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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

stürmischer und zärtlicher zugleich. Nur eine Stunde! Dann will ich sterben.“

„Nein, leben sollst Du und glücklich sein und mich beglücken, göttlicher Seeräuber! – Der Vormund geht diesen Abend in die Resource. Du kannst den geliebten Mann sehr leicht in’s Haus bringen. Aber eine Bedingung muß ich ihm stellen.“

„Welche?“

„Er muß sich mir in seiner wahren Gestalt zeigen. Wie Semele ihren geliebten Zeus muß ich ihn in seiner vollen Majestät sehen, und sollte ich das Leben darüber lassen, wie sie. Er muß kommen im vollen Waffenschmuck. Und ich – o herrlicher Einfall! Und ich – ja das will ich! Das hat mir ein Gott eingegeben!“

„Was denn, Fräulein?“

„Ich will seiner würdig entgegentreten als – Seeräuberin.“

„Herr Jesus Christus! Sind Sie denn bei Verstand, Fräulein?“

„Gieb mir den Mantel um! Ich will ausgehen und mir Pistolen, Dolch und Säbel kaufen. Eine rothe Schärpe hab’ ich noch von der Maskerade.“

Sie eilte fort und die Dienstbare rieb sich vergnügt die Hände.

Abends empfing Klärchen den Mann ihres Herzens im vollständigen Habit der Barbaresken, und er trat zu ihr ein im idealen Kostüm den berühmten Chaireddin Barbarossa, des berühmtesten Seeräubers, der je die Gewässer zwischen Afrika und Europa unsicher gemacht.

Es ist unnöthig zu berichten, was die beiden jungen, in einander verliebten Leute zusammen sprachen; es genügt zu versichern, daß es durchaus nichts Ungewöhnliches und von der Unterhaltung in solchen Fällen Verschiedenes, mit einem Worte, nichts Korsarisches war. Sie tauschten die köstlichsten Liebesschwüre, bewunderten die außerordentlichen Wege und Veranstaltungen der Vorsehung, die gerade sie, die sie ja offenbar beide allein und ganz ausschließlich für einander geschaffen seien, zusammengeführt habe und verabredeten zu Klärchen’s unaussprechlichem Entzücken eine Flucht mit einander. Tag und Stunde dieser Flucht wurden festgesetzt; in Bremen wollten sie sich einschiffen, aber erst ihren Herzensbund kirchlich einsegnen lassen. Der junge Held berichtete: in Bremen sei ein Korsarenhaus, das stehe ihm ganz zur Verfügung. Dort wollten sie ihre heimliche Hochzeit halten.

Und dann hinaus auf das ewige Meer zu Deinen Flibustiern!“ ruf Klärchen in Extase, und er verschloß ihr den Mund mit einem Räuberkusse. Der Abend war ungemein romantisch, und Klärchen vollkommen davon befriedigt.

Die Vorbereitungen zur Flucht wurden getroffen und durch nichts gestört. Der Abend kam und die Nacht. Klärchen war voll Angst und Bangen, daß ihr kühnes Vorhaben entdeckt werden möchte. Aber kein Hinderniß trat ihr entgegen. Sie verließ das Haus ihres Vormunds und stieg in den ihrer harrenden Wagen des schönen Seeräubers, und der Glückliche entführte sie nach Bremen. Sie kamen da Abends an und nahmen ihre Wohnung in dem geheimen Korsarenhause. Nach einigen Stunden erschien ein Pastor im Amtsornat und copulirte sie in aller Form. Dann speisten sie ungemein fröhlich zusammen und Klärchen erging sich in bunten phantastischen Plänen für die nächste Zukunft. Dem schönen Abend folgte eine noch schönere Nacht. Die Korsaren hatten trefflich für ihren Capitain gesorgt.

Als die junge Frau am folgenden Morgen aus dem bräutlichen Gemach in reizender Morgentoilette trat, war sie nicht wenig erstaunt, ihren Herrn Vormund und ihre Zofe Hannchen vor sich zu sehen, die ihr beide lächelnd schönstens gratulirten. Auch der furchtbare Seeräuber trat hinzu fein bürgerlich bremisch angethan, drückte sie an sein Herz und sagte zu der ganz verdutzt drein Blickenden: „Merkst Du denn nicht, liebes Weibchen, daß unser Raubschiff bereits in den Hafen der Ruhe eingelaufen ist und zwar mit Genehmigung und schriftlichem Consens Deines lieben Vormunds, meines Herrn Vettern?“

„Was?“ rief Klara, aus ihrem romantischen Himmel fallend, „Du bist –“

„Fritz Kaupert, der Besitzer dieser guten Tabacksfabrik, in welche Du gestern als Herrin eingezogen bist. Du hast Dich nun überzeugt, holdes Klärchen, daß Tabacksfabrikanten auch erträgliche Leute sind, und daß man in Tabacksfabriken nicht an bösen Gerüchen stirbt. Du wirst eine glückliche Frau sein und mich zu einem glücklichen Manne machen, wenn Du das Glück in Deiner und in meiner Seele und nicht in romantischen Aeußerlichkeiten suchst. Du hast gesehen, wie leicht man auf dem letztern Wege getäuscht werden kann.“

Beschämt verbarg die schöne junge Frau ihr hocherröthendes Köpfchen an der Brust ihres geliebten Mannes, und der vergnügte Vormund segnete das glückliche Paar.




Ein böses Wort findet schnell einen bösen Ort.
Ein einfache Geschichte.

Wer kennt nicht die rührende Geschichte von dem jungen Bergmanne in Falun in Schweden, der eines Tages verschüttet wurde und den man dann nach langen Jahren unverändert und wie schlafend wiedergefunden? Unter der neugierig herbeigeströmten Menge wußte fast Niemand mehr von dem Vorgange; die Braut allein hatte den Bräutigam erkannt, um an der Schwelle des Grabes mit ihm, dem wie lebend und in Jugendblüthe Erscheinenden wieder vereinigt zu werden. Wird ja das treue Herz nie alt, wenn es einst recht jung und treu gewesen!

Ich will Euch eine ähnliche Geschichte erzählen, die ich selbst erlebt habe und deren Ausgang weniger wehmüthig ist. Sie mag zugleich lehren, wie des Menschen Herz eine gar köstliche Blüthe ist, die wohl behütet sein will, auf daß nicht die Frucht vor der Zeit abfalle, und was Freude und Glück verheißen, nicht sich in Reue und vergebliche Klage wandle.

Ich denke heute noch mit jenem innigen, halb freudigen, halb wehmüthigen Gefühle, wie es Jugenderinnerungen bis in’s späteste Alter zu begleiten pflegt, eines freundlich unter Bäumen gelegenen Dorfes in der Nähe meines Heimathsortes. Als Kinder durften wir da wohl zur Zeit der Blüthe oder wenn die rothen Kirschen, später Birnen und Aepfel, mit glänzenden Wangen von den Bäumen lächelten, hinaus, oder an schönen Abenden im Geleite der Aeltern uns an würziger Milch und mitgebrachter Semmel gütlich thun. Man konnte nicht oft im Dorfe eingekehrt sein, ohne einer weiblichen Gestalt zu begegnen, die, obwohl sie nach Tracht und Aussehen unzweifelhaft zu den eingebornen Dorfbewohnern gehörte, unter ihnen doch einer besondern Auszeichnung zu genießen schien, denn von Jung und Alt ward sie all überall, wo sie erschien, freundlich begrüßt, und man sah wohl, daß sie nicht zu jenen in der Neige des Lebens Stehenden zähle, die, wenn ihr Tag zu Ende geht und sie nicht mehr handlich schaffend in die Arbeit eingreifen können, von den steter Beschäftigung gewohnten und dazu genöthigten Landleuten gar zu gerne mehr nur als Last betrachtet werden.

Wo sie aber auch einkehrte, kam nicht die klagende Schwäche des Alters, sondern dessen Erfahrung, verständige Rede und guter Rath, wie er überall und zu jeder Zeit gebraucht werden kann. Die „gute Lene“, wie sie bei den Kindern des Dorfes hieß, weil ihre Gürteltasche nicht selten eine bescheidene Süßigkeit barg und entleerte, war den älteren Dörflern wie eine weise Sibylle oder ein köstliches Schatzkästlein voll guter Dinge. Das von der landesüblichen Haube nicht ganz bedeckte, greisig ergraute Haar zeugte von der langen Reihe von Sommern und Wintern, die über dieses Haupt dahingegangen, und man wäre wohl versucht gewesen, sie in ihrer bescheidenen, aber immer ausnehmend reinlichen Kleidung ein schönes, altes Mütterchen zu nennen, hätte nicht der besondere Schnitt der Haube gelehrt, daß die „gute Lene“ ein langes Leben hindurch einsam und allein ihren Weg gegangen.

Was war es denn aber nun, was der Erscheinung gerade dieser alten Jungfrau eine besondere Bedeutung gab, die, wie man

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