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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 41. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Kopf und Herz.
(Fortsetzung.)
II.

Eine Stunde später erschienen ein Herr und eine Dame zu Pferde auf der Landstraße, die von der Hauptstadt nach dem Schlosse Adersheim führt. Der Reiter war ein eleganter junger Mann mit bleichen Zügen und einem vollen schwarzen Barte, der das Gesicht förmlich einrahmte. Er trug einen geschmackvollen englischen Reitanzug und auf dem schwarz gelockten Haupte einen feinen weißen Kastorhut. Die Reiterin, eine schöne junge Dame, trug ein Reitkleid von schwarzem Sammet, dessen Schleppe fast den staubigen Boden berührte. Unter dem schwarzen Hute mit dem grünen wehenden Schleier sah man ein reizendes Gesicht, das von einer Fülle dunkeler Locken umspielt ward. Die Eleganz der Reiter bildete mit dem Aussehen ihrer Rosse einen auffallenden Contrast; die ziemlich magern Thiere trugen alle Zeichen, die den Miethsgaul charakterisiren.

„Walther,“ rief die Dame, indem sie den Trab ihres Pferdes hemmte, „ich versprach Ihnen auf dieser Tour eine Ueberraschung – merken Sie auf!“

„Ich merke auf, Franziska!“ antwortete Walther, das Pferd zu seiner Begleiterin wendend.

„Sehen Sie die romantischen Ruinen am Abhänge jenen Waldrandes?“ „Romantisch? Ruinen?“ lachte der Elegant. „Wahrhaftig, Franziska, Ihre Laune ist diesen Morgen köstlich! Seit wir auf den Marken Ihres Onkels sind, des merkwürdigsten Anachoreten von der Welt, erblicken Sie in jedem Strauche einen Urwald, in jedem Steine am Wege einen pittoresken Felsen, und in jeder Lehmbaracke eine Ruine. Wollen Sie die Entstehung jenes Strohdachs nicht bis in das Mittelalter zurückführen?“

„Wenn auch das nicht, mein Freund; aber sehen Sie sich die Trümmer deutlich an, sie werden für Sie, für den größten Frauenkenner der Residenz, von Interesse sein.“

„Sie werden boshaft, Franziska! Ich glaube, daß ich meinen Schönheitssinn durch die Verehrung, die ich Ihnen erzeige, deutlich genug bekundet habe.“

„Wer zweifelt an Ihrem Geschmacke, mein Freund? Ich will meine kleine Person nicht in Anschlag bringen, und nur an jene Marianne erinnern, die Sie einst als eine ideale Schönheit bezeichneten.“

„Eine seltsame Ideenverbindung! Franziska, ich bewundere Ihre kühne Phantasie. Was hat die wirklich reizende Marianne mit jenem Schutthaufen zu schaffen?“

„O, mehr als Sie vermuthen!“ rief Franziska, deren Neid durch das Wort „reizend“ erregt worden war. „Merken Sie auf – sie zeigte mit der Reitpeitsche nach der Hütte – jene Trümmer sind aus dem Stammschlosse Ihrer wirklich reizenden Marianne entstanden! Dort wohnten ihre Vorältern, und wo jetzt Disteln and Dornen wuchern, stand einst die Wiege des lieblichen Kindes, das jetzt als wirklich reizende Marianne gewissen Männern von Geburt die Köpfe verrückt. Halten Sie doch, halten Sie doch, Baron Walther von Linden, wir stehen auf einem klassischen Boden.“

Sie hielt ihr Pferd an, und sah mit einem bitter ironischen Lächeln dem jungen Baron in das Gesicht.

„Nicht wahr,“ fragte sie, „diese Ueberraschung lohnt der Mühe, zwei Stunden auf dem Rücken eines aufgeputzten Miethspferdes zuzubringen? Wollen Sie nicht eine Skizze von dieser merkwürdigen Ruine entwerfen? Beeilen Sie sich, mein ästhetischer Freund, denn nicht alle Besitzer von dem Gebiete Adersheim könnten die Pietät haben, diesen Düngerhaufen so nahe am Wege liegen zu lassen. Pfui, welch ein unerträglicher Geruch verpestet die Luft! Ich gäbe einen Louisd’or für eine Prise Tabak.“

„Sie träumen wohl schon, die Besitzerin von Adersheim zu sein?“rief Walther spottend. „Dann freilich ist es um diese arme Hütte geschehen, die Ihr Onkel, wie mir scheint, nur deshalb verschont, um Ihnen, seiner unbestreitbaren Erbin, den herrlichen Triumph Ihrer Vernichtung zu gönnen!“

Franziska preßte die Lippen zusammen and senkte die Augen, als ob sie einen heftigen Schmerz verbergen wollte. Dann sagte sie mit bebender Stimme und einer kalten, höhnenden Galanterie: „Sie thun mir Unrecht, lieber Herr; die Dame, die der reiche, uneigennützige Baron von Walther heimzuführen gedenkt, braucht wahrlich nicht auf eine Erbschaft zu hoffen. Ein Krösus heirathet nur aus Liebe und bezahlt gern die Schulden seiner fashionablen Gattin.“

Nach diesen Worten brach Franziska in ein fast kreischendes Gelächter aus, schlug wie rasend mit der Reitpeitsche den Kopf ihres Pferdes und sprengte die Chaussee hinab, daß sich eine dichte Staubwolke erhob.

Walther sah ihr einen Augenblick nach, wandte ruhig sein Pferd und ritt den Weg zurück, den er gekommen war.

„Für diese Malice hat sie eine derbe Züchtigung verdient!“ murmelte er vor sich hin.

Nach fünf Minuten war er in der Biegung des Waldweges verschwunden.

Franziska setzte rasch trabend so lange den Weg fort, bis das Pferd aus eigenem Antriebe Schritt ging und endlich erschöpft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_481.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2016)