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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 34. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der Schutzgeist des Hauses.
(Schluß.)
V.

Das junge Ehepaar hatte übereinstimmend beschlossen, in der großen Stadt eben so sich selbst und dem häuslichen Glücke, wie in dem kleinen Städtchen des Südens zu leben. Arnold war ersucht worden, eine geeignete Wohnung jenseits der Seine aufzunehmen, und seine Wahl fiel auf ein Haus in der rue Jacob, welches all die gesuchten Vortheile der Zurückgezogenhcit, Bequemlichkeit und Reinlichkeit bot. Er hatte auch, so weit dies einem Manne zuzumuthen ist, die Einrichtung besorgt, die Ergänzung derselben der Umsicht der jungen Hausfrau vorbehaltend, welche sich nun bei ihrer Rückkehr vollauf mit Einkauf und Anordnung alles Dessen zu schaffen machte, was zur Behaglichkeit und Anmuth des Aufenthaltes beitragen konnte. Noch war nicht Alles in dem erwünschten Stand, noch hatte man sich mit der pariser Welt gar nicht in Verbindung gesetzt, als sich eines Morgens ein Besuch einfand, der Herrn Duberville galt. Zwar hatte die Dienerschaft die Weisung erhalten, jeden vorzeitigen Gast abzuweisen, allein in dem vorliegenden Falle blieb die Maßregel fruchtlos, da der Angekommene, vorgebend, daß er mit Herrn Duberville in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen habe, nicht zum Weichen gebracht werden konnte.

„Wen soll ich melden?“ frug endlich der ermüdete Diener, als er sah, daß der Fremde auf die Unterredung bestand.

„Herrn Flaireau“, lautete die Antwort.

Alfred verfärbte sich, als ihm dieser Name genannt wurde.

„Lassen Sie ihn eintreten“, sprach er nach kurzem Besinnen, und bald darauf sah er die magere Gestalt des Börsenspielers im Gemach erscheinen.

„Guten Tag, Herr Duberville“, sagte dieser mit einer widrigen Freundlichkeit. – „Wie geht es Ihnen? Sie haben für mehrere Monate Paris im Stiche gelassen. Jeder, der es thun kann, hat Recht, wenn er den Sommer auf dem Lande in frischer Luft zubringt.“

„Gewiß, gewiß“, warf Alfred hin, um etwas zu sagen.

„Befinden Sie sich nicht ganz wohl?“

„Ganz wohl. Ich danke.“

„Sie sehen ein wenig angegriffen aus.“

„Die pariser Luft ist Schuld daran, Herr Flaireau.“

„So schnell wirkt die auf Sie?“

„Es scheint.“

„Es ist mir ein Vergnügen, Sie wieder zu sehen, Herr Duberville. Uebrigens aber hat mein Besuch seinen bestimmten Zweck.“

„Womit kann ich Ihnen dienen?“

„Ich komme im Auftrag meiner Schwester.“

Alfred wurde blass bis auf die Lippen und sagte nichts.

„Meine arme Schwester läßt Sie um eine kurze Unterredung bitten“, fuhr Thomas fort.

„Wozu das?“ frug Alfred mit gepreßter Stimme.

„Gleichviel, wozu?“ versetzte Thomas. „Als ein Mann von Herz und Bildung können Sie diese Bitte einem unglücklichen Geschöpf, wie meine Schwester ist, unmöglich abschlagen.“

„Unglücklich?“ sagte Alfred in einem Tone, den selbst der Börsenspieler ein wenig verletzend finden mußte. „Findet ihre Kunst keinen Absatz mehr? Geht es so schlecht mit den Geschäften? Wenn ich nicht irre, bin ich Honorar schuldig geblieben.“ Bei diesen Worten öffnete Alfred seinen Sekretär, um Geld herauszunehmen.

„Meine Schwester hat ihre Talente, Herr Duberville“, entgegnen Thomas fast entrüstet, „und braucht Ihre Almosen nicht. Sie will mit Ihnen sprechen, aber nichts, gar nichts von Ihnen haben, verstehen Sie wohl. Mich können Sie beleidigen, so viel Sie wollen: ich bin ein elender Mensch, das weiß ich und verdiene es nicht besser; was aber meine Schwester betrifft, die Sie nicht kennen, oder wenigstens nicht verstehen, so behaupte ich, daß sie viel, viel mehr werth ist, als wir Beide. – Und nun, wenn Sie wollen, jagen Sie mich aus Ihrem Hause, oder lassen Sie mich von Ihren Dienern die Treppe hinunter werfen. Gesagt und wahr ist und bleibt es doch.“

Das warme Lob aus diesem Munde machte offenbar einen ungünstigen Eindruck auf Alfred. Und er erwiederte mit einem verächtlichen Blick auf den Lobredner: „Es gereicht Ihrer Schwester sehr zur Ehre, von Ihnen so hoch geschätzt zu sein.“

„Lassen Sie sich jetzt in Ihrer Ironie gehen, wie Sie wollen. Wir sprechen uns aber ein ander Mal.“

„Soll dies eine Drohung bedeuten?“ versetzte Alfred mit einer raschen Wendung des Kopfes nach seinem Besuche.

„Nicht wie Sie es meinen“, sagte Thomas. „Ich mache kein Hehl daraus, daß ich mich vor einer ungeladenen Pistole fürchte. Wenn ich also sage: Wir sprechen uns ein ander Mal, heißt dieses: wenn Sie meine Schwester gesehen haben. – Wann also beliebt es Ihnen, zu kommen?“

„Ihre Schwester soll nicht denken, daß ich ihren Anblick fürchte“, versetzte Alfred. „Sie mag mich in einer Stunde erwarten.“

„Ein Mann, ein Wort, Herr Duberville.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_393.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)