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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

mit erleichtertem Herzen, rief Victor, nehmen Sie meine Tochter! Ich räume Ihnen alle meine Vaterrechte ein, und schwöre feierlich, daß ich alle Ihre Verfügungen billigen werde. – Mein Sohn, antwortete ich, ich werde auch keine Widersprüche dulden, und nur unter dieser Bedingung übernehme ich die Erziehung Klementine’s.“

Klementine sprang auf, und warf sich der Großmutter zu Füßen.

„Und Sie haben so redlich Wort gehalten,“ rief sie aus, „daß ich Ihnen jetzt als eine Undankbare erscheinen muß!“

„Mein Kind, vollende den Brief an den Baron, sprich ihm darin Deine Hochachtung und Zuneigung aus, und Du hilfst mir den Schwur erfüllen, den ich Deinem Vater geleistet habe. Bedenke, daß ich alt bin, daß meine Lebenstage gemessen sind – mein letzten Stündlein würde ein trauriges sein, wenn ich Dich schutzlos in dieser Welt zurücklassen müßte. Eine zweite Gelegenheit, Deine Zukunft zu sichern, bietet sich uns sicher nicht wieder dar. Frage nicht das Herz, frage den Verstand, und er wird Dir sagen, daß ich Recht habe.“

„Ach Gott, daß wir so arm sind!“ seufzte Klementine.

„O, wären wir reich!“ rief Frau von Falk mit blitzenden Augen. „Es wäre heute Alles anders. Der Reichthum hat schöne Vorrechte, denn er erlaubt uns, der Stimme des Herzens Gehör zu geben. Aber wir sind arm,“ fügte sie mit Bitterkeit hinzu, „und dabei müssen wir unter Entbehrungen die Leute vom Stande spielen. Es soll kein Vorwurf für Dich sein, mein liebes Kind – aber im nächsten Monate schon werden wir fühlen, daß wir gestern auf einem Balle gewesen sind. Ich würde Deine Toilette thörichte Verschwendung nennen, wenn sie nicht einen klugen Zweck hätte. Und deshalb trieb ich Dich, den Haarschmuck zu kaufen, obgleich der Preis desselben eine Deiner wochenlangen Arbeiten verschlungen hat.“

„Großmutter,“ fragte Klementine mit gepreßter Stimme, „Sie unterbrachen Ihre Erzählung – wohin ging mein armer Vater, als er sich von Ihnen trennte?“

„Frage mich nicht,“ antwortete die alte Dame, indem sie umsonst eine Aufwallung zu verbergen suchte. „Dein Vater ging, um sich für immer einem Kreise zu entziehen, dem er nicht angehören durfte. Seit der Zeit seines Vergehens sind zwanzig Jahre verflossen, die Welt glaubt, er sei bei der Belagerung von Antwerpen gefallen, und dieser Glaube darf nicht zerstört werden, weil Dein Glück mit ihm zusammenhängt. Glaube mir, Klementine, Dein Vater muß todt für Dich sein, auch wenn er noch lebte.“

„Und wissen Sie nichts von ihm?“

„Nein, nein! Ich will auch nichts von ihm wissen!“

Frau von Falk erhob sich, und ging einige Minuten in großer Aufregung durch das Zimmer. Klementine, die sie ängstlich beobachtete, sah Thränen in ihren großen Augen erscheinen. Plötzlich blieb die alte Dame stehen, und sah auf das neben dem Sopha knieende Mädchen herab.

„Klementine,“ sagte sie mit bewegter Stimme, „mag Dein Vater leben oder im Grabe ruhen – willst Du seine Ehre retten, so vollende den Brief an den Baron!“

Zitternd erhob sich Klementine und ging schwankend dem Schreibtische näher. Dieser Anblick durchschnitt der alten Frau die Seele.

„O diese unglückliche Verirrung!“ rief sie erschüttert. „Sie übt ihre traurige Wirkung auch noch auf die Kinder aus!“

Klementine sank auf dem Stuhle nieder, ergriff die Feder, sandte einen flehenden Blick zum Himmel empor und begann zu schreiben.

„Es muß sein!“ flüsterte die alte Dame, indem sie ihren Gang durch das Zimmer wieder antrat.

Der Brief war nach einiger Zeit vollendet, und die Schreiberin überreichte ihn der alten Dame. Diese las ihn.

„Du hast nicht allein Dein Glück begründet, Du hast auch ein gutes Werk gestiftet!“ sagte sie. „Jetzt gehe zu Bett, mein Kind!“

Die Enkelin küßte der Großmutter die Hand.

„Gute Nacht!“ flüsterte sie, und entfernte sich.

Frau von Falk schrieb noch einige Zeilen, schloß sie mit dem Briefe ihrer Enkelin in ein Couvert, siegelte und schrieb die Adresse. Sie legte sich mit der Ueberzeugung zur Ruhe, daß sie ihre Pflicht gethan habe.

Klementine saß noch in ihrem Stübchen; sie arbeitete an einer großen, prachtvollen Stickerei. Es schlug drei Uhr, als sie die Arbeit in einem Schranke verschloß. Obgleich sie den größten Theil der Nacht gewacht hatte, so fand sie die Morgendämmerung dennoch schon beschäftigt. Die Großmutter schlief wie gewöhnlich sehr lange. Klementine schickte die Magd aus, um kleine Einkäufe zu machen. Um acht Uhr ward die Klingel an der Saalthür gezogen. Klementine öffnete, und Doris, das Bäschen des Tapezierers Thaddäus, trat ein.

„Komme ich recht?“ flüsterte das freundliche Mädchen.

Klementine nickte mit dem Kopfe und führte den Besuch leise in ihr Zimmer. Hier übergab sie Doris die in der Nacht vollendete Arbeit. Die Dame des Magazins betrachtete staunend den prachtvollen Teppich.

„Vetter Thaddäus wird froh sein, daß er fertig ist,“ sagte sie. „Er hat Auftrag erhalten, das Boudoir einer Braut so rasch als möglich auszustatten, und dieser Teppich ist dazu bestimmt.“

„Einer Braut?“ fragte Klementine mit einem schmerzlichen Lächeln.

„Eines reichen und sehr schönen Mädchens.“

„Wer ist sie?“

„Ich weiß es nicht; mein Vetter geht sehr geheimnißvoll zu Werke, ich werde es aber dennoch in einigen Tagen erfahren. Ach, Fräulein, Sie sollten jetzt den Ofenschirm sehen, zu dem Sie die reizende Stickerei geliefert haben – er ist jetzt vollendet und wird ebenfalls in das Brautzimmer wandern. Es ist ein Möbel, mit dem Vetter Thaddäus große Ehre einlegt. Hier sendet er Ihnen das Geld dafür.“

Doris legte sieben Thaler auf den Tisch.

„Und nun einen neuen Auftrag!“ fügte sie rasch hinzu. „Können Sie in vierzehn Tagen die Stickerei zu einem Wandkorbe liefern?“

„Ich verspreche es.“

„Gut, hier sind die Stoffe dazu und die Zeichnung, die Fritz, mein Bräutigam, entworfen hat. In vierzehn Tagen also werde ich die Arbeit abholen. Das Geld für den Teppich werde ich Ihnen morgen oder übermorgen zustellen, verlassen Sie sich darauf.“

„Mamsell Doris,“ fragte Klementine, „es weiß doch Niemand darum, daß ich für Ihr Magazin arbeite?“

„Nein, nein; ich habe Ihnen mein Ehrenwort gegeben, und das halte ich. Es wird mir freilich mitunter schwer, den Fragen nach der geschickten und saubern Stickerin auszuweichen; aber selbst mein Bräutigam erfährt keine Sylbe. Nur unter der Bedingung, gab ich zur Antwort, daß die Stickerin unbekannt bleibt, nimmt sie Aufträge an; wollen Sie also ferner Arbeit erhalten, so fragen Sie nicht mehr. Und damit ist die Sache abgemacht.“

Doris versprach noch einmal Verschwiegenheit, dann entfernte sie sich.

„Für ihn!“ flüsterte Klementine unter Thränen, als sie das Geld verschloß. Ich bringe große Opfer – gebe der gütige Himmel, daß sie nicht vergebens sind!“


VII.

Vierzehn Tage sind verflossen. In diesem Zeitraume ist viel geschehen. Ernst von Below hat seine Entlassung erhalten, er ist ein junger Mann ohne Gehalt und ohne Vermögen. Hatte er auch die Hoffnung auf eine Verbindung mit Klementine aufgegeben, so hatte er dennoch die Forschung nach ihren heimlichen Gängen fortgesetzt, denn er wollte sich eine reine, unbefleckte Erinnerung an das Mädchen seiner ersten und einzigen Liebe bewahren. Aber alle Bemühungen waren erfolglos gewesen, und selbst von dem Fremden, der den Brief Klementine’s in dem Magazine verloren, hatte weder er noch Fritz eine Spur entdeckt. Die Möbel aus dem Zimmer des verstorbenen Barons hatte er bezahlt und auf einem Wagen fortfahren lassen, während der junge Tapezierer einen Auftrag seines Herrn in einem entfernten Stadttheile vollzogen.

Um diese Zeit war es, als der Junker eines Morgens zu seinem Neffen in das Zimmer trat.

„Du hast Deine Entlassung genommen, Vetter?“ fragte er gleichgültig.

„Ja!“

„Und was gedenkst Du nun zu thun?“

„Man sucht in der türkischen Armee Instructions-Offiziere

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_444.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2020)