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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Das Gesicht des jungen Mädchens überflammte eine hohe Röthe.

„Ich werde den Vetter rufen!“ sagte sie kalt und verließ das Comptoir. Nach fünf Minuten trat Herr Thaddäus ein, ein kleiner, dicker Mann von einigen fünfzig Jahren. Ehrerbietig nahm er sein schwarzes Sammetkäppchen ab, so daß seine große, glänzende Glatze sichtbar war.

„Gnädiger Herr, Sie haben sich ohne Zweifel wegen der neuen Möbelstoffe zu mir bemüht – schon vor einigen Stunden habe ich meinen ersten Arbeiter Fritz zu Ihnen gesendet, um Ihnen Proben der neuesten Muster vorzulegen.“

„Ich habe weder Monsieur Fritz, noch die Proben gesehen.“

„Und Sie kommen direkt aus Ihrer Wohnung?“ fragte erstaunt der alte Tapezierer.

„Direkt!“

„Das ist entsetzlich! Diesen leichtsinnigen Burschen werde ich aus meinem Hause jagen! Er läßt sich Nachlässigkeiten über Nachlässigkeiten zu Schulden kommen, und oft, wenn ich glaube, er zeichnet Muster, treffe ich ihn beim Romanlesen. Verzeihung, gnädiger Herr –“

„Hat nichts zu sagen, lieber Freund!“ unterbrach den kleinen aufgeregten Mann lächelnd der lange Junker. „Ich wäre dennoch zu Ihnen gekommen, da ich ein Geschäft zu besprechen habe.“

Der Tapezierer holte einen Stuhl herbei, auf dem sich der Edelmann niederließ.

„Ich stehe zu Diensten, gnädiger Herr!“

„Soviel ich weiß, haben Sie schon die Aufträge meines verstorbenen Bruders besorgt?“

„Ja, gnädiger Herr. Als er vor zwanzig Jahren von seinen Gütern in die Residenz zog, habe ich ihm sein Hotel vollständig eingerichtet. Möbel, Vorhänge, Teppiche, Wagen – alles ist meine Arbeit. Die Tapeten – nun, sie sind freilich ein wenig aus der Mode gekommen – –“

„Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Ich habe nämlich die Absicht, die ganze erste Etage neu tapezieren zu lassen, die alten Möbel zu verkaufen und neue anzuschaffen. Sie übernehmen die alten Sachen, rechnen Sie mir zu guten Preisen an und liefern mir geschmackvolle, neue.“

„Ich werde Sie gut und reell bedienen, gnädiger Herr. Wann kann die Arbeit beginnen?“

„Heute, morgen – wenn mir in drei Wochen alles vollendet ist.“

„Verlassen Sie sich darauf.“

„Sie kennen das kleine blaue Zimmer neben dem Saale?“

„Ja.“

„Ich empfehle es vorzüglich Ihrer Kunst und Ihrem Geschmacke. Verwandeln Sie es in ein reizendes Damen-Boudoir, in einen wahren Feentempel. Seidene Tapeten, seidene Vorhänge, Gobelins, englische Möbel mit einem Worte, denken Sie, daß es eine Fürstin bewohnen wird.“

„Eine Fürstin!“ rief lächelnd der alte Thaddäus. „So darf ich mir erlauben, meinen Glückwunsch abzustatten?“

„Still!“ rief mit einem feinen Lächeln der Junker. „Die Sache bleibt vor der Hand noch Geheimniß. Sowohl meine politischen als meine andern Freunde dringen in mich, daß ich mir eine Frau aus einer alten, guten Familie nehme. Ich habe mich gestellt, als ob ich keine Neigung zum Heirathen hätte; aber schon seit vier Wochen ist meine Wahl getroffen.“

„Ist’s möglich!“ .

„Ja, mein Freund, ein junges, reizendes Mädchen, die erste, pikanteste Schönheit Berlins erhält meine Hand. Es ist alles abgemacht, und sobald Ihre Kunst mein Hotel zu ihrem Empfange würdig eingerichtet hat, führe ich sie zum Erstaunen der Welt heim. Ich bin ein Freund von Ueberraschungen – also Verschwiegenheit, Eile, Geschmack und Kunst. Von bestimmten Grenzen der Preise kann natürlich nicht die Rede sein.“

„Gnädiger Herr, ich wollte eigentlich meinen Werkführer Fritz noch heute aus dem Hause jagen, um ihn für seine Nachlässigkeiten zu bestrafen; diesen Act der Gerechtigkeit werde ich nun aufschieben, bis ich Ihre Aufträge vollzogen habe, denn der Bursche ist mein bester Arbeiter. Heute Nachmittag werde ich die Locale besichtigen, und morgen soll die Arbeit beginnen. Die alten Möbel lasse ich in mein Magazin schaffen und werde sie, Behufs Anrechnung, gewissenhaft abschätzen.“

Thaddäus legte dem Junker nun Zeichnungen von Möbeln und Zimmerausschmückungen vor. Während dieser Zeit fand in dem angrenzenden Magazine folgende Scene statt. Doris hatte sich dorthin zurückgezogen, um den Zudringlichkeiten des verliebten Junkers zu entgehen. Man kann sich darüber nicht wundern, denn Doris war wirklich ein liebliches, anmuthiges Kind. Sie trug ihren Fuß in einem so niedlichen Schuhe, daß man kaum einen leichten, schwarzen Streifen zwischen dem Fußboden und ihrem weißen Strumpfe bemerkte. Ein solcher Schuh ist eine eigenthümliche Grazie der berliner Mädchen, die den ganzen Tag in einem Magazine verbringen. Dieselbe nachlässige Sorgfalt, mit der die zierlichen Füßchen gepflegt werden, nimmt man auch bei dem leichten grünen Thibetkleide wahr, das sich eng den Körperformen anschließt, um sie zierlich abzuzeichnen. Das Kleid bedeckt alles mit großer Züchtigkeit, aber es läßt die Schönheit und jugendliche Fülle des Oberkörpers ahnen. Das kleine schwarze Sammethalsband mit Bronceschloß hebt die weiße Farbe der Haut hervor, ebenso die schmalen schwarzen Bänder an den Handgelenken, die in kleinen Schleifen zusammengebunden sind. Die schwarze Taffetschürze ist nur dazu vorhanden, um die Feinheit der Taille mehr hervorzuheben, und mit ihren kleinen Taschen die Hälfte der kleinen Hände aufzunehmen. Doris kannte zwar die Vortheile dieser kleinen Toilettenkünste nicht, aber sie übte sie, weil sie es so gesehen hatte. In diesem Unbewußtsein lag ein Reiz mehr für den Beobachter. Sie hatte ein feines Gesicht, rosige Wangen, weißen Teint, dunkelblaue blitzende Augen, eine sanftgewölbte Stirn und sorgfältig gescheitelte braune Haare.

(Fortsetzung folgt.)




Baldomero Espartero.

Es giebt unter den Staatsmännern unserer Zeit kaum einen, der an Größe und Edelsinn Espartero an die Seite zu stellen wäre. Was auch dem frühern „Regenten“ Menschliches passirt sein mag, es giebt keinen trefflicheren Beweis für seine Verdienste und seinen Werth, als daß Spanien, nachdem es ihn eilf Jahre lang in Verbannung vergessen zu haben schien, ihn jetzt gleichsam einstimmig als seinen Retter begrüßt von einer gewissen- und tugendlosen Camarilla- und Unterrocks-Regierungskunst, die ihres Gleichen nur selten auf einem civilisirten, „christlichen“ Throne gehabt haben mag.

Dieser Mann des Volks, grade in einem Moment, wo es sich in sittlicher Entrüstung für sein Recht und seine Moralität erhebt, verdient nähere Beachtung. Wir geben deshalb mit seinem wohlgetroffenen Porträt zunächst eine Skizze seines Lebens.

Espartero wurde 1792 in Granatula, einem Dörfchen der Provinz la Mancha, dem Geburtsorte Don Ouixote’s, geboren. Er war das neunte und jüngste Kind des Zimmermanns, Pantoffel- und Karrenmachers, auch Boten und Factotums von Granatula: Antonio Espartero. Baldomero, „das neunte,“ war zu schwach zu der harten Arbeit, womit der Vater sein Brot und das Olivenöl dazu verdiente, und sollte deshalb Priester werden. Ein Bruder von ihm, Caplan in einem benachbarten Dorfe, übernahm seine Vorbildung. Die Nachricht, daß Napoleon in Spanien eingefallen sei, trieb auch ihn patriotisch empor und weg von seinen geistlichen Büchern. Er schloß sich einem Freiwilligen-Corps, das sich ausschließlich aus Geistlichen bildete und das „heilige Bataillon“ genannt ward, an, und hier zeichnete sich der sechzehnjährige Vaterlandsvertheidiger bald so aus, daß er erst in ein ordentliches Regiment und dann in die Militärschule von Leon befördert ward. Zwei Jahre später finden wir ihn als Seconde-Lieutenant des Ingenieur-Corps von Cadix und 1814 eines Linienregiments in Valladolid. Nach dem Falle Napoleon’s brachen Streitigkeiten des Mutterlandes mit den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_420.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)