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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Freund Washington’s und Lafayette’s geworden, im Jahre 1786 nach seinem Vaterlande zurück. Als er im Jahr 1797 zum zweiten Male nach Amerika kam, bereitete ihm das Volk einen Empfang, wie noch keinem Europäer bereitet worden; es galt in ihm den Befreier Amerika’s mit zu ehren, und dem gefallenen Polenland zugleich die letzte Ehre zu erweisen, denn in der Zwischenzeit hatte Kosciuszko zweimal für sein geliebtes Polen zum Schwert gegriffen, und das verhängnißvolle Wort „Finis Poloniae!“ war in der Schlacht bei Macinjowice über seine Lippen gekommen. Er hat von da an nie wieder ein Schwert getragen, weil er es für das Vaterland nicht konnte.

Kosciuszko starb 1817 in Solothurn auf freier schweizer Erde; das folgende Jahr ließ aber der russische Kaiser Alexander die Leiche von Solothurn abholen und im Dome zu Krakau in die polnische Königsgruft beisetzen. Gewiß mußte der Mann ein makelloser Held sein, dem[WS 1] einerseits der Selbstherrscher aller Reußen solche Ehre erwies, und dem andererseits die nordamerikanischen Republikaner an den Ufern des Hudson eine Denksäule errichteten.

Das einfache Monument, wie unser Bild es zeigt, steht auf einem an dem majestätischen Strome vorspringenden Felshügel; durch Gebüsch und Wiesen hin, und an einigen Trauereschen und Weiden vorüber, windet sich der schmale Pfad nach dem Denkmale zu, auf dem man die Worte liest: „Kosciuszko, dem Helden zweier Welten.

Sein Name macht immer noch jedes polnische Herz beben, und oft sieht man hier am Hudson in stillem Gebet Polen, die, wie so viele ihrer Nation, ein unerbittliches Geschick aus der theuern Heimath trieb.




Jacob Moleschott.
Motto: 
„Ist die Welt erst tugendhaft, dann wird sie von selbst frei.“
Georg Forster. 
„Forster’s Ansicht ist seine Unsterblichkeit. Er trägt die Fackel, die
dem Jahrhundert leuchtet.“
Jacob Moleschott über Georg Forster. 




Vor drei Wochen ging durch alle Journale Deutschlands die eben so befremdliche als schmerzliche Nachricht: der bekannte Naturforscher Moleschott, Privatdocent an der Universität zu Heidelberg, habe diese seine Stelle niedergelegt, weil das Ministerium durch den engeren Senat der Universität ihm eine, die Sittlichkeit bedrohende Frivolität in seinen Schriften und Lehren vorgeworfen habe, ohne jedoch diese außerordentliche Beschuldigung irgendwie zu motiviren. Man bezweifelte anfangs diese Nachricht, man wollte nicht glauben, daß es dem Ministerium möglich geworden sei, aus den in allen Staaten Deutschlands zugelassenen, schon längst bekannten und vielfach besprochenen Schriften des berühmten Forschers noch nachträglich Frivolität und Unsittlichkeit aufgefunden, daß es ihm möglich geworden sei, dergleichen verderbliche Elemente auf einmal in den Verträgen des Mannes gefunden zu haben, der bereits sieben Jahre in Heidelberg lebte und lehrte, bis dahin ohne die geringste Anfechtung geblieben war, und sich allgemeine Liebe und Achtung als Bürger und Lehrer gewonnen hatte. Man wollte nicht glauben, daß das Ministerium so vernichtende Anschuldigungen machen würde, ohne wenigstens sich zu bemühen, die Beweise dafür darzulegen. Man wollte nicht glauben, daß ein Kreis von Männern der Wissenschaft, unter denen ein Mittermayer glänzte, sich zur Uebersendung jener Anschuldigungen hergeben und so das Recht der freien Wissenschaft gefährden lassen würde. Und dennoch bewährte sich jene Nachricht, befremdend und schmerzlich für alle Vertreter der freien Wissenschaft, für alle Anhänger der neuen Naturlehre, für alle Kenner der Werke, für alle Zuhörer der Lehren, kurz für alle Verehrer und Freunde Moleschott’s. Wir geben hier die Thatsachen dieses weitausgreifenden Ereignisses im Gebiete der Lehrfreiheit.

Am 25. Juli wurde Moleschott, in seinem Laboratorium von Schülern umgeben, mündlich vom Pedell aufgefordert, am nächsten Tage im Senatszimmer zu erscheinen. Dort wurde ihm von Prorektor Arnold eine Anrede zu Theil, in welcher derselbe bedauerte, daß er ihm im Namen des engeren Senats, der dazu vom Ministerium Befehl erhalten, eine Warnung zuertheilen müsse, bei welcher der Senat indeß, der zu weit strengeren Maßregeln berechtigt gewesen wäre, die schonendsten Formen zu suchen sich bemüht hätte. Es wurde dem Vorgeforderten sodann vom Actuar ein Actenstück vorgelesen, von dem er keine Abschrift erhielt, dessen Inhalt aber darauf hinauslief, daß Moleschott’s Wirksamkeit als Universitätslehrer leicht aufgehoben werden könnte, wofern er sich nicht entschließe, in Zukunft in seinen Schriften und mündlichen Lehren die frivolen Einmischungen wegzulassen, die der Sittlichkeit Gefahr drohen.

In Folge dessen schrieb Moleschott unverzüglich und direkt an das Ministerium:

„Die Mittheilung, die mir der Herr Prorektor der hiesigen Universität über die beim Ministerium herrschende Beurtheilung meiner Thätigkeit gemacht hat, veranlaßt mich zu der Erklärung, daß ich gegen die Bezeichnungen meiner Richtung als „frivol“ und „unsittlich“, kommen sie von welcher Stelle sie wollen, ernstlich Verwahrung einlege. Weil ich aber zugleich es für die sittlichste Pflicht des Lehrers halte, daß er seinen Schülern rückhaltslos die Wahrheit mittheile, so fordert von mir die Unabhängigkeit meines Charakters, die ich einer jeden äußern Rücksicht zu bewahren weiß, daß ich einem Lehramt, das man an der Universität zu Heidelberg nicht mehr frei ausüben darf, selbstständig entsage.“

Dem engeren Senat sendete Moleschott eine Abschrift dieses Briefes zu, und zwar mit folgenden Zeilen begleitet:

„Ich erlaube mir Ihnen anliegend die Abschrift eines an das Ministerium des Innern gerichteten Schreibens mitzutheilen, mit welchem ich Abschied nehme von meiner Wirksamkeit an der Anstalt, die ihre Lehrfreiheit hat vernichten lassen. Ich ersuche Sie, der medizinischen Fakultät jene Abschrift und dieses Begleitschreiben zur Kenntnißnahme zu übersenden.“

Das der Sachbestand des Ereignisses. Noch besonders und persönlich schmerzlich für Moleschott und seine Schüler, und wie tiefer Schmerz und erhebende Begeisterung sich nun paarten, möge in folgenden Thatsachen sich ausdrücken:

Als Moleschott wieder in das Auditorium trat, um seine Vorlesung über Anthropologie zu beschließen, schmückte ein Lorbeerkranz sein Katheder. Er sprach nun noch über den Einfluß des Klima’s auf das Menschengeschlecht, in Beziehung auf die Entwickelung der Völker in geschichtlicher Zeit; er wies noch nach, daß immer und überall stoffliche Bedingungen die geistige Entwickelung der Menschheit bedingen und schloß dann mit etwa folgenden Worten:

„Hieraus ergiebt sich die ernste Verpflichtung, daß wir unablässig dafür sorgen, und unser Studium darauf richten, jene stofflichen Bedingungen ergründen und beherrschen zu lernen. Dadurch, meine Herren, werden wir nicht blos für die physische, für die geistige Entwickelung des Menschengeschlechts sorgen, sondern auch für die Sicherstellung der Sittlichkeit in allen Staatsformen.

„Mögen diese wenigen Worte, die mir aus dem tiefsten Innern kommen, beweisen, daß ich mit Stolz diesen Kranz ergreife. Im Uebrigen erlassen Sie mir jedes Wort des Abschieds, denn ich nehme nicht Abschied von Ihnen, ich werde, wenn gleich örtlich von meiner Wirksamkeit, von einer Hochschule getrennt, nicht aufhören, mit Ihnen und für Sie zu arbeiten.“

Es war ein schöner, tiefer Moment, still und bewegt. – Zwei Tage später hielt Moleschott seine letzte Vorlesung über Physiologie. Nach der Verlesung versammelten sich alle Schüler in seinem Sprechzimmer, und hier nahm Einer, im Namen Aller, in feierlicher, begeisterter Rede Abschied, zwar nicht von dem Manne, dem Lehrer und Freund, aber Abschied von dem Universitätslehrer.

Die eigentliche Verklärung des schmerzlichen Momentes wurde ihm aber erst so recht am folgenden Tage, am 6. August. Morgens zehn Uhr wurde Moleschott im Namen seiner Schüler abgeholt

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: den
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_410.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)