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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Einhorns vergleichbar, der Klüverbaum in die See hinausragt, zuvörderst die Wohnung der Matrosen, die das Logis heißt. Hinter diesem stößt man auf die mächtige Winde, mit welcher die zu beiden Seiten des Vordertheils herabhängenden Anker gelichtet werden. Dahinter wieder erhebt sich mit seinen Raaen, Segeln, Tauen und Strickleitern der Fockmast, und hart daneben bereitet der Koch in der mit eisernen Kesseln versehenen Kombüse oder Küche, neben welcher in der Regel Ställe für Schweine und Geflügel angebracht sind, das Essen, den Thee und Kaffee für die Mannschaft und die Passagiere. Wofern das Schiff eine zweite Kajüte hat, stößt diese gewöhnlich an die Küche. Hinter ihr dann ragt der große oder Hauptmast empor, bei welchem sich auf den meisten Schiffen die Pumpen befinden, durch welche das in den untersten Raum hineinsickernde Seewasser entfernt wird. Alsdann gelangt man zu einer zweiten Winde, welche den Namen Gangspill führt. Hierauf kommt, wenn nicht wie auf dem „Guttenberg“ eine Fortsetzung der Räume für Kajütenpassagiere nöthig geworden

Ein Auswandererschiff.

ist, die erste Kajüte, welche an dem sogenannten Besahnmast angebaut, gemeiniglich mit eleganten Möbeln, bequemen Divans und Mahagonitischen ausgestattet und auf dem Dache mit kleinen Fenstern oder Skylights versehen ist. Sie dient den wohlhabenden Passagieren und dem Kapitän, so wie dem ersten Steuermann zum Aufenthalt und gewährt den Vortheil einer guten Tafel (gut natürlich nur in Betracht der Umstände), so wie das hier allerdings nicht zu verachtende Vorrecht, den Spaziergang, den das mit einem Eisengeländer versehene Dach gewährt, abgesondert von den übrigen Bewohnern des Schiffes benutzen zu können. Hinter der ersten Kajüte, bei andern Fahrzeugen, wo der Stewart oder Proviantmeister ein eigenes Stübchen inne hat, auch über derselben, beschließt endlich das Häuschen, vor welchem, den Blick auf den Compaß gerichtet, der Steurer durch ein Rad den Gang des Kieles regulirt, die vielfach getheilten und gegliederten Räumlichkeiten des obern Decks.

Und nun hinab auf der Treppe, die auf unserer Zeichnung zwischen dem großen Maste und der zweiten Kajüte in den eigentlichen, von den Schiffsrippen umschlossenen Bauch des Fahrzeugs hinunterführt. Hinab durch die mit einer Art Schilderhäuschen überbauten Luke in das Zwischendeck, in den Raum, in welchem mehr als neun Zehntheile der jährlichen Auswanderung der ersehnten neuen Heimath im Westen zuschwimmen. Ein widerlicher Dunst, der sich selbst durch geschickt angebrachte Luftsegel und Abzugsröhren nicht völlig entfernen läßt, und der, wo diese Anstalten der Reinigung fehlen, zum abscheulichsten Brodem wird, qualmt uns entgegen. Ein Gewirr murmelnder, quiekender, singender und zankender Stimmen läßt sich vernehmen. Endlich, nachdem sich unser Auge an das hier allezeit herrschende Halbdunkel gewöhnt hat, welches, wenn stürmisches Wetter die Luken schließen heißt, sich in ägyptische Finsterniß verwandelt, erblicken wir vor uns einen 60 bis 80 Fuß langen, 20 bis 2[6] Fuß breiten und etwa 8 Fuß hohen Raum, der am obern und untern Ende durch Bretterverschläge von den Vorratskammern des Schiffes geschieden wird, und den man in seiner Totalität mit einem in den Keller getragenen Hausboden oder, wenn das angenehmer klingt, mit hausbodenartig eingerichteten Keller vergleichen kann. Ein Haufen übereinander geschichteter Koffer und Kisten nimmt die Mitte ein und scheidet das Ganze in zwei lange schmale Gänge. Neben diesen erheben sich, hüben rechts, drüben links unter den Schiffsrippen, von unbehobelten Brettern zusammengezimmert, in zwei Etagen die Kojen oder Schlafstätten der Passagiere, in denen letztere je vier und vier zusammenliegen – eine Vertheilung, welche für den Mann einen Raum von nicht mehr als etwa 6 Fuß Länge und 2 Fuß Breite läßt und darin nicht geringe Ähnlichkeit mit dem Verpacken von Heringen hat, aber durch ihre Unbequemlichkeit eine recht geeignete Vorbereitung auf ein Blockhüttenleben im Hinterwalde ist.

Der Enge dieser schwimmenden vorläufigen Heimath des Auswanderers entspricht ihre Einfachheit. Diese rohen Bretterverschläge, welche (man sehe die Abbildung an) fast auf’s Haar ungeheuren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_450.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)