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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Alfred, ich rufe es Dir zu, wie ich es oft gethan, ohne daß mich Deine Anklagen irre machen:.Sei ein Mann, laß Dich vom heißen Blut nicht zur Ungerechtigkeit, nicht zur Uebertretung strenger, heiliger Gesetze hinreißen.“

„Mir dünkt es mehr als vermessen“, gab Alfred zurück, „daß Du mit Moral auftrittst, und ich meine, daß Du besser thätest, sie für Dich zu behalten, der ihrer wahrlich bedarf. Ich aber weise sie zurück, schon deshalb, weil sie aus Deinem Munde kommt.“

„Kein Zweiter auf dieser Erde dürfte wagen, so mit mir zu sprechen!“ rief Arnold, endlich in Heftigkeit versetzt.

„Nur weiter so“, forderte Alfred heraus. „Nur nicht auf halbem Wege stehen geblieben! Von Niemanden auf dieser Erde darf man sich so behandeln lassen, ich gesteh’s selbst, wenn man es zehnmal verdient.“

„Ich werde mich mit Dir nicht schlagen“, versetzte, wieder ruhiger geworden, Arnold. „Ein einzig Wort will ich Dir sagen.“

„Was kannst Du vorbringen, das Dich entschuldigt?“ entgegnete Alfred.

„Es handelt sich nicht um mich. Du siehst, wie ich Hartes von Dir zu erdulden weiß. – Was bedeutet Dein Lächeln? Habe ich es nicht bewiesen, daß ich keine Kugel fürchte? Doch auch diesen Schimpf nehme ich hin. Gut also, mich laß Deinen ganzen Zorn erfahren. Wenn ich Unrecht gethan, so gebührt mir allein die ganze Strafe, da ich keinen Mitschuldigen gehabt. Doch schone meine Schwester, laß sie das schlafende Kind bleiben, über dessen Haupt das Gewitter ungehört hinzieht.“

„Jede Verantwortung dessen, was geschehen wird, wälze ich auf Dich. An allem Unheilvollen, das aus dieser Verwickelung entsteht, trägst Du die Schuld. Offenheit aber bin ich Delphinen schuldig. Die arme Frau muß wissen, wie die Sachen stehen, damit nichts sie unvorbereitet treffe. Es läßt sich auch nichts mehr verschweigen.“

Nachdem Alfred dieses erklärt hatte, stürmte er aus dem Gemache, den Schwager in tiefster Besorgniß zurücklassend. Und es dauerte nicht lange, so kam Delphine zu ihrem Bruder mit nassen Augen. Sie wußte Alles.

„Wo ist er?“ frug Arnold.

„Fort!“ antwortete die blasse Frau und sank ihrem tief erschütterten Bruder leblos in die Arme, der alle Mittel anwendete, das geliebte Wesen aus dem vorübergehenden Tod zu wecken.

„O, hättest Du mich in dem Zustand der Bewußtlosigkeit gelassen“, sagte Delphine, als sie wieder fühlte und sprechen konnte, „da war mein Leiden mit mir entschlafen. Nun ist es wieder erwacht, und ich weiß nicht, wie ich es ertragen soll.“

Was hätte Arnold sagen sollen, um den Muth der armen Frau zu erheben. Er selbst war verzweifelt, denn er wußte keinen Weg, der zu einer Lösung, zu einer Ausgleichung führte; er wußte kein Mittel, durch welches die drohende Gefahr abzuwenden sei. Sie saßen still und traurig beisammen, Bruder und Schwester. Delphine war, den Kopf auf beide Hände gestützt, in düsteres Brüten versunken.

Plötzlich aber, wie von einem glücklichen Gedanken, von einer Hoffnung berührt, hob sie das Haupt empor und sagte zu ihrem Bruder: „Du mußt mich zu der Unbekannten führen, in ihren Händen ist mein Schicksal.“

Arnold, erfreut, seine Schwester ein wenig aufgerichtet zu sehen, erklärte sich bereit, ihren Wunsch zu erfüllen, obgleich er sich in seinem Innern nicht den geringsten Erfolg von diesem Schritte versprach.


VI.

Alfred, nach der Scene mit dem Freund, nachdem er seine Frau von Allem was vorgefallen in Kenntniß gesetzt, jagte fort; er empfand Reue und Beschämung darüber, daß er ohne Prüfung verurtheilt, daß er in knabenhafter Uebereilung ein edles argloses Weib durch Argwohn und gemeinen Verdacht beleidigt, daß er thöricht auf sein eigen Herz getreten. Er fühlte das Bedürfniß, Adelen zu sehen und von ihr Ablaß für sein Verbrechen zu erhalten; dennoch zauderten öfters seine Schritte auf dem Gange nach der rue Mazagran und er kam sich selbst wie ein Kind vor, das sich einen Fehler zu Schulden kommen ließ und vor das strenge Antlitz des Meisters treten soll. Er kam sich so klein, so gewöhnlich vor, daß er sich eher hätte verbergen wollen vor dem Weibe, unter das er sich so tief gestellt durch seine unverzeihliche Roheit. Wen darf ich anklagen als mich selbst, waren seine Gedanken. Hat Arnold sie gekannt, wie ich sie kannte? Verdiente ich nicht irre geleitet zu werden, da ich mich von einem andern Einfluß leiten ließ, als dem dieser klaren, lautern Natur? Was soll ich sagen, wie mich entschuldigen, wie nun vor sie hintreten, die ich anzuklagen mich vermaß und die nun meine Richterin, geworden? Er kehrte auf seinem Wege mehrere Male sogar um, mit der Absicht, das von ihm mißhandelte Weib nie wieder zu sehen, die er entweiht durch seinen Umgang und durch den Maßstab, den er an die edle Erscheinung gelegt; doch so wie er sich um einige Schritte von seinem Ziel entfernte, war es ihm wieder, als wäre er auf einer frommen Wallfahrt begriffen, von der er umkehren wollte und die doch zur Beruhigung seines Gewissens unerläßlich. – Darauf setzte er die Wanderung schleuniger fort.

Bescheiden und scheu, den Blick gesenkt, trat er diesmal in das Gemach, das ihn so oft und in so verschiedenen Stimmungen aufgenommen. Adele empfing ihn mit Ernst und Würde.

„Denken Sie nun besser von mir?’ frug sie sanft, ohne Vorwurf in Ton und Geberde.

„Was habe ich zu denken?“ erwiederte Alfred in einer völligen Zerknirschung. „Sie haben zu richten, zu begnadigen oder zu verdammen. Ihr Platz ist aber da, wo man Götterbilder hinstellt, der meinige im Staube vor Ihnen.“

„Ich verzeihe Ihnen,’ sagte Adele voll Milde, „ob ich gleich viel gelitten durch Sie.“

„Nun wird Alles wieder gut,“ rief Alfred hoch erfreut.

„Verlangen Sie von mir, was Sie wollen. Es sei erfüllt, Was es auch koste, ohne Prüfung, ohne Bedenken. Nur seien Sie mir wieder, was Sie mir gewesen, lassen Sie die Stunden wiederkehren, die traulichen, die blühenden, die reichen, die ich im Wahnsinne aufgegeben.“

„Nichts davon, mein Alfred,“ versetzte das Mädchen. „Ich habe das Glück der Jugend geträumt; der Traum ist verflogen auf immer. Nichts weiter davon.“

„Haben wir uns das Glück nicht selber geschaffen?“ warf Alfred lebhaft ein. „Können wir es nicht neu beleben mit seinem Schmuck und seinem Zauber?“

„Nein. Es muß dahin sein.“

„Wer will uns hindern auferstehen zu machen, was nicht todt ist? Welche Macht gebietet über den Drang der Herzen?“

„Die Pflicht!“ erwiederte Adele mit männlicher Kraft.

„So habe ich Sie verloren, Adele?“ rief Alfred.

„Sie werden mir immer sehr viel gelten; mein Herz bleibt Ihnen so lange ich lebe in Freundschaft zugewendet, doch das Band, welches Sie an eine Andere bindet, ist und bleibt mir heilig, so wie es Ihnen heilig sein und bleiben muß. Leben Sie glücklich in der Familie,“ setzte sie mit zitternder Stimme hinzu. „Sie haben eine junge liebenswerthe Frau, die Schwester Ihres Freundes, die Ihnen ergeben ist, der Sie sich freiwillig durch einen Schwur auf immer verbunden. Ich habe mich nach der Glücklichern als ich bin, erkundigt, da ich von Ihrer Vermählung gehört und mich so unendlich elend fühlte. Die Leidenschaft, den brennenden Schmerz in der Seele, wünschte ich zunächst Ungünstiges von der Frau Ihrer Wahl zu hören, das hätte meinen Groll befriedigt, das hätte mir eine Art Genugthuung gewährt. Nachdem ich aber einen schweren Kampf mit mir selbst bestanden, nachdem ich die Bitterkeit, den Haß, die sich meiner bemächtigten, überwunden, waren mir die Vorzüge Ihrer Gattin, die ich rühmen hörte, ein Trost, denn ich sagte mir, daß doch von uns Beiden wenigstens Sie glücklich sind.“

„O, unaussprechlich fromme Seele! Gewiß, Sie sind eine Heilige des Himmels!“ rief Alfred mit bewegter Stimme.

Und Adele fuhr mit matter Stimme fort: „Wie es ist, so muß es äuch bleiben, Alfred. Wem käme es zu Gute, wenn Sie ein Verhältniß brächen, das unantastbar sein muß? Das wäre keine Abhülfe, sondern Vervielfältigung des Verderblichen. Sie machten sich eines neuen Verrathes an meinem Herzen schuldig, das Ihnen keinen Anlaß zum Abfall gegeben und das sein Heil von Ihnen erwartet, von Ihnen zu fordern berechtigt ist. Noch ein Mal: Leben Sie glücklich ein angemessen heiteres Leben in Ihrer Familie, das ist die einzige Sühne, welche ich verlange.“

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