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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

auf Ernst warf, schwankte die todtbleiche Klementine der Thür zu. In diesem Augenblicke ließ sich die Stimme des Junkers in dem Boudoir vernehmen. Frau von Falk, die den Saal betreten wollte, wandte sich, schritt stolz und majestätisch an dem tief erschütterten Ernst vorüber, und verschwand mit der willesnlosen Klementine in dem Boudoir. Ernst sank wie betäubt auf einen Sessel nieder; Thränen entstürzten seinen Augen. Ihm blieb kein Zweifel mehr, daß die arme Klementine sich dem Willen ihrer hochfahrenden Großmutter fügte, und daß sie einen schweren Kampf zwischen Liebe und kindlichem Gehorsam kämpfte. Aber worauf konnte sie noch rechnen? Auf eine heimliche Flucht? Dieser Gedanke durchzuckte ihn wie ein Blitz. Seine verzweifelnde Liebe rieth ihm dazu, aber das Ehrgefühl rieth ihm davon ab. Rathlos sah er durch das stille, glänzende Gemach. Sein Kopf brannte, und seine Pulse klopften im Fieber. Er wollte hinaus in das Freie stürzen – aber das Zimmer hatte nur zwei Ausgänge, den einen in den Saal, den andern in das Boudoir. Dort mußte er sich der glänzenden, fröhlichen Gesellschaft zeigen – hier mußte er Frau von Falk und dem Brautpaare entgegentreten. Und dabei rückte der Augenblick immer näher heran, in dem der Junker seine Ueberraschung ausführen wollte; es ließ sich selbst erwarten, daß Frau von Falk die Proklamation der Verlobung beschleunigen würde. Ernst saß regungslos auf einem Sessel. Die fröhliche Ballmusik umrauschte wie Grabgesang seinen wüsten Kopf, und der Luxus, der ihn umgab, erschien ihm wie ein Trauergepränge. Beides war ja veranstaltet, um das Glück seines Lebens zu Grabe zu tragen.

Da öffnete ein Diener die Thür, die zu dem Saale führte.

Er ließ einen großen stattlichen Mann eintreten. Auf der Brust seines einfachen schwarzen Fracks trug dieser Mann zwei glänzende Orden. Das Gesicht, obwohl von Furchen durchzogen, schmückte ein voller, brauner Schnurrbart, die hohe glänzende Stirn umgab ein kurzes, krauses Haar von dunkler Farbe; die edele römische Nase und die großen, glühenden Augen gaben ihm ein strenges, ehrfurchtgebietendes Ansehen, und seine ganze Haltung war ernst und würdig.

„Wen habe ich die Ehre, meinem gnädigen Herrn zu melden?“ fragte der Diener.

„Einen Herrn von Julian!“ war die kurze Antwort.

Der Diener entfernte sich.

„Julian?“ rief Ernst unwillkürlich aus, indem er aufsprang, und den Fremden anstarrte.

Er hatte den Namen Dessen gehört, an den Klementine’s Brief gerichtet war, und von dem jene alte Frau erzählt hatte, daß sich das junge schöne Mädchen an seine Brust geworfen und geweint habe. Ein inniges, zärtliches Verhältniß zwischen den beiden Personen war bis zur Evidenz erwiesen. Ernst starrte seinen Nebenbuhler sprachlos an.

„Kennen Sie mich?“ fragte der Fremde, indem er seinen Hut auf einen Stuhl setzte.

„Ich habe den Namen Julian gehört, mein Herr – –“

„Und wer hatte die Güte, ihn sich zu merken?“ fragte Julian mit kalter Höflichkeit.

„Ein verabschiedeter Offizier!“ antwortete Ernst in einem bittern Tone, dessen er sich bei der aufkeimenden Eifersucht nicht erwehren konnte.

„Dann sind Sie der Baron Ernst von Below!“ rief rasch und bewegt der Fremde.

„Ich bin’s, mein Herr! Wie mir scheint, sind wir Beide eben nicht willkommene Gäste.“

„Wie, Herr Baron, haben Sie so wenig Vertrauen zu Klementine von Falk?“ fragte Julian lächelnd. „Bleiben Sie! Ich übernehme es, Sie einzuführen.“

„Sie? Sie? Mein Herr, ich war Offizier!“

„Auch ich!“

„Meine Ehre ist unbefleckt!“

„Auch die meine!“ ruf Julian mit sprühenden Augen. „Mein Anerbieten kann Sie nicht verletzen.“

„Und dennoch schlage ich es aus!

„Klementine wird es Ihnen nicht danken! Reclamiren Sie Ihre Rechte!“

„Sind Sie in dieser Absicht gekommen?“ fragte Ernst verachtend.

„Ich leugne es nicht, und dafür, daß meine Forderung Gehör finden wird, habe ich gesorgt!“

Diese Worte sprach Julian mit einer Gewißheit, die Ernst erzittern machte.

„Sollte sie schuldig sein?“ fragte er sich. „Sollte dieser Mann sie von sich abhängig gemacht haben? Er drängt sich in das Haus, um den Junker zu sprechen – Gott, wie wird das enden! Mein Herr,“ wandte er sich zu Julian, „ich habe Sie bereits in dem Hause der Frau Hammerschmidt aufgesucht, um Ihnen einen Brief mit Ihrer Adresse zurückzugeben. Hier ist er!“

Julian nahm den Brief. Nachdem er flüchtig einen Blick darauf geworfen, dankte er, steckte das Papier zu sich, und sagte zu Ernst: „Haben Sie die Zeilen gelesen?“

„Der Brief war offen, mein Herr – ja!“

„Dann müssen Sie wissen, daß ich zu Klementine in einer Beziehung stehe –“

„Klementine liebt Sie!“ rief Ernst hastig.

Julian ergriff die Hand des Offiziers, indem er ihm zuflüsterte: „Und weil ich sie liebe, weil mir ihr Glück am Herzen liegt, darf die beabsichtigte Speculationsheirath nicht zu Stande kommen. Der ihr aufgedrungene Bräutigam soll wissen, daß es einen Mann giebt, der ältere und heiligere Rechte besitzt, als er.“

Ernst starrte den seltsamen Mann an.

„Auch Sie, Herr Baron von Below, sind von Klementine geliebt,“ fuhr er fort; „o, ich weiß es, meinem Scharfblicke ist nichts verborgen geblieben – und darum fordere ich Sie auf, mir beizustehen. Still, man kommt!“

Noch ehe Ernst ein Wort erwiedern konnte, ward die Thür des Boudoirs geöffnet, und Klementine erschien am Arm des Junkers. Frau von Falk folgte mit stolzen Mienen; sie würdigte die beiden Männer keines Blickes. Klementine stieß einen leisen Schrei froher Ueberraschung aus. Ernst bemerkte, wie Julian bei dem Anblicke der Eintretenden heftig zu zittern begann, und wie seine großen dunkeln Augen in einem ungewöhnlichen Feuer erglühten. Klementine hing zitternd an dem Arme ihres Führers; es war ersichtlich, daß sie sich kaum aufrecht erhalten konnte. Der Fremde trat dem Brautpaare entgegen.

„Herr Baron,“ sagte er mit fester Stimme, „ich habe Sie um eine Unterredung bitten lassen; es scheint, daß meine Bitte unberücksichtigt geblieben –“

„Sind Sie zu dem Feste geladen?“ fragte der Junker in spöttischer Verwunderung.

„Nein!“

„Dann, mein Herr, hat mein Haushofmeister ein großes Versehen begangen – –“

„Daß er dem Ungebetenen nicht die Thür vor der Nase verschlossen hat?“ ergänzte Julian, ohne seine Ruhe zu verlieren.

„Oeffne die Thür, mein Freund!“ befahl der Junker einem nachfolgenden Diener.

„Diesen Dienst erlaube ich mir Ihnen zu erzeigen, Herr Baron von Below, sobald die geeignete Zeit gekommen – für jetzt bedarf ich Ihrer zu einer Unterredung, die keinen Aufschub erleidet!“ fügte Julian mit einem gräßlichen Hohne hinzu, und indem er die Thür verschloß, die zu dem Saale führte.

Alle Personen erstarrten über die Kühnheit des Fremden. Nur Klementine flüsterte freudig bestürzt vor sich hin: „Gott sei Dank, es ist ihm gelungen!“

Frau von Falk, die den Fremden aufmerksam beobachtete, entließ den Diener durch die Thür des Boudoirs.

„Was wollen Sie?“ fragte der Junker, den der Muth verlassen zu haben schien.

Julian ergriff Klementine’s Hand, und zog sie sanft zu sich herüber.

„Zunächst die geopferte Braut, mein Herr! An meiner Seite ist Dein Platz, Klementine!“

Länger vermochte sich Frau von Falk nicht zu halten; mit der Heftigkeit ihres Charakters trat sie Julian entgegen, und streckte die Hand nach ihrer Enkelin aus. Aber wie festgebannt blieb sie plötzlich stehen, die vor Schrecken starren Blicke auf den Fremden gerichtet.

„Victor!“ rief sie in einem durchdringenden Tone. Sie hatte ihren Sohn erkannt.

„Ich bin es,“ murmelte Victor bewegt; „ich wollte es dem Mutterauge überlassen, den Sohn zu erkennen.“

Ehrerbietig drückte er einen Kuß auf die Hand der alten Dame.

„Mein Sohn,“ sagte sie plötzlich, und indem sie das greise Haupt stolz emporhob, „Du brichst ein feierlich gegebenes Versprechen – hast Du mir nicht Deine Vaterrechte an Klementine übertragen?

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_454.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)