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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

stehe, so habe ich fast jeden Abend seit vier Wochen den beiden zärtlichen Leuten beim Abschiede geleuchtet. Mir wurde mitunter ganz seltsam zu Muthe. Obgleich sie vierundzwanzig Stunden später wiederkam, so war der Abschied doch jedesmal so herzzerreißend, als ob er für die Ewigkeit gewesen wäre. Aber darüber mußte ich mich am Meisten wundern, daß das junge hübsche Ding, offenbar von sehr anständiger Herkunft, so leidenschaftlich an einem Manne hing, der viel älter war, als sie. Ich muß gestehen, Herr Julian war ein schöner, stattlicher Mann, er sah aus, wie ein ausgedienter Gardeoffizier, und seine großen Augen funkelten wie Kohlen – aber für das junge Mädchen paßte er nicht. Da kann man sehen, wie sich mitunter die Liebe verirrt.“

„Sie sagen,“ fragte Fritz, „der Mann hatte schwarzes, krauses Haar?“

„Schwarz wie Ebenholz und kraus wie Wolle.“

„Dann hat ein Anderer diesen Brief verloren. Jener Mann hatte einen kahlen Kopf und einige schneeweiße Haare. Er bezahlte zwar hundert Thaler auf die gekauften Möbel in unserm Magazine, aber er war eben nicht stattlich gekleidet.“

„Der Alte hat den Brief verloren?“ fragte Ernst hastig.

„Unbedingt; er muß seiner Brieftasche entfallen sein, als er das Geld hervorholte. Vor und nach ihm ist kein Anderer in unserm Magazine gewesen.“

„Und was kaufte er?“

„Sämmtliche alte Möbel des verstorbenen Barons von Below, die mein Prinzipal übernommen hat.“

Ernst glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen.

„Des Barons von Below?“

„Um jeden Preis, und dabei will der Narr, daß sie nicht einmal aufpolirt werden sollen.“

Der Offizier starrte den Tapezierer an. Ein Räthsel war kaum gelöst, und schon erschien die furchtbare Sphynx wieder, um ihm den Weg zu versperren. In welcher Beziehung steht der Mann, der den Brief verloren, zu Klementine? Warum will er den Nachlaß des Verstorbenen um jeden Preis kaufen?

„Wissen Sie weiter nichts über Herrn Julian?“ fragte er die Alte.

„Nein. Vor vier Wochen miethete er bei mir, weil ich einen Vermiethezettel an die Thür geklebt hatte, und heute reiste er wieder ab, nachdem ich ihm den Brief übergeben.“

„Mein Freund,“ wandte er sich an Fritz, „ich ersuche Sie, mich zu begleiten. Vielleicht gelingt es unsern vereinten Bemühungen, den Adressaten ausfindig zu machen. Gehen wir!“

„Halt!“ rief Frau Hammerschmidt. „Lassen Sie den Mantel zurück, Herr Fritz, und bezahlen Sie. Er soll morgen mit einem jungen Stutzer spazieren gehen.“

Der arme Fritz machte ein trauriges Gesicht.

„Was kostet der Mantel?“ fragte Ernst.

„Wollen Sie ihn kaufen, mein Herr?“

„Ja.“

„Fünfzehn Thaler – er ist – –“

„Gut – hier ist das Geld! Ich mache ihn meinem Freunde zum Geschenke.“

„Und Ihr Freund, mein Herr,“ rief der entzückte Fritz, „wird dankbar sein.“

Ein Fiacre brachte die beiden jungen Männer nach Ernst’s Wohnung. Als Fritz nach einem einstündigen Gespräche schied, hatte der Offizier die Ansicht gewonnen, daß es seine Pflicht sei, das geheimnißvolle Dunkel, das Klementine umgab, aufzuhellen. Seine Liebe ließ ihn kaum daran zweifeln, daß es ihm in allen Punkten gelingen würde, wie in dem ersten. Er bereute, sein Abschiedsgesuch eingesendet zu haben, weil es jedenfalls angenommen werden und Aufsehen erregen würde. Die Liebe ließ ihn selbst eine Zerstörung der Heirath des Junkers hoffen, und Klementine’s Verzeihung hielt er für gewiß, wenn er mit freiem Herzen um ihre Hand werben konnte. So philosophirte die Liebe, die ewig hoffende und entschuldigende. Aber auch die Eifersucht mit allen ihren Schrecken trat auf, sie erinnerte ihn an den schönen, stattlichen Mann mit den glühenden Augen, den Klementine weinend geküßt hatte.

„Giebt man sich einem heftigen Schmerze hin,“ fragte er sich, „wenn man scheidet, um sich am nächsten Tage wiederzusehen? Es ist leicht zu begreifen, daß Klementine jenen Julian, den sie nicht heirathen kann, liebt, und daß sie den Baron, den sie heirathen muß, nicht liebt. Aber wer ist Julian? Wer ist der alte Mann, der die Möbel des Verstorbenen kaufen will, und den zärtlichen Brief in dem Magazine verloren hat?“

Ernst erschöpfte sich in Muthmaßungen und Annahmen, ohne auch nur ein Resultat zu erhalten, das einige Wahrscheinlichkeit für sich hatte.


VI.

Wir verlassen den grübelnden Ernst, und betreten die Wohnung der alten Frau von Falk. Großmutter und Enkelin befinden sich in einem einfach, aber höchst geschmackvoll eingerichteten Zimmer. Eine fast peinliche Ordnung verräth das Streben, Eleganz und Wohlhabenheit zu entwickeln. Man sieht, daß eine aristokratische Hand einen blendenden Schleier über die Dürftigkeit des bürgerlichen Mittelstandes zu ziehen sucht. Die Form der alten, aber saubern Möbel deutet an, daß sie einst das Boudoir einer vornehmen Dame schmückten, daß sie die Ueberreste einer zu ihrer Zeit modernen Ausstattung sind.

Die Großmutter, in einen alten, viel gebrauchten Sammetpelz gehüllt, sitzt in dem Sopha. Sie liest in einem Buche, sieht aber von Zeit zu Zeit über ihre große silberne Brille nach Klementine hinüber, die bei einem tief herabgebrannten Lichte an dem Secretair sitzt und schreibt. Mit einem tiefen Seufzer legt sie die Feder aus der Hand.

„Bist Du fertig, mein Kind?“ fragte die alte Dame.

Klementine zog ein Tuch aus der Tasche ihres einfachen Kattunoberrocks und verhüllte das Gesicht.

„Was ist das?“ rief entrüstet die Alte. „Du weinst?“

„Großmutter,“ flüsterte das junge Mädchen unter Thränen, „verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen in diesem Punkte nicht mit der gewohnten Bereitwilligkeit gehorsam sein kann. Sie fordern zu viel, zu viel! Ich kann meine Pflicht nur mit gebrochenem Herzen erfüllen.“

Frau von Falk, eine große, wohlbeleibte Dame mit einem fast männlichen Gesichte, legte das Buch auf den Tisch, und die Brille auf das Buch.

„Es ist recht traurig,“ sagte sie nach einer Pause, „daß Dein Verstand nicht die Herrschaft über das Herz gewinnen kann. Ist mir auch Deine Sentimentalität, eine Folge unserer gedrückten Verhältnisse, erklärlich, so muß ich sie dennoch als unverträglich mit dem Charakter einer Dame vom Stande verdammen. Du machst mir den Vorwurf, ich fordere zu viel – hierauf kann ich Dir nur antworten, daß ich den Stand der Dinge besser begreife, als Du, denn ich habe die Erfahrung für mich. Ich war einmal so schwach, das Glück meines einzigen Sohnes, Deines Vaters, durch mütterliche Nachgiebigkeit zu verscherzen – ein zweites Mal werde ich dieser Schwäche nicht erliegen, denn es ist mir Pflicht, die verarmte Familie der Falk’s wieder emporzubringen. Ein armer Edelmann gilt heut zu Tage nicht so viel, als ein reicher Bürger. Was ist eine Ehe ohne Vermögen? Ein jammervoll elendes Verhältniß, das stets mit dem Untergange endet. Dies hat selbst der Staat eingesehen, und darum den Offizieren der Armee, die sich verheirathen wollen, den Ausweis eines gewissen Vermögens vorgeschrieben. Ich duldete die Annäherung Ernst’s von Below, so lange ich sie Deinem Glücke für ersprießlich achtete – seit ich das Gegentheil kenne, habe ich sie mir verbeten. Du hast ihm kein Versprechen gegeben, folglich hat Ernst keine Forderungen an uns. Der Junker ist reich, er liebt Dich und will sein großes Vermögen mit Dir theilen. Weisen wir den ehrenvollen Antrag zurück, so müssen wir im Frühjahr Berlin verlassen, um das elende Leben meiner armen Schwester in Dobberan zu theilen. Meine bescheidene Pension reicht wohl für das Dorf aus, aber nicht für die Residenz.“

„Mein Gott! Mein Gott!“ schluchzte Klementine, indem sie die Feder wieder ergriff.

„Was soll aus Dir werden?“ fuhr Frau von Falk aufgeregt fort. „Ohne Vermögen ist an eine Heirath mit Ernst nicht zu denken. Von der Liebe allein kann man eben so wenig leben, als von der Gage eines Secondelieutenants. Klementine, muß ich Dich an das Schicksal Deines Vaters erinnern?“ rief sie zornig, als sie das laute Schluchzen des jungen Mädchens hörte. „O, Du kennst nicht alle Phasen seines Lebens, Du weißt nicht, wie furchtbar er untergegangen ist! Wohlan, mein Kind,“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_442.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)