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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

pflegt der Kranken, sie verbindet Wunden mit eigener Hand und läßt sich von dem Ekel nicht abhalten, der viele Andere zurückstoßen würde.

Sie hat 43,000 Franken Renten und gewinnt beträchtliche Summen mit der Feder. Ihre Memoiren, deren Veröffentlichung in der Presse bevorsteht, wurden ihr für 130,000 Franken abgekauft, dennoch las ich in einem Brief an eine Freundin: „Ich möchte gerne nach Paris kommen, wo ich Mancherlei zu ordnen hätte, allein ich habe keinen Sous.“ Und sie lebt sehr einfach, ohne allen Prunk, fast bürgerlich.

Wenn sie ausgeht und nach ihrer Gewohnheit umherstreift, erheitern sich die Gesichter der Leute, die ihr begegnen, fast Jeder hat ihr etwazu verdanken. „Die Blinden kennen ihren Schritt.“ Greise and Kinder lächeln ihr entgegen.

Sie liebt enge trauliche Kreise und ist, wenn sie nach Paris kommt, nicht zu bewegen, glänzende Gesellschaften zu besuchen. Ein Grund hiervon ist auch der, daß sie sich nicht entschließen will, einige Stunden das Rauchen zu entbehren, das ihr noch vom Quai St. Michel her ein Bedürfniß geworden. Sie trägt immer in einer Tasche Tabak bei sich, aus dem sie sich selbst Cigarretten fertigt. Sie raucht den ganzen Tag mit wenig Unterbrechung. Sie ist nun 49 Jahr alt und hat in der letzten Zeit an Beleibtheit zugenommen. Sie ist aber noch immer eine anziehende stattliche Erscheinung. Auf ihrem edeln Angesichte ist es zu lesen, daß viele Stürme über dieses Weib dahingebraust, daß sie aber nicht vermocht, diese männliche Seele zu erschüttern. Sie ist evangelisch gut und fromm geblieben, trotz der Bitterkeiten, die ihr Leben und Schicksal reichlich kredenzt. Ihre Züge verrathen Festigkeit des Willens und Kraft. In ihrem dunkeln Auge lodern Begeisterung und Leidenschaft und spiegelt sich zugleich die Milde ab. Sie spricht wenig und meist nur von ernsten, wichtigen Dingen. Das Plaudern der Franzosen, bis zur Kunst ausgebildet, ist nicht ihre Sache. Doch hört sie wohlwollend dergleichen Gesprächen zu und freut sich an den Uebungen des Witzes; sie lächelt duldsam über jeden Bonmot. Wenn aber höhere menschliche Interessen, Kunst, Wissenschaft und Politik zur Sprache kommen, dann spricht sie mit und da geschieht es bisweilen, daß ihre Lippen von Beredtsamkeit überströmen. Aus ihrem Auge leuchtet dann der Fanatismus der Wahrheit. In ihrem Benehmen ist sie schlicht und wirklich bescheiden, von ungekünstelter Natürlichkeit zum Unterschied von den meisten pariser Berühmtheiten, die nichts ohne Absicht thun oder unterlassen, von jedem Wort, von jeder Bewegung wie Schauspieler im Voraus den Effekt berechnen. Ihre Kleidung ist geschmackvoll, meist dunkel, von anmuthiger Nachlässigkeit. Daran erkennt man sogleich die Frau von guter Gesellschaft und Bildung, der die Form viel, aber nicht Alles gilt.

In dem Schlosse Nohant herrscht ein schönes, heiteres, thätiges Leben, man findet da viel Vergnügen und viel geistige Anregung. Zahlreiche Gäste gehen ein und aus, Fremde und Einheimische. Man trifft öfters unbemittelte Bauern neben eleganten Parisern an dem Tische der Dichterin sitzen. Eine seltsame Mischung, der es nicht an Eigenthümlichkeit fehlt. Der Ton ist ungezwungen, doch fein und im höchsten Grade geziemend. George Sand wirkt bildend und erhebend auf ihre Umgebung und man möchte auf sie die herrlichen Verse Goethe’s anwenden:

„Weit hinter ihr im wesenlosen Scheine
Liegt, was uns alle bändigt: das Gemeine.“

Ein größerer Saal des Schlosses ist in ein Theater umgewandelt, wo die Stücke der Dichterin, bevor sie vor dem Lampenlicht zu Paris erscheinen, von den Hausfreunden aufgeführt werden, und in welchen die Dichterin selbst häufig mitspielt. Bei diesen Vorstellungen, wenn sie öffentlich, was meist am Sonntag der Fall ist, bilden die Landleute, freilich auch die Honoratioren der Umgegend, die Zuschauer. Auf diese Weise ist für Unterhaltung und Belehrung gesorgt. Die Dichterin hat Gelegenheit die Bühnenpraxis zu studiren, mit der sie sich trotz ihrer außerordentlichen Begabung noch immer nicht ganz zurecht finden kann. „François de Champis“ und „Claudie“ sind bis jetzt unter den vielen ihre einzig gelungenen Theaterstücke.

George Sand ist von anhaltender Thätigkeit; sie arbeitet ununterbrochen und gönnt sich nur wenig Erholung. Sie schläft höchstens 5 bis 6 Stunden. Um 11 Uhr morgens versammelt der Ton einer Glocke alle Bewohner des Schlosses zum Frühstück. Die Schloßfrau erscheint meist erst, wenn das Mahl zur Hälfte eingenommen ist. Während ihrer Abwesenheit macht ihr Sohn den Gästen die Honneurs. Sie reicht Jedem, wenn sie in den Speisesaal kommt, die Hand und küßt mit mütterlicher Zärtlichkeit ihren Sohn. Die Tafel bietet Ueberfluß, die Küche ist vorzüglich. Nach dem Frühstück lustwandelt Madame Sand gewöhnlich am Arme Einer ihrer Gäste im Park umher, eine besondere Vorliebe hegt sie für ein kleines Gehölz, das auf eine weitausgedehnte Wiese führt. Bei dieser Gelegenheit pflegt sie über Botanik, ihrer Lieblingswissenschaft, abzuhandeln. Durch die besondere Weise, wie sie die Pflanzenwelt auffaßt und darstellt, gewährt sie den Zuhörern stets Vergnügen. Nachdem sie sich eine halbe Stunde diese Erholung gegönnt, kehrt sie zu ihrer Arbeit zurück und überläßt es jedem sich nach Belieben zu beschäftigen. Die wohlversehene Bibliothek steht Jedem zur Verfügung. Um 6 Uhr Abends wird das Mittagsmahl eingenommen. Alles erscheint, wie die Hausfrau selbst sorgfältiger gekleidet, ohne daß man deshalb minder ungezwungen und frei sich bewegte. Es giebt keine andere Begrenzung der Freiheit für Jeden, als die Schicklichkeit. Weiß man doch wie schonend, duldsam und nachsichtig, wie hoch über nichtige Förmlichkeiten erhaben die Gebieterin des Schlosses, wie verhaßt ihr jede Tyrannei im Kleinen wie im Großen sei. Nach dem Mittagessen wird wieder ein Spaziergang in das Gehölz gemacht, man erzählt, man singt, man stellt allerlei anmuthige Leibesübungen an. Ist das Wetter ungünstig, so versammelt sich die Gesellschaft zu munterem Verkehr im Salon. Und Frau Sand, die ehemalige Freundin und Schülerin Lißt’s und Chopin’s improvisirt entweder auf dem Clavier oder spielt Stücke von Mozart, ihrem Lieblingscompositeur. Bisweilen legt sie die neuesten Produkte ihrer Feder vor, was stets mit Dank und Freude hingenommen wird. Man kann sich kaum einen Begriff von den zarten Berührungen der Leute unter einander im Schlosse Nohant machen. Jedes Wort, jeder Zug dieses Kreises zeigt von Bildung und Takt. Richtiges Gefühl und feiner Anstand herrschte immer vor. Man merkt es, daß hier ein großer edler Geist seinen Einfluß übt. So waltet George Sand in ihrem Hause.

George Sand hält unendlich viel auf ihre Freunde und hängt unlösbar fest an ihnen. Sie giebt Keinen auf. Man weiß, daß die Dichterin auch Opfer zu bringen vermag, wenn es die Freundschaft erheischt.

Als Herr Miot, vom Berge, Einer in der gesetzgebenden Versammlung, im Jahre 1851 nach dem Staatsstreich vom 2. Dezember auf der Liste der zu Deportirenden erschien, gerieth George Sand außer sich vor Schmerz, denn Herr Miot zählte zu ihren Freunden. Sie wollte, sie mußte ihn retten. Sie war ehemals, da er unglücklich und hoffnungslos zu Boulogne verhaftet gewesen, mit Louis Napoleon, dem jetzigen Kaiser der Franzosen, befreundet. Theils durch sein traurig Schicksal, theils durch die von ihm öffentlich bekannten Grundsätze gewonnen, hatte sie ihn öfters in seinem traurigen Aufenthalt besucht, um ihn zu trösten. Zwischen dem glücklichen Präsidenten und der Dichterin hatte sich eine Kluft geöffnet, welche durch die Ereignisse des Dezember bis zur Unendlichkeit erweitert wurde. Aber George Sand trug kein Bedenken diese Kluft zu überspringen, da es sich um Leben und Tod für ihren Freund handelte. Sie schrieb von Nohant an den damaligen Präsidenten, Louis Napoleon, und bat um eine Audienz. Allein der Präsidentenstuhl, der bereits die Formen eines Thrones anzunehmen begann, war von einer siegreichen und doch ängstlichen Partei, wie von einer Mauer umstellt, durch die der Brief der entfernten Dichterin nicht zu dringen vermochte. Sie erhielt keine Antwort und eilte nach Paris, um ihrem Schreiben und sich selbst einen Weg zu dem Herrn über das Schicksal Frankreichs und ihres Freundes zu bahnen. Durch ihre Verbindungen gelang es ihr. Louis Napoleon empfing die ehemalige Freundin mit aller Rücksicht und Zuvorkommenheit, die ihrem Geschlechte und ihrem Talente gebühren. Und kaum hatte sie die Bitte ausgesprochen, als er in ihrer Gegenwart den Gnadenakt für den Gerichteten ausfertigte, ihr vorlas und an das Ministerium des Innern zur schleunigen Ausführung sandte.

Auch diesem Schritt der Güte und Menschenfreundlichkeit sollte es an Anfechtungen, diesmal nicht von den Feinden, sondern von den Freunden der Dichterin, nicht fehlen. Man machte ihr zum Vorwurf, daß sie einen Menschen höher achte, als ihr Prinzip. Als man ihr diese Anklage mittheilte, gab sie zur Antwort: Mir ist der Mensch oberstes Prinzip.

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