wagen, und gab ungeachtet der Trauerzeit glänzende Gesellschaften. In ihren Sälen versammelte sich die schöne Welt der Residenz und fröhnte den aristokratischen Vergnügungen des Winters.

Marianne theilte ihre Zeit zwischen häuslichen Geschäften und den Besuchen bei Philipp’s Aeltern. Der junge Mann empfing sie wie der Bruder die Schwester. So offen und frei er sich auch sonst zeigte, so rückhaltend war er mit seinen Studien; es schien selbst, als ob er sich ihrer schämte. Den Landmann, der die Bewirthschaftung der Aecker und Wiesen verstand, trug er gern zur Schau; alle übrigen Kenntnisse suchte er mit Sorgfalt zu verbergen. So verfloß die Zeit, und der kleine Meierhof mit seinen gutherzigen, schlichten Bewohnern ward Marianne’s liebster Aufenthalt. Für Philipp, den sie nun näher kennen lernte, empfand sie nicht mehr die reine schwesterliche Zuneigung, sie konnte sich eines Gefühls nicht erwehren, das der Hochachtung ähnlich war.

Der Gedanke, daß sie sich bald von den guten Leuten trennen müsse, war nächst der Erinnerung an ihren verstorbenen Wohlthäter der einzige Schmerz. Den Verlust des Vermögens bedauerte sie nicht, da sie sich nie als die Erbin des Obersten betrachtet hatte. Aus diesem Grunde schrieb sie auch nur einen Brief an den Herrn von Detmar, worin sie ihm aus Artigkeit oberflächliche Mittheilungen von dem Stande der Dinge machte, aber mit keinem Worte ihrer Zukunft erwähnte. Sie konnte es nicht über sich gewinnen, durch irgend ein absichtliches Verfahren der rechtmäßigen Erbin, für die sie Franziska hielt, Nachtheil zuzufügen. Sie beschloß, für sich selbst zu sorgen.

Um diese Zeit trat eines Abends der Kammerdiener Gottfried in ihr Zimmer. Der alte Mann befand sich in großer Aufregung.

„Ach, Fräulein Marianne, haben Sie denn nichts gehört?“ fragte er hastig.

„Was?“

„So eben ist ein Wagen in den Hof gefahren.

„Ein Wagen – wen brachte er?“

„Fräulein Franziska.“

Marianne fuhr erschreckt empor. Ihr ahnte, daß etwas vorgehen würde.

„Sie?“ flüsterte sie bestürzt.

„Verzeihen Sie, daß ich so erschreckt eintrete – aber nach dem Gespräche, das an jenem Unglückstage zwischen Ihnen und dem stolzen Fräulein stattfand –“

„Vermuthest Du, daß mir die Erbin nichts Gutes bringt?“

„Ach, ich glaube, es ist Grund genug dazu vorhanden.“

„Mein alter Freund, ich bin auf Alles gefaßt. Hier ist meines Bleibens nicht. Mehr, als mich aus ihrem Eigenthume jagen, kann meine Feindin nicht thun.“

„Aber wohin wollen Sie sich wenden?“ fragte der Greis unter Thränen.

Diese Frage fiel den armen Mädchen schwer auf das Herz.

„Wohin?“ flüsterte sie mit einem Blicke zum Himmel. „Der gute Gott hat mich damals nicht verlassen, als ich ein hülfloses Kind in der Welt stand – er wird mir auch jetzt einen Weg zeigen. Wo befindet sich Franziska?“

„Als ich den Wagen ankommen hörte, eilte ich in den Hof.

Das Fräulein war schon ausgestiegen und befahl mir, den Gerichtshalter zu holen. Ich that es. Jetzt befindet sie sich mit ihm in dem Saale; sie haben, wie es scheint, wichtige Dinge zu verhandeln. Ich benützte die Zeit, um Sie davon in Kenntniß zu setzen. Fräulein Franziska ist sehr aufgeregt und der Gerichtshalter ist so freundlich und höflich, daß er ihr das Kleid geküßt hat.“

Marianne hatte einen Augenblick nachgesonnen. Dann, als ob sie einen entscheidenden Entschluß gefaßt, erhob sie das Haupt, und sagte in einem entscheidenden Tone: „Man soll nicht sagen, daß ich meiner Pflicht gefehlt – bis zu dem Augenblick, wo man mich davon entbindet, werde ich sie erfüllen. Nimm das Licht, Gottfried, und leuchte mir in den Saal voran, ich will das Fräulein von Adersheim empfangen.“

Der Kammerdiener ergriff die Kerze, und ging voran. Beide stiegen die breite Treppe hinab, und traten in den Saal des Erdgeschosses. Franziska und der Gerichtshalter saßen an einem Tische, auf dem mehrere Aktenstücke und Papiere lagen.

Bei dem Erscheinen Marianne’s erhob sich Franziska. Der Anblick des einfachen, aber reizenden Mädchens, das mit ruhigen, würdevollen Mienen eingetreten, brachte eine fürchterliche Aufregung in der leidenschaftlichen Franziska hervor. Ihr Gesicht ward bleich und die großen Augen rollten in dem schönen Kopfe.

„Wer hat Sie rufen lassen, Demoisell?“ fragte sie mit bebender Stimme.

Hatte Marianne auch einen kalten, herzlosen Empfang erwartet, auf einen Empfang, der sie so tief herabsetzte, war sie nicht vorbereitet gewesen. Sie vermochte vor Bestürzung nicht zu antworten.

Der greise Kammerdiener wollte sich entfernen.

„Halt, bleibe Er! Die Domestikenwirthschaft hat nun ein Ende!“ rief Franziska.

Der alte Mann verneigte sich und trat zur Thür zurück.

„Ihr habt bis jetzt die Herren im Hause gespielt,“ fuhr sie fort – „jetzt bin ich die Herrin! Von diesem Augenblicke an habt Ihr nur zu gehorchen.“

„Gehorchen?“ fragte Marianne mit einem schmerzlichen Lächeln.

„Sie verkennen Ihre Stellung, mein Fräulein. Giebt Ihnen auch die Geburt das Recht, über das Vermögen Ihres Onkels nach Willkür zu verfügen; auf den Dienst derer, die ihn liebten, haben Sie keine Ansprüche. Ich bin nicht gekommen, um nach Ihren Befehlen zu fragen, sondern um unaufgefordert mein Amt niederzulegen.“

„O, wie schlau!“ rief sie spöttisch. „Sie legen ein Amt nieder, von dem Sie wissen, daß man es Ihnen nicht lassen wird. Rechenschaft fordere ich nicht, denn man soll nicht sagen, daß ich geizig bin. Verstanden, Demoiselle? Rechenschaft fordere ich nicht!“ wiederholte sie betonend. „Fordern Sie vielmehr Ihren Lohn, ich bin bereit, mit Ihnen abzurechnen. Wenn ein Domestik abzieht, hat er das Recht, seinen Lohn zu fordern.“

Bei dieser tiefen Demüthigung erwachte Marianne’s Stolz.

„Ja,“ antwortete sie mit fester Stimme, „ich war die Magd meines Wohlthäters, ich diente ihm aus Liebe, und jeder seiner Wünsche war erfüllt, noch ehe er ihn aussprach. Als Lohn dafür empfing ich seine Vaterliebe, denn er hielt mich wie seine Tochter. Jetzt, mein Fräulein, ist dieser Dienst zu Ende, ein Dienst, den Sie eigentlich hätten verrichten sollen, wenn Sie die Fähigkeiten dazu gehabt hätten. Doch, warum rechte ich mit Ihnen, die sie mich nicht verstehen wollen?“

„Machen Sie es kurz!“ rief Franziska, indem sie ungeduldig mit dem Fuße auf die Erde stampfte. „Was fordern Sie von mir?“

„Nichts, als daß Sie mich ungekränkt ziehen lassen.“

„Gut, noch eine Nacht dulde ich Sie unter meinem Dache!“

„Dulden, noch eine Nacht?“ wiederholte Marianne schmerzlich.

„Morgen findet sich wohl Jemand, der Sie in seine Dienste nimmt!“ rief Franziska mit einem höhnischen Lachen und indem sie sich verachtend abwandte. „Gehen Sie nur in die Residenz, dort finden Sie Freunde!“

Marianne begriff den Sinn dieser Worte nicht, da sie Franziska’s Eifersucht nicht kannte. Sie warf noch einen schmerzlichen Blick nach dem Portrait des Obersten, das in dem Saale hing, dann ging sie festen Schritts der Thüre zu.

„Bettelstolz!“ rief Franziska ihr nach, deren Aufregung keine Grenzen kannte.

Auf der beleuchteten Hausflur verließ die arme Marianne die Kraft – sie sank, einer Ohnmacht nahe, auf einen Stuhl.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Hausflur und Philipp trat ein. Als er das bleiche, regungslose Mädchen erblickte, stürzte er mit dem Ausrufe auf sie zu:

„Mein Gott, Marianne, was ist geschehen?“

Und stürmisch ergriff er ihre beiden Hände. Sie schlug die thränenschweren Augen auf.

„Philipp!“ flüsterte sie erschreckt. „Was willst Du? Was willst Du?“

„Draußen erzählt man sich, daß Franziska angekommen ist – sie hat Dich gekränkt, beleidigt –“

„Nein, nein!“ antwortete sie, indem sie schmerzlich das schöne

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