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an der Mündung des Glases zeigen dies deutlich an. Der Geschmack ist nun merklich verändert; wir sagen, das Wasser schmeckt matt oder fade. Derselbe Vorgang findet in der Natur statt bei den Flüssen, je weiter sich das Wasser von der Quelle entfernt, und deshalb ziehen wir als Trinkwasser das Quellwasser dem Flußwasser vor. Der größere Gehalt an Kohlensäure in jenem macht es aber auch zugleich reichhaltiger an Kalksalzen, die eben durch die Kohlensäure in Auflösung erhalten werden, und dadurch wird es für andere Zwecke der Haushaltung weniger brauchbar. Durch die Kalksalze wird das Wasser hart, d. h. es besitzt nicht die Fähigkeit, Hülsenfrüchte weich zu kochen und Seife aufzulösen. Im ersteren Falle lagern sich die Kalktheilchen, die sich beim Kochen ausscheiden, weil hier die Kohlensäure, das Auflösungsmittel, entweicht, an den Früchten ab und hindert so das Weichwerden; in dem letzteren wird die Seife, die als fettsaure Natron- oder Kalisalze anzusehen ist, durch die Kohlensäure zerlegt. Es bilden sich hierbei fettsaure Kalksalze, die im Wasser unlöslich sind. Durch Kochen oder Stehenlassen kann man ein solches Wasser daher oft verbessern. Biere, die stark schäumen, hat man vor der Beendigung der Gährung auf Flaschen gefüllt; in diesen findet eine Nachgährung statt. Die hierbei sich entwickelnde Kohlensäure ist gefangen. Sie wird, da sie unter einem bedeutenden Druck steht, in das Bier hineingepreßt und entweicht aus diesem unter Aufbrausen und Schäumen, sobald man den Druck aufbebt, indem man den Korken lüftet. Ganz so ist es bei dem Champagner. Bairische Biere dagegen, die ihre ganze Eigenthümlichkeit einem besondern Gährungsverfahren verdanken, wobei die stickstoffhaltige Substanz, welche die Gährung bewirkt, ganz zersetzt und ausgeschieden wird, weshalb keine Nachgährung in den Flaschen stattfinden kann, enthalten nur sehr wenig Kohlensäure. Nichtsdestoweniger verlangt auch hier die Unwissenheit einen starken Schaum auf dem Glase, und um diesem unsinnigen Wunsch nachzukommen, hat man zu dem ekelhaften Spritzen seine Zuflucht genommen.




Die Charaktere des Menschen.[1]
Nr. 1. Der Phlegmatiker.

Wenn der Mensch von sanguinischem Temperament mit seinem leicht erregbaren Gemüth und mit der wilden, aus entzündlicher Feuerluft gebildeten Seele, dem beweglichen heißblütigen Vogel gleicht, so ist der Phlegmatiker – in allen Dingen das Gegentheil vom Sanguiniker – das zähe, schwerfällige, nicht leicht aufzuregende Naturell, dem kaltblütigen Amphibium ähnlich.

Ganz entschiedene Phlegmatiker, gleichsam vom reinsten Wasser, sind, wie tadellose Diamanten, sehr selten, wie denn überhaupt die Temperamente gewöhnlich nur in Mischungen und Uebergängen vorkommen. Aber es ist für den Beobachter ein Genuß, solche Individuen zu betrachten, die sich dem reinen, unvermischten Temperamente nähern. – Phlegmatische Menschen sind ruhig, ohne träg zu sein. Man kann ihr Wesen, das unter allen Temperamenten am Schwersten zu beschreiben ist, wie auch die Amphibien den Naturforschern die räthselhaftesten Thiere sind, nicht leicht definiren. Ihre Trägheit ist nicht eigentlich Faulheit, sondern die Trägheit der Körper, wie die Physik dieses Wort gebraucht, nämlich die Schwierigkeit, aus einem einmal vorhandenen Zustand heraus zu kommen. Schlafen jene Menschen, so schlafen sie fest und lang und sind schwer aus den Federn zu bringen. Wachen sie bei der Arbeit oder in Gesellschaft heiterer Genossen, so sind sie schwer in’s Bett zu bringen; dieses Beharren in dem einmal begonnenen Zustand ist ein charakterisches Merkmal des Phlegmatikers, wie das laufende Rad, der stehende Wagen ein ganz besonderes Bestreben haben, zu laufen oder fest zu stehen. So ist es denn im Grunde die Mittellosigkeit, welche von dieser einen Seite, von der andern die Phantasielosigkeit, welche dem sanguinischen Temperament eigen ist. Es ist schrecklich, einer solchen Unentschlossenheit zusehen zu müssen. Wenn sie so dasitzen oder stehen und nicht mit sich einig werden können, was sie thun oder lassen sollen und einem vernünftigen Menschen alles Blut in den Adern bereits zu Millionen kribbelnden Ameisen geworden, oder wenn ihm der Kopf schon anfängt zu schwindeln vor Ungeduld, so wirbeln jene in aller Ruhe die Daumen, kratzen sich mit dem Nagel des Zeigefingers sanft an der Nase oder lächeln uns in aller Unbefangenheit gemüthlich an. O es ist eine Naivität in diesen Seelen, die etwas Dämonisches hat!

In der Regel sind die Phlegmatiker etwas beleibt, blaß von Farbe, meist blond; der Knochenbau pflegt stark zu sein. Ihre Reden sind überlegt besonnen, ohne Schwung und Kraft; der Sinn für Höheres, namentlich für Poesie und Kunst geht dem phlegmatischen Temperament ab. Dagegen liebt es eine gewisse anständige Begeisterung für die Moral und das Schöne – schicklichkeitshalber. Aus der Klasse der Phlegmatiker stammen die besten und pünktlichsten Geschäftsmänner, die zuweilen kleine Liebhabereien cultiviren, als Sammlungen von Käfern, Münzen, Siegeln, schönen Pfeifenköpfen und dergleichen. Das Urtheil des Phlegmatikers ist gewöhnlich absprechend, doch ohne Leidenschaft; er hat fast immer „Recht“ (wenn auch himmelschreiendes Unrecht in mancher Beziehung) und thut sich etwas zu Gut darauf. Wo viel Enthusiasmus, Bewegung und Kühnheit sich geltend machen, da wird er durch seine Kälte und Ruhe leicht beleidigend. Er kann mit einer Naivität was? und warum? fragen, die einen warmen Kopf aus dem Concept bringt. Die Stimme der Phlegmatiker hat sehr oft etwas Bedecktes, Fettes möchte man sagen. Die Vorzüge dieses Temperaments sind Klarheit, Besonnenheit, Fleiß und ein praktischer Sinn; die Fehler dagegen Eigennutz, Kleinlichkeit, Engherzigkeit, Neid, Geiz und List. Ein Phlegmatiker kann ein guter Geschäftsmann, ein löblicher Familienvater, ein trefflicher Staatsbürger sein, aber zu großen Gedanken oder Thaten wird er sich nie erheben. Wo ihm seine nüchterne Besonnenheit nicht forthilft, da nimmt er gern zur List, zur Intrigue und zu kleinen Bosheiten seine Zuflucht.

Die mehr erwähnte Aehnlichkeit dieses Temperaments mit der Klasse der Amphibien fällt in die Augen. Kaltes Froschblut, ein bedächtiger Gang, die langgestreckte Wirbelsäule (bei Schlangen und Eidechsen) und die größere, kalk- und erdehaltige Knochenmasse deuten auf die Verwandtschaft der besagten Thierform mit dem der Erde und dem Irdischen zugewandten Phlegmatiker. Die Lebenszähigkeit, die lauernde List und Gefährlichkeit mancher Gattungen vollenden die Vergleichung.

Mit phlegmatischen Menschen läßt sich gut auskommen, so fern man nicht zu viel von ihnen verlangt. Sie sind nicht selten zuverlässig, verschwiegen, ja gutmüthig, liebenswürdig sogar, besonders wenn sie Witz haben, was öfter der Fall ist. Doch pflegt die Liebe zum Besitz eine Lieblingneigung zu sein, daher sie nicht leicht bereit sind, Opfer zu bringen. In der Regel sind sie gerecht. Am Unbequemsten ist ihre Indolenz. Sowie denn auch lebhafte und thatkräftige Menschen Phlegmatikern unangenehm zu sein pflegen. Grübelnde Kinder nimmt man gern für künftige Denker und indolente für talentlos. Beides gewöhnlich eine Täuschung. Die Hauptstärke des Phlegmatikers ist der Verstand: das Vermögen zu trennen, zu vergleichen, zu unterscheiden, eine Geistesthätigkeit, welcher man im gewöhnlichen Sprachgebrauch viel zu viel Ehre erweist, welche aber für sich allein nur sehr untergeordnete Funktionen hat und den Menschen dem Reich des höhern Lebens, der Sphäre des genialen Denkens, der Kunst und Religion fern hält.


  1. Siehe Gartenlaube Nr. 7. unter Blätter und Blüthen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_401.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)