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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Die Fabeldichter und Sittenlehrer haben, ihrer Gewohnheit treu, sehr viel dazu beigetragen, eine unrichtige Meinung von dem Charakter des Bären zu verbreiten. So wird z. B. fast in jedem Kinderbilderbuche dem Bären nachgesagt, er habe einmal einem Freunde, der seines Handwerks ein Gärtner war, unter dem Vorwand, ihm eine lästige Fliege zu verscheuchen, einen Pflasterstein an den Kopf geworfen. Toussenel zieht diese Geschichte sehr in Zweifel und glaubt, der Bär sei einer solchen Ungeschicklichkeit nicht blos unfähig, sondern müsse vielmehr im Gegentheile als eins der gewandtesten und geschicktesten Thiere in der ganzen Schöpfung betrachtet werden. Unbeholfenheit und Grausamkeit sind zwei gegen den Bären vorgebrachte Beschuldigungen, von welchen die eine eben so ungegründet ist, als die andere. – Der Bär ist auch zum Sinnbild der Menschenfeindlichkeit, Schweigsamkeit, Mürrischkeit und Ungeselligkeit ausersehen worden, aber er ist nichts von allem diesen. Der Bär ist das Emblem der Wildheit oder des wilden Lebens, eben so wie der Elephant das Emblem des Edenismus oder der Periode in dem Leben unseres Planeten ist, welche der ersten Phase des Menschenlebens entspricht. Seine herrschende Leidenschaft ist die Liebe zur Unabhängigkeit und zu den Wäldern. In diesem einen Satze liegt die ganze Geschichte des Thieres.

Es ist eine bekannte Sache, daß der Wilde der abgesagteste Feind aller unangenehmen Mühe und Arbeit ist, weswegen ihn Toussenel keineswegs tadelt. Ein Wilder würde auf alle Genüsse der Civilisation verzichten, wenn er sie erst, wenn auch nur durch eine Stunde Arbeit hinter dem Webstuhle oder Pfluge verdienen sollte. Ganz dasselbe ist der Fall mit dem Bären. Die Reize eines Maskenballs sind nie im Stande gewesen, den Wilden zu verlocken und der einzige Begriff, den er vom Glück hat, ist eine vollständige und ununterbrochene Ausübung der sieben natürlichen Rechte des Jagens, Fischens, Früchtesammelns u. s. w. Dasselbe gilt vom Bären, der sich das höchste Glück nicht anders denken kann, als in der Ausübung der beiden natürlichen Rechte, sich seinen Unterhalt selbst zu verschaffen und frei zu sein von Sorgen. Nicht als ob der Bär gegen die Freuden des edlen Waidwerks und des Fischfangs unempfindlich wäre. Der weiße Bär z. B. würde sich sehr unglücklich fühlen, wenn er dieses letztern Vorrechts beraubt werden sollte. Ich will damit blos sagen, meint Toussenel, daß Pflanzenkost dem Temperament des Bären mehr zusagt, als jede andere, denn nichts geht ihm über Erdbeeren und Faullenzen. Der Bär weiß recht wohl, daß die Beschaffenheit seines Körpers ihn geeigneter macht, einen Baum zu erklettern, als ein Reh zu jagen und er verfolgt demgemäß eine Lebensweise, wie sie mit den Eigenschaften seines Wesens übereinstimmt. Da er seinen Appetit nach Früchten mit leichter Mühe befriedigen kann, so benutzt er diesen günstigen Umstand, um sich während des Herbstes tüchtig zu mästen und einen reichlichen Vorrath jenes Fettes anzuhäufen, aus welchem die unseren kahlköpfigen und bartlosen Stutzern wohl-bekannte sogenannte Löwenpomade bereitet wird. Ein sehr eigenthümlicher Einfall, den Leuten weiß zu machen, daß der König der Thiere seine dicke, prachtvolle Mähne dem täglichen Gebrauche des vorgenannten Haarwuchsmittels verdanke.

Es ist eine bekannte Sache, daß Meister Braun, nachdem er sich einen hinlänglichen Vorrath von Fett angefressen Hit, sich in eine Höhle zurückzieht, wo er die zwei schlimmsten Monate des Jahres verschläft. Fabeldichter und Naturforscher mögen daher reden, so viel sie wollen, ich werde nimmermehr glauben, daß ein Thier von solchem Charakter der Feind des Menschen sei. Ein Thier, welches während der Jahreszeit des Mangels und des Verbrechens schläft, und Honig und wilde Beeren vor einer Schöpskeule den Vorzug giebt, kann niemals als ein blutdürstiger Menschenfresser betrachtet werden. Der Bär ist ein wildes Thier, das giebt Toussenel zu, aber ganz gewiß einer der harmlosesten Fleischfresser, die es giebt – das heißt, der civilisirte Bär, der französische oder russische Bär, der Bär der Pyrenäen oder der Alpen, denn der graue Bär der nordamerikanischen Prairien und der weiße Bär der Polargegenden zerreißen, wenn der Hunger sie treibt, Alles, was ihnen in den Weg kommt. In Uebereinstimmung mit seiner Eigenschaft als Emblem der Wildheit ist der Bär von allen großen Fleischfressern derjenige, dem der Verlust seiner Freiheit am Meisten zu Herzen gehen muß. Und dies ist auch der Fall, denn von allen Gefangenen ist der Bär am Schwierigsten an seine Gefangenschaft zu gewöhnen. Er wird allerdings gezähmt, jedoch ohne daß er seiner Persönlichkeit oder seinen Rechten entsagte. Man sieht ihn zuweilen auf den Straßen das Handwerk eines Possenreißers treiben, um sich sein Brot zu verdienen, aber sein Herr weiß nicht, welchen Schmerz und Kummer das Bewußtsein dieser Entwürdigung ihm kostet, und welchen Grad von Philosophie er aufwenden muß, um schweigend an dem Zügel seiner Sklaverei zu nagen. Es ist schon mehr als einmal der Fall dagewesen, daß ein Bär, nachdem er seine Kette zerrissen, die Ausübung der wiedererlangten Freiheit mit der Ermordung seines Führers und dessen ganzer Familie begonnen hat. In der Geschichte der Volksrache kommen Thatsachen vor, welche mit diesen Bärenrevolutionen große Aehnlichkeit haben.

Wenn der gefangene Bär nicht mit Fressen oder Saufen beschäftigt ist, so denkt er über einen Fluchtplan nach. Die ganze Kraft seiner Phantasie ist auf diesen einzigen Gegenstand gerichtet, und seine fortwährende Aufregung verräth die Qualen, welche sein ganzes Sein verzehren. Dieser Kopf, dessen eintönige regelmäßige Bewegung, vor und rückwärts, das Auge des Zuschauers ermüdet, ist das Pendel einer fixen Idee, von welcher er sich in seinem Durste nach Freiheit nicht losreißen kann. Wenn der pyrenäische und der russische Bär den Wunden seines Grames nicht stets erliegt, wenn ihn nicht plötzlich vor Scham der Schlag rührt, während er auf offenem Markte neugierigen Gaffern zum Schauspiel dienen muß, so liegt der Grund darin, daß die Liebe zur Freiheit in seinem Herzen unzerstörbar ist, und daß die Hoffnung ihn niemals verläßt. Der Eisbär aber stirbt, sobald er die frische Luft seiner Heimath nicht mehr athmen kann, schon nach wenigen Monaten am Heimweh und lauem Wasser.

Besiegt, verfolgt, ohne Obdach und ohne einen bestimmten Erwerbszweig, hat sich der Bär, wie Mithridates, von Anfang an genöthigt gesehen, sich daran zu gewöhnen, mit jedem möglichen Futter vorlieb zu nehmen, und sogar alle Arten von Giften verdauen zu lernen. Daher ist der Arsenik, welcher für den Menschen ein ungemein heftiges Gift ist, den, Bären ganz unschädlich. Eine Dosis von einem Viertelpfund äußert gar keine sichtbare Wirkung auf ihn und ein Pfund vertritt blos die Stellung einer leichten Purganz.

Wenn der Bär durch den Hunger genöthigt wird, Menschen und Thieren den Krieg zu erklären, so legt er sich gewöhnlich in die tiefern Zweige eines dichtbelaubten Baumes oder hinter einem Felsenvorsprung in die Nähe einer Schlucht in den Hinterhalt, aus welchem er auf sein Opfer hervorstürzt, es beim Nacken packt und erwürgt. Die Muskelstärke des Bären ist ungeheuer und übertrifft die unserer stärksten Boxer. Man hat gesehen, wie ein Bär ein Pferd oder einen Stier mit einem einzigen Schlage seiner mächtigen Tatze tödtete. Wenn der Bär in seinen Zweikämpfen mit den Menschen selten die Oberhand hat, wie aus der großen Anzahl Bärmützen hervorzugehen scheint, welche unsere Grenadiere tragen, so beweist dies blos die Ueberlegenheit der Waffen des Menschen und die vollständige Unbekanntschaft des Thieres mit der edeln Fechtkunst. Da der Bär sich gewöhnlich auf seine Hinterfüße erhebt, wenn er den Jäger angreifen will, so stellt er natürlich seine Flanke dem Feinde blos, der dann nur einige Kaltblütigkeit und Gewandtheit zu besitzen braucht, um ihm mit einem Dolche oder einer Kugel das Herz zu durchbohren. Der Dolch ist die beste Methode, weil dadurch das Fell am Wenigsten beschädigt wird. In Eaux Bonnes in den Pyrenäen gab es einmal einen Bärenjäger, der nach und nach auf diese Weise sechzig Bären niederstach. Allerdings verfehlte er den einundsechzigsten, aber dieser nicht ihn.

Der Bär ist so wenig der Feind des Menschen, daß er niemals die Hand gegen ihn emporhebt, ausgenommen in den Ausnahmefällen des Hungers und der Selbstvertheidigung. Bärinnen treiben allerdings die Reisenden oft mit Gewalt aus der Nähe ihrer Jungen hinweg, aber wer würde es einer solchen Mutter zum Verbrechen anrechnen wollen, wenn sie die Gefahren, die ihren Kleinen drohen, übertreibt und für ihr Fell zittert, besonders im Hinblick auf den großen Verbrauch dieses Artikels, der schon durch das einzige Institut der Grenadiere verursacht wird? Dem Bann liegt eben so wie jedem andern Menschen von gutem Geschmack viel daran, daß diese lächerliche und nur zu lange schon in Ehren gehaltene Tracht endlich einmal abgeschafft werde.

Die außerordentliche Liebe der Bärin zu ihren Jungen ist ein Thema, über welches schon ungemein viel geschrieben worden ist. Wenn es eine steile Schlucht, einen ungestümen Strom oder

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_426.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)