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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

einer untergegangenen Nation. Beide reichten sich brüderlich die Hände, und hielten mit fröhlichen Gesichtern gleichen Schritt. Das Gold des Banquiers hatte alle Gesinnungen unter dem Mantel des Vergnügens vereinigt.

Ernst stand in der Nähe der Eingangsthür und betrachtete sinnend die glänzenden Wogen. Da rauschte an ihm ein Paar vorüber, dessen Anblick ihn aus seinem Brüten emporriß. Es waren Klementine und der lange Junker. Sie war in Weiß gekleidet, einfach und edel, und das braune Haar schmückten dieselben Marabouts, bei deren Ankauf er ein versteckter Zeuge gewesen. Ueberraschte ihn Klementine’s Anwesenheit auf dem Balle, so setzte ihn die Miene des Onkels in Erstaunen, mit der er seine reizende Tänzerin an ihm vorüberführte. Ein höhnendes triumphirendes Lächeln umspielte seine schmalen Lippen, und die blitzenden Blicke seiner kleinen Augen schienen zu fragen: begreifst Du nun, warum Du mich zum Balle begleitet hast?

Welche Betrachtungen drängten sich dem unglücklichen, eifersüchtigen Offizier auf! Mit einem Blicke sah er Klementine in jener einsamen Straße, in dem Modemagazine, unter den Linden an der Seite des jungen Mannes, der die Großmutter allein nach Hause schicken wollte, und hier an der Hand des Junkers, der ihn gleichsam gezwungen hatte, ihn zu begleiten.

Die Polonaise war zu Ende, und die Damen saßen an ihren Plätzen. Da sah Ernst, wie der Junker die Großmutter im Gespräche langsam durch den Saal führte, und mit ihr in einem Seitenzimmer verschwand, Klementine saß allein auf einem prachtvollen Sessel, und fächelte mit dem Fächer ihr glühendes Angesicht. Sie hatte ihn gesehen, er grüßte, und wie von ihren magnetischen Blicken angezogen, trat er zu ihr, und ließ sich auf dem Sessel nieder, den die Großmutter verlassen hatte. Lächelnd reichte sie ihm ihre kleine, mit zarten Handschuhen bekleidete Hand.

„Ein seltenes Glück!“ flüsterte sie mit der ihr eigenen Anmuth und Lieblichkeit.

„Ich kann nicht glauben, daß Sie mich vermissen, Klementine!“ flüsterte Ernst mit vor Aufregung bebender Stimme.

„Schon wieder Präsumtionen!“ rief sie ein wenig verletzt. „Nur Geheimnisse lassen Annahmen zu, und ich – –“

„Sie haben keine Geheimnisse?“ fragte Ernst in einem bittern Tone.

Klementine hob mit reizender Koketterie ihr Köpfchen empor.

„Ich müßte lächerlich erscheinen, wenn ich hier dieselben Betheuerungen wiederholte, die ich schon so oft Ihnen ausgesprochen habe. Es besitzt allerdings jedes junge Mädchen kleine Geheimnisse – –“

„Und die Mittheilung eines Geheimnisses setzt eine Freundschaft voraus, die ich vielleicht nicht verdiene. Doch, gleichviel, Klementine, haben Sie Geheimnisse, so können sie nur unschuldig und ehrwürdig sein, und Niemand hat das Recht, darüber zu spötteln.“

„So sind die Männer!“ flüsterte sie mit einem Seufzer, und indem sie auf Ernst einen schmerzlichen Blick sandte. „Ueberall wittern sie Geheimnisse, der kleinste, unscheinbare Anlaß erregt ihnen Argwohn, und jeder Schritt eines armen Mädchens wird ihrer Kritik unterworfen. Wenn Sie mich mit den gewöhnlichen Männeraugen betrachten, Ernst, so müßte ich von Ihrem Herzen eine sehr schlechte Meinung fassen.“

„Klementine, Sie fordern, daß ich eine Ausnahme mache, und gerade ich?“

„Wenn ich weniger als ein unbedingtes Vertrauen von Ihnen erwartete, müßte ich Sie nie geachtet haben. Selbst der Versuch einer Rechtfertigung würde eine Anklage begründen, die ich nicht verdiene.“

„Und dennoch, Klementine, zerreißt ein furchtbarer Zweifel mein Herz!“

„Was wollen Sie sagen?“ fragte sie verletzt.

„Ich bitte um ein Wort der Aufklärung!“

„Mein Herr, Sie haben mich nie verstanden, sonst würden Sie mich nicht beleidigen!“

„Ich verstehe Sie nur zu gut, Klementine, und deshalb bewundere ich Sie!“

„Das ist viel!“ flüsterte sie mit bebenden Lippen.

Der junge Mann bereuete, daß er so weit gegangen war, und dennoch erlaubte ihm das furchtbare Gefühl der Eifersucht nicht, umzukehren. Beobachtet von den Ballgästen, mußte er verhindern, daß seine Mienen den Zustand seines Innern verriethen; er neigte sich zu ihr und fragte leise:

„Sie waren gestern Abend in einem Hause der Z…straße? zu Fuß – allein –?“

„Warum nennen Sie diese Straße?“ fragte sie, und ihre Aufregung schien plötzlich verschwunden zu sein. Ihre reine kindliche Stimme ließ nicht die geringste Bewegung ahnen, sie erröthete nicht und das himmlische Auge sah ihn ruhig an, als ob es ihm den Vorwurf ersparen wollte, den diese so eben ausgesprochene Frage verdiente.

„Sie waren nicht dort, Klementine?“ fragte er verwirrt weiter, als sie schwieg. „Ein Fiacre nahm Sie nicht auf und brachte Sie nicht nach dem Modemagazine, wo Sie die Federn kauften, die in Ihrem Haare prangen?“

„Ich bin den ganzen Abend in meinem Zimmer gewesen.“

„Wie?“

„Und Alles, was Sie sonst erzählen, ist mir völlig fremd.“

Diese Worte sprach sie so ruhig und mit so offener Stirn, daß sie das Gepräge der reinsten Wahrheit trugen. Dann setzte sie mit einer unbeschreiblichen Grazie ihren Fächer in Bewegung, und fächelte sich Luft zu. Ernst hätte sein Leben darum gegeben, wenn es ihm möglich gewesen wäre, in diesem Augenblicke in ihr Herz zu sehen. Klementine war entweder eine Heilige, die er schwer gekränkt hatte, oder sie war eine Heuchlerin, die größte Virtuosin in der Verstellungskunst.

„In diesem Falle muß jene Dame eine wunderbare Ähnlichkeit mit Ihnen haben,“ flüsterte er.

„Mein Herr,“ antwortete sie mit jener kalten Artigkeit, die bei jungen Damen zu einer reizenden Impertinenz wird, „mein Herr, ich will zu Ihrer Ehre nicht glauben, daß Sie den Frauen Abends nachschleichen, um ihre Geheimnisse zu erspähen.“

In diesem Augenblicke kam der Junker und Klementine’s Großmutter zurück. Ernst erhob sich und räumte der alten Dame seinen Platz ein. Das Orchester begann einen lieblichen Walzer, der lange Junker lud Klementine zum Tanzen ein, sie nahm die Einladung lächelnd an, und das ungleiche Paar schwebte durch den Saal. Die Großmutter unterhielt sich mit der Kommerzienräthin, die Klementine’s Platz eingenommen hatte.

Ernst warf sich auf einen Polster der nächsten Nische. Die verschiedenartigsten Gedanken durchkreuzten seinen Kopf, der wie im Fieber brannte. Seine Leidenschaft für das junge Mädchen wuchs mit den Hindernissen, die sie selbst ihm entgegenstellte. Was sollte er nach diesem Gespräche von Klementine halten? Er wußte nicht, ob er sie verdammen oder freisprechen sollte. Sie lebte in seinen Gedanken und in seinem Herzen, er fand sie reizender in dem ungewissen Lichte des sie umgebenden Argwohns, als in dem Heiligenscheine der Tugend, die sie zu seinem Ideale gemacht hatte. Da weckte ihn plötzlich der Junker aus seinem tiefen Nachsinnen.

„Vetter, Du bist wahrlich zu einem Balle nicht disponirt!“ rief er lachend. „Anstatt Dir eine schöne Tänzerin zu wählen, liegst Du träumend in einer einsamen Ecke des glänzenden Saals. Komm mit mir in das Büffet, der Champagner des Banquiers ist vortrefflich! Eine Flasche wird hinreichen, um Dich für die Nachricht empfänglich zu machen, die ich Dir mitzutheilen habe.“

„Was ist es?“ fragte Ernst. „Wen betrifft es – Sie oder mich?“

„Mich, Vetter, mich!“

„Jedenfalls ist es etwas Angenehmes?“

„Und für meine Freunde etwas Ueberraschendes, Ungeheures.“

„Kommen Sie zur Sache.“

„Dieser Abend hat über meine Zukunft entschieden.“

„Wie?“

„Ich verheirathe mich.“

„So nehmen Sie meinem Glückwunsch.“

„Danke!“

„Und wer ist die Glückliche?“

„Du kennst sie, Vetter! Errathe!“

„Frau von Falk?“

Der Junker brach in ein lautes Lachen aus, dann rief er spöttisch: „Dein Scharfsinn ist enorm, Vetter! Du verdientest eine Anstellung bei der geheimen Polizei!“

Verlegen schwieg Ernst, denn er erinnerte sich des kalten Vorwurfs, den ihm Klementine gemacht hatte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_431.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2019)