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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

zurückgekauft. Die That war geschehen, und nichts in der Welt konnte sie rückgängig machen.

„„Der Mann hat eine kranke Frau,“ sagte Gottfried; „wir wollen ihn in das Nachbargehöft schaffen.“

„Mit Hülfe meinen Wagens brachten wir den Todten nun in das Gehöft, in dessen Thore Du vorhin den jungen Mann erblicktest. Der Vater desselben, ein wackerer Bauer, suchte mich über den Unfall zu trösten; aber dessen ungeachtet, und obgleich ich wußte, daß ich nicht vorsätzlich den schrecklichen Schuß gethan, kehrte ich in einer martervollen Verfassung nach meinem Schlosse zurück. Nach einer schlaflos verbrachten Nacht ging ich am frühen Morgen zu Lorenz’ Hütte. Die klare Morgensonne beschien freundlich das ärmliche Gebäude, dessen niedere, schwarze Thür halb geöffnet war. Ein Pudel sprang daraus hervor, sah mich einen Augenblick an, lief dann zurück und kratzte an einer Thür, als ob er mich veranlassen wollte, sie zu öffnen. Leise trat ich in das kleine Stübchen. Welch ein Anblick bot sich mir dar! In dem einzigen, armseligen Bette sah ich ein mageres, leichenblasses Frauengesicht mit gebrochenen, weit geöffneten, Augen. Der rechte Arm dieser Frau hielt den Kopf eines kleinen Mädchens umschlungen, das auf einem Stuhle neben dem Bette saß, mit dem Oberkörper auf das Kissen gesunken und eingeschlafen war. Das blühende Kind lag süß schlummernd in dem Arme der todten Mutter. Ich schäme mich nicht zu bekennen, daß mir die Thränen in die Augen traten, und daß ich einige Minuten still weinte, während der treue Pudel mir die herabhängende Hand leckte.

„Das ist mein Kind! sagte ich zu mir. Gott selbst giebt mir ein Mittel an die Hand, mein sträfliches Versehen wieder auszugleichen.

„Während ich gedankenvoll an dem Bette des Todes und des aufblühenden Lebens stand, hörte ich draußen unter dem Fenster die Stimme eines Kindes rufen: „„Marianne, komm heraus, wir wollen Sultan an den Wagen spannen!“ Und gleich darauf sah ich hinter der trüben Scheibe des Fensters, das sich neben dem Bette befand, den braunen Lockenkopf eines rothwangigen Knaben. Lächelnd blickte er in das Zimmer. Als er mich gewahrte, verschwand er wieder. Ich trat hinaus vor die Thür. Da stand das Kind mit einem kleinen, selbstverfertigten Wagen hinter sich.

„Wie heißt Du? fragte ich.

„„Philipp!“ war die unbefangene Antwort. „Ich will mit Marianne spielen.“

„So wecke sie, sie schläft noch.

„Ich führte den Knaben in das Stübchen. Kaum waren wir eingetreten, als er ausrief: Frau Lorenz schläft auch noch! Nach meiner dazu ergangenen Aufforderung trat Philipp, der barfuß ging, an das Bett, und berührte Marianne’s Hand. Das Kind erwachte und sah mit großen Augen um sich. Der Anblick des freundlichen Spielgesellen erfüllte sie mit einer sichtlichen Freude. Leise, als ob sie die Mutter nicht im Schlafe stören wollte, entwand sie sich dem sie umschlingenden Arme derselben, und setzte ihre kleinen nackten Füße auf den Boden.

„„Was ist denn das?“ rief Philipp erschreckt. „Deine kranke Mutter hat ein schneeweißes Gesicht.“

„Marianne trat rasch zu dem Bett zurück.

„„Mutter,“ rief sie, und rüttelte die Hand derselben – „Mutter, bist Du noch kränker geworden?“

„Die arme Mutter blieb regungslos, sie hörte ja das Rufen des Kindes nicht mehr.

„„Ihre Hand ist kalt!“ schluchzte das Mädchen. „Wo nur der Vater bleibt?“ fragte sie ängstlich. „Mutter wollte trinken, und da ist er zur Quelle im Walde gegangen, weil das Wasser im Bache so schlecht ist!“

„Ein kalter Schauder durchrieselte meinen ganzen Körper. Ich hatte ja dem Kinde den Vater geraubt! Diese für mich so peinliche Scene ward durch Philipp’s Vater unterbrochen, der mit einem Arzte aus dem benachbarten Städtchen eintrat. Der Letztere erklärte, ein Lungenschlag habe die Leiden der armen Frau geendet. Nachdem ich zur Bestreitung der Begräbnißkosten meine Börse hinterlassen, führte ich die beiden Kinder hinweg auf mein Schloß. Philipp sollte einige Zeit bei Marianne bleiben. Denselben Tag noch ließ ich das Gericht kommen, erklärte den Thatbestand zu Protokolle, und übernahm die Verpflichtung, das verwaiste Kind zu erziehen. Eine Strafe ward weiter nicht über mich verhängt, da man mich kannte, und von einem vorsetzlichen Morde nicht die Rede sein konnte.

„Zwei Jahre blieb nun Marianne in meinem Hause, und der Anblick des fröhlich aufblühenden Kindes verscheuchte die trüben Gedanken, welche die Erinnerung an die Unglücksgeschichte nur zu häufig anregte. Philipp erschien fast täglich, um mit der muntern Marianne seine Spiele zu treiben, die jedoch mit dem Fortschreiten des Alters ernsterer Natur wurden. Beide liebten und betrachteten sich als Geschwister, zumal da Philipp’s Mutter Marianne’s Pathe war. Auch das Glück des Knaben lag mir am Herzen, und um es zu begründen, schenkte ich dem Vater, dessen einziger Erbe er war, einige Ackerstücke und Wiesen, die an sein Gütchen grenzten. So entstand nach und nach jener hübsche Meierhof, den Du gesehen hast, und ich kann wohl sagen, er ist mehr das Werk meiner Pflegetochter, als mein eigenes.

„Bis zu ihrem zwölften Jahre hatte Marianne gemeinschaftlich mit Philipp den Unterricht meines Pfarrers genossen, es war nun Zeit, sie für die Sphäre ausbilden zu lassen, der sie künftig als meine Schutzbefohlene angehören sollte. Ich brachte sie in ein Pensionat der Residenz. Das Mädchen machte bewundernswürdige Fortschritte, und schon nach drei Jahren war sie eine junge Dame geworden, die durch Geist, Liebenswürdigkeit und Schönheit großes Aufsehen erregte. Niemand ahnte ihre niedere Abkunft, man hielt sie allgemein für eine Verwandte des reichen Barons von Adersheim, und zeichnete sie aus, wo sie erschien. Ich liebte die Tochter des erschossenen Lorenz wie meine eigene, und es schmeichelte meiner väterlichen Eitelkeit nicht wenig, wenn ich von allen Seiten ihr Lob hörte. Dazu kam noch der nimmer ruhende Drang meines Herzens, das an dem Vater begangene Vergehen an der Tochter in der größten Ausdehnung gut zu machen. Um ihrer Erziehung die höchste Vollendung zu geben, brachte ich sie in eine Bildungsanstalt, die wegen der großen Kostspieligkeit nur den reichsten Leuten zugänglich war. Auch hier ward sie bald die erste Schülerin, und die erste Schönheit.

„Zu ihrem Unglücke traf sie in diesem Institute mit Franziska, der Tochter meines Bruders, zusammen. Letztere ist zwar nicht minder schön und geistreich, aber ihr stolzer und übermüthiger Charakter vermindert den Eindruck, den ihre Erscheinung im ersten Augenblicke ausübt. Marianne’s Siege machten sie neidisch, und sie verschmähte keine Gelegenheit, die gefährliche Rivalin zu kränken. Je geduldiger Marianne selbst die boshaftesten Angriffe ertrug, je erbitterter ward Franziska, und mehr als einmal hat das arme Kind den Vorwurf ihrer niedern Abkunft hören müssen. Ein Zufall setzte mich davon in Kenntniß, und ich nahm mein Kind zurück.

„Während Marianne sich zu einer aristokratischen Dame herangebildet, war aus Philipp ein tüchtiger Landwirth und ein braver junger Mann geworden. In den Ferien sahen sich die beiden jungen Leute öfter, und ich mußte Marianne’s Takt bewundern, mit dem sie den Jugendgespielen, der hinsichtlich der Bildung tief unter ihr stand, behandelte. Sie wußte den eingetretenen Abstand so zart zu verdecken, daß der junge Bauer zwar eine gewisse Hochachtung, aber immer noch jene Zuneigung empfand, mit der er an dem kleinen Mädchen in den zerlumpten Kleidern gehangen hatte. Als sie später für immer auf dem Schlosse blieb, kam er seltener, und ich sehe ihn jetzt nur, wenn ihn sein Vater in Geschäften sendet. Dann begrüßt er unbefangen seine Jugendgespielin, und entfernt sich mit demselben heitern Gesichte, mit dem er gekommen ist.“

„Wie mir scheint,“ sagte lächelnd Eberhard von Detmar, „so ist die künftige Erbin von Adersheim gefunden. Nach der Beschreibung, die Du mir von Franziska gemacht, wüßte ich keine würdigere als Marianne.“

„O gewiß, Freund, gewiß!“ rief der Oberst. „Ist es nicht meine Pflicht, Mariannen das Leben zu schaffen und zu erhalten, für das ich es habe erziehen lassen? Es wäre ein unverzeihlicher Fehler, wenn ich eine vollendete aristokratische Dame dem niedern Stande wollte anheimfallen lassen. Marianne ist nicht an Arbeit gewöhnt, und es wäre nicht minder für mich als für sie eine Blamage, wenn sie einmal mit den Kenntnissen, durch die sie glänzt, ihr Brot verdienen müßte. Diesen Triumph gönne ich der neidischen Franziska nicht. Aber sie bleibt dessen ungeachtet immer die verarmte Tochter meines Bruders, und deshalb werde ich ihr helfen, sobald sie meiner Hülfe werth ist. Trotz der Beleidigungen,

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