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Blätter und Blüthen.

Tanzende Hunde und wandelnde Taschentücher. Daniel Collis und William Poland, gut gekleidete junge Herren, wurden neulich vor den Magistratsherrn auf der Surreyseite Londons, Norton (nicht im besten Lichte berühmt durch seine geschiedene Frau, den „weiblichen Byron“’, Mrs. Norton) gestellt, angeklagt, einen Hund tanzen und Taschentücher wandeln gelassen zu haben. Durch Zeugen stellte sich heraus, daß Collis in einer belebten Straße durch seinen tanzenden und sonst in Künsten und Wissenschaften sich sehr bewandert und ausgebildet bewährenden Hund Aristoteles große Massen von Menschen so zur Bewunderung hingerissen, daß es seinem Geschäftsgenossen Poland gelungen war, verschiedene Taschentücher, in Gedanken versunken, aus fremden Taschen zu reißen. Ein Polizeibeamter sagte auch aus, daß er den jungen Herrn Poland seit drei Jahren als eines der geschicktesten und thätigsten Mitglieder einer sehr genialen Diebesbande zu kennen die Ehre, aber zugleich das Unglück gehabt habe, ihn nie zu erwischen. Zuerst seien sie mit ausstudirten weißen Mäusen auf der Straße erschienen, welche durch ihr graziöses, zartes Benehmen und ihre Anhänglichkeit an ihre Lehrer namentlich das schöne Geschlecht an- und ihm die Taschentücher ausgezogen hätten. Außerdem wurden die sieben Weißen aus dem Geschlechte der Mäuse mit vielem baaren rothen Kupfer honorirt. Doch die weißen Mäuse wurden in der freien Presse Englands endlich unehrlichen Lebenswandels beschuldigt, so daß sie in ihrer gekränkten Ehre sich zurückzogen (und vor Gram grau wurden), um das Feld einem unschuldigen, aber sehr gelehrten Spatze zu räumen. Spatz machte aber als Künstler nicht besondere Kasse, so daß er bald einem Eichhörnchen weichen mußte, welches, von Natur mit viel liebenswürdiger Komik ausgestattet, auch noch in der drolligsten Weise verschiedene Leute judasküßte, während die Verräther hinten Taschentücher für andere Nasen abführten, als die der Eigenthümer. Doch auch der größte Künstler und die berühmtesten Sängerinnen haben ihre Zeit, wie nach Salomo viele andere Dinge und Menschen. So auch das Eichhörnchen (das londoner wie das berliner). Vom Eichhörnchen kommen die londoner Künstler und Diplomaten auf den Hund, einen Hühnerhund von der berühmten Sorte auf der Insel Skye. Seine Kunst auf den Hinterbeinen war heiter, aber ernst das Leben, in welches er seine Lehrer hineintanzte. Er tanzte fehlerfrei, klassisch, aber Mr. Poland griff zu unrechter Zeit und fehl. – Das treue, unschuldige Thier, sich keines Unrechts bewußt, folgte den Gefangenen mit fragenden, theilnehmenden Blicken nach dem Gefängnisse und winselte Tag und Nacht so jämmerlich vor der eisernen Thür, die sich ihm nicht öffnen wollte, daß der Gefängnißwärter Cook mit großer Wärme, die ihm gegen Menschen völlig fremd geworden war, vor Gericht den höchsten Ruhm des Thieres schilderte. An seinem Leben habe er nicht so etwas vor Freude und Entzücken gesehen, als diesen Hund, als er ihn zu den Gefangenen gelassen. Eine halbe Stunde habe er sich wie ein Rasender geberdet, und sei ununterbrochen an seinem Lehrer in die Höhe gesprungen, um ihn zu küssen, und so oft er auch dabei jämmerlich auf den Rücken gefallen, immer sei er wieder aufgesprungen, um in neue leidenschaftliche Beweise seines Entzückens auszubrechen. Die Ungeheuer von Lehrern des Hundes verleugneten jede Bekanntschaft mit ihm. Der Gefängnißwärter hatte große Schwierigkeiten, das von ihm geliebte Thier zu überreden, mit ihm in bessere Gesellschaft zu kommen. Norton: „Haben Sie gefunden, daß er wirklich so geschickt ist?“ Cook: „O und wie, Sir! Es ist ein bewundernswürdiges Geschöpf: Tanzen ist das Wenigste. Er thut fast Alles, was man ihm heißt.“ Cook versprach, ihn in Moral zu unterrichten, während seine Elementarlehrer ihre drei Monate absitzen.




Visionen großer Männer. Das Gespenst ist ein Gespinnste unseres eigenen Gehirns, welches von der Gestaltungskraft unserer eigenen Phantasie zu einem Wesen außer uns erhoben, nun den Zusammenhang mit uns verliert und als ein eigenes, fremdes Wesen uns entgegentritt. Geschwächte, überarbeitete Geisteskraft begünstigt oft dieses plastische Spiel der Phantasie, da der Geist eben zu schwach ward, sich die Meisterschaft über die Phantasie zu erhalten. So hatten oft große Geister in schwachen Stunden Visionen. Man kann sagen: alle großen, produktiven Männer haben zuweilen an Visionen gelitten. Goethe ritt in seinen alten Tagen einmal aus in Weimar, und war ganz abergläubisch erschrocken, als plötzlich ein genaues Bild seiner selbst im hellen Rocke ihm entgegenritt und ihn grüßte, indem es verschwand. Er hielt die Vision für sein höheres Ich, das einen Versuch gemacht, außer dem Kerker des Körpers zu leben, da es diesen Körper bald verlieren werde. – Der Maler Spinello, welcher den Fall des Erzengels Lucifer zur Hölle gemalt hatte, wurde im Alter von seinem eigenen gemalten Teufel so oft erschreckt, daß er’s endlich nicht mehr aushalten konnte und sich ermordete. – Von einem englischen Carikaturmaler heißt es, daß er sich ebenfalls das Leben genommen, weil ihm seine „Spottgeburten“ lebendig und in Lebensgröße jede Nacht den Schlaf raubten. – Müller, der Schöpfer der Kupferplatte der Sixtinischen Madonna, war glücklicher. In seinem Alter besuchte ihn die liebliche Madonna und ihm mit süßer Stimme dankend für die künstlerische Liebe, die er in Ausgrabung ihres Bildes ihr so lange gewidmet, lud sie ihn zugleich ein, ihr in den Himmel zu folgen. – Der berühmte Ben Johnson betrachtete öfter die ganze Nacht seine große Zehe, um den Kämpfen von Tataren und Türken, Katholiken und Protestanten u. s. w. zuzusehen, welche sich diesen etwas unbequemen Kriegsschauplatz zur Ausfechtung ihrer Ansprüche gewählt hatten. – Beethoven, der bekanntlich in den letzten Jahren taub ward, bekam dadurch ein so feines Gehör, daß er nicht nur beim Dirigiren jeden Ton genau hörte, sondern ganze große Compositionen Ton für Ton vollständig auf- und ausgeführt hörte, während Alles um ihn her todtes Schweigen war. Man glaubt es der jetzigen allgemeinen Bildung schuldig zu sein, Träume, Visionen, magnetische Affectionen und „Nachtseiten der menschlichen Seele“ stets sehr nüchtern und verständig mit „Blut, schwachen Nerven, Mangel an Stuhlgang“ und dergleichen zu erklären. Man thut dies bereits bis zum Ueberdruß, so daß man hoffen darf, es werde nun bald wieder für anständig gelten, auch an noch nicht erklärte Kräfte des menschlichen Organismus zu glauben.




Dr. Peithmann und Prinz Albert. Beide studirten einst zusammen in Bonn. Ersterer wurde Dr. der Philosophie, letzterer Gemahl der englischen Königin. Dr. Peithmann reis’te seinem ehemaligen Universitätsgenossen nach London nach, als dieser sich vermählt hatte und speculirte auf Begünstigung. Er reichte dem Prinzen Bittschriften ein, die jedoch ohne Berücksichtigung blieben. So begab er sich nach Irland, um dort in der Familie des Chefs der englischen Admiralität, Lord Normanby Hauslehrer zu werden. Der Sohn des Lords wurde hier, ohne daß er’s, wünschte, Vater zu einem Kinde der deutschen Gouvernante im Hause. Der Schein mußte gerettet und die Gouvernante nach Deutschland geschafft werden, Dr. Peithmann ward mit dem Auftrage beehrt, sie verschwinden zu lassen. Er verweigerte es mit Entrüstung, mußte seine Stelle verlassen und hielt Vorlesungen in Dublin. Hier wandte sich die davongejagte Gouvernante um Schutz an ihn, den er auch heroisch zusagte, da er wußte, daß der junge Lord ihr die Ehe versprochen, was in England sehr kostspielig ist, wenn man nicht Wort halten will. Hier kam noch die nothwendige „Scheinrettung“ hinzu. – So ward Dr. Peithmann eines Morgens von Polizei abgeholt und in das Irrenhaus Bedlam zu London gesperrt, wo er funfzehn Jahre blieb und als Lehrer der Wahnsinnigen wirkte, da er wirklich etwas Doctor der Weisheit war und blieb. Neulich (im Juni 1851) endlich durch Fürsorge der „Gesellschaft für Wahnsinnige“ entlassen, hatte er nichts Eiligeres zu thun, als sich an seinen ehemaligen Universitätsfreund, Prinz Albert zu wenden und um Rückgabe von „Papieren“ zu bitten. Da er keine Audienz erhalten konnte, wußte er es möglich zu machen, sich eines Sonntags in der Privatcapelle der königlichen Familie im Buckingham-Palast zu zeigen, um, wie er aussagte, sich durch sein persönliches Erscheinen dem Prinzen in Erinnerung zu bringen. Hierauf ward er wieder von der Polizei ergriffen und des Wahnsinns angeklagt und – überführt. Der Beweis wurde in dem Privatzimmer der betreffenden Magistratsperson mit Ausschluß aller Oeffentlichkeit und selbst der nothwendigen Freunde und Zeugen geführt. Die Sache ist der unverschämteste Schlag in das Gesicht der Gerechtigkeit und Humanität. Allerdings ist Dr. Peithmann ein doppelter Verbrecher, nicht weil er das Bewußtsein verloren, sondern von Kindern weiß, deren Väter die Welt nicht kennen lernen soll. Der Fall ist vor das Parlament gekommen, aber schwerlich werden die beiden Parlamente um eines Menschen willen, der nichts als ein deutscher Doctor der Philosophie ist, Heiligenscheine, welche die hohe Gesellschaft innen trägt und der ihr angewachsen ist, wie der Backenbart, zerstören oder nur lüften. „Schein retten“ ist die erste Cardinaltugend in der offiziellen guten Gesellschaft Englands. Berühmte Aerzte, die für eine Handvoll Guineen Menschen für verrückt erklären, damit deren Vermögen in die Hände Verständiger falle, sind nirgends häufiger, als in England, weil sie nirgends so häufig gebraucht und so gut bezahlt werden, als hier. Manchmal geschieht’s auch zum „Schein,“ nicht wegen klingender Münzen.




Der Präsident der Republik Costa Rica. Das unter den centro-amerikanischen Staaten in neuerer Zeit häufig genannte Costa Rica, auch vielfach und nicht ohne allen Grund der deutschen Auswanderung empfohlen, steht gegenwärtig unter der Präsidentschaft Don Juan Rafael Mora’s. Mora ist ein kleines Männchen, dessen Aeußeres die Liebe zum Frieden, zur Ruhe und zur Behaglichkeit verräth. Er ist trotz seiner energischen Reden und des diktatorischen Auftretens im Congreß auch von Charakter sanft und wohlwollend, und kann, so sehr er auch versucht, sich das Air eines Staatsmannes nach europäischem Zuschnitt zu geben, doch den ehrsamen Bürger nicht verleugnen. Zum großen Theil hat dies seinen Grund mit darin, daß Mora nicht nur blos Präsident ist, sondern auch ein bürgerliches Gewerbe mitbetreibt. Er besitzt sehr bedeutende Kaffeepflanzungen und hält in der Hauptstadt San José einen offenen Kramladen. Da sich mehrere andere Regierungsbeamte, namentlich auch der Premierminister Corazo, der einen Bandwaarenkram betreibt, in derselben Lage befinden, so ruhen außer an den Sonntagen die Staatsgeschäfte auch an den Sonnabenden, wo großer Wochenmarkt in der Hauptstadt ist, zu welchem sich die Landbevölkerung in Masse einfindet. Das Regierungsbureau wird dann geschlossen und die ersten Beamten der Republik stehen mit Elle, Scheere und Waage hinter ihren Ladentischen. Gestern bat vielleicht Seine Excellenz Präsident Don Juan Rafael Mora in einer Staatsschrift an die Königin von England diese „Buena amiga“ (gute Freundin) vertraulich angeredet, heute schneidet und klebt er in seinem Laden neue Muster von gestreiftem Kattun, schottischen Callicos, neuesten Hosen- und Westenstoffen für irgend einen zu seiner Kundschaft gehörenden Landhausirer. Der Verkehr an solchen Tagen beseitigt alle Rangverhältnisse; von Excellenz dem Präsidenten ist keine Rede mehr, die Krämer und Bauern bedienen sich selbst des den höhern Ständen gegenüber gebräuchlichen „Caballero“ oder „Senor“ nicht, sondern sagen ganz einfach: „Don Juanito,“ etwa wie wir sagen würden, „mein gutes Müllerchen, Schulzchen etc.“ Das Wohl der Republik leidet übrigens hierunter nicht und Costa Rica geht einer recht gedeihlichen Zukunft entgegen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_380.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)