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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Kommoden gleichen, aus denen man die Schubfächer herausgezogen hat, sind Alles, was dem Zwischendeckspassagiere geboten ist. Die Kojen sind Schlafkammer, Empfangszimmer, Speisesaal, Ankleidegemach und für den, der’s bedarf, Studirstube, Alles in Einem. Strohsäcke und Decken bilden die Flur. Die schwarzen Schiffsrippen und das Gebälk des Decks, woran blecherne Speisegeschirre einträglich neben Gefäßen mit unnennbarem Zwecke und Inhalte, Waschbecken als getreue Nachbarn neben Butterdosen, endlich Hutschachteln und wohlgeschmierte Stiefelpaare mit der phlegmatischen Duldsamkeit, welche Hutschachteln und Stiefeln eigen ist, neben Mettwürsten und Hosenbeinen, angeschnittenen Schinken und flatternden Rockschößen hängen, geben den Plafond ab. Die Kisten und Kasten unten auf der Gasse vor den Kojen werden als Tische und Stühle benutzt. Wer ein Freund von Musik ist, findet reichliche Gelegenheit, seinen Trieb zu befriedigen, wenn er dem Concert der unaufhörlich quäkenden Säuglingskehlen sein Ohr leihen und des Nachts den Ständchen lauschen will, welche die aus dem Schiffsraume zu Besuch kommenden Rattenchöre den Passagieren bringen. Am Besten aber ist für den Liebhaber von Gemälden gesorgt, und zwar namentlich dann, wenn er seine Neigung der niederländischen Schule zugewendet hat. Er kann in den Bretterrahmen der verschiedenen Kojen die Urbilder der Murillo’schen Betteljungen, im dämmernden Hintergrunde der Schlafstätten kostbare Jagdscenen, von den Fingern sorgsamer Mütter auf den Köpfen ihrer Kleinen aufgeführt, Breughel’sche Koboldgruppen, die einen mit ihrem Aussehen harmonirenden Spektakel machen, und kolossale Nudidäten bewundern, die durch ihr derbes Fleisch an Meister Rubens’ saftigen Pinsel erinnern. Vor der einen Koje sitzt auf ihrer buntblumigen Truhe eine alte Bäuerin und studirt mit der Brille auf der Nase den Magister Benjamin Schmolke gottseligen Angedenkens. Daneben spielen auf dem Buche liegend unter fortwährendem Gezänk etliche Judenbuben auf dem Deckel eines Hutes mit Würfeln, während in der Koje unter ihnen vier Andere sich angelegentlich mit der Karte, des Teufels Gebetbuch, beschäftigen. Aus einer vierten Schlafstelle bringt, durch das Schwanken des Schiffs plötzlich an seine Schuldigkeit gemahnt, ein wackerer Schuster oder Schneider der Seekrankheit sein Opfer mit solchem Geräusch und in so weiten Bogen dar, daß die ganze Nachbarschaft, sofern sie nicht mit gleichen Libationen zu thun hat, in lautes Beifalljauchzen ausbricht. Aus einer fünften Koje baumeln über dem zornrothen Antlitze einer Mutter, die das Hintertheil ihres Sprößlings bearbeitet, weil er das Mittagsessen der Familie verschüttet hat, an langen, dünnen Beinen ein paar gigantische Füße mit dickbesohlten nägelbeschlagenen Schuhen, einem hinterlistigen Bäuerlein angehörig, welches, auf dem Rücken hingestreckt, aus diesem Hinterhalte ein wohlgezieltes Bombardement mit Brocken von Brotzwieback unterhält. In einer sechsten Schlafschublade macht ein munterer Matrose einer drallen Schwäbin das Begehr seines Herzens im besten Plattdeutsch verständlich – ein Wunder, aber doch wahr! Zu einer siebenten – nein, hier im Finstern ist’s nicht geheuer mehr, und wir haben gerade genug gesehen, um die Natur der Gespenster, die hier hausen, und den Spuk, den sie treiben, errathen zu können.

Der Einfachheit der Wohnungen in diesen meerdurchfurchenden Emigrantenherbergen gleicht die Einfachheit der Beköstigung. Erbsen, Linsen, weiße Bohnen, grobe Graupen, Reissuppe, zuweilen ein Hering, schwarzer Zwieback, gepökeltes Rind- und Schweinefleisch, manchmal nicht von der besten Beschaffenheit, wenn auch immer reichlich, als Getränk eine schwarze Brühe, die man Kaffee, und eine grünliche, welche man Thee nennt, sowie etwas Bieressig bilden die Tafelfreuden des Zwischendecks. Sie könnten unverwöhnten Gaumen genügen, wenn die wackern Köche dieser Herbergen, die freilich hundert Hände und zehn Köpfe haben möchten, nicht bisweilen bei der Zubereitung der Speisen allzu wunderseltsamen Launen huldigten und mitunter – wir reden aus eigner Erfahrung – den Hafer, der für die Hühner bestimmt ist, unter die Erbsen, den Kautaback, der in ihre eignen Backentaschen gehört, unter den Reis mischten, anderer bisweilen in den Speisekesseln

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_451.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)