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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

hat, 30 Prozent Eingangszoll auf die neuschottischen Kartoffeln zu legen. Außerdem sind Arbeiter schwer zu haben. Für 140 Thaler jährlich und noch Fleisch, Pudding und Torte täglich muß man den Pferdeknecht noch sehr warm halten, wenn er nicht aufsagen soll. Lebensmittel, Hotels und Reisen sind fabelhaft billig, zumal wenn man aus England kommt, das seiner Gasthöfe wegen weltberüchtigt ist. Für eine Nacht mit Zimmer, Thee und prächtiges Frühstück bezahlte ich drei Schillinge. Das würde in England 20 - 30 Schillinge gekostet haben.

Von der nun folgenden langen Reise nach Annapolis will ich schweigen, sie bot nichts Merkwürdiges. Nur des „Teufels Gänse-Weide“, die wir öfter passirten (große, sandige und sumpfige Ebenen, mit Gänsen reichlich bevölkert), find’ ich des Witzes wegen, den Sam Slick darüber gemacht hat, erwähnenswerth. Er sagt, diese Teufels-Gänse seien so glücklich und unverdaulich, daß kein Fuchs zu bewegen sei, sich einmal eine zu holen, er könne sie doch nicht beißen. Später sah die Gegend wieder freundlicher aus, besonders im Thale des Flusses Annapolis, den wir bei der rasch aufblühenden Stadt Bridgeton passirten, um durch lachende grüne Thäler in die Stadt Annapolis zu kommen. Diese Stadt hat den historischen Ruhm, die erste europäische Ansiedelung in Nordamerika zu sein. Franzosen waren es, die sich hier 1603 zuerst niederließen. Die Stadt wurde mehrmals erobert, niedergebrannt und neugebaut, bot mir aber nichts besonders Merkwürdiges, da das Gemisch von Französisch und Englisch, das sich hier noch bietet, eben nicht sehr angenehm erschien. Sie liegt an einer Meeresbucht und steht mit St. Johns in Dampfschiffverbindung, so daß ich dachte, dort hinunter zu dampfen und in das eigentliche Amerika einzudringen. Doch man erzählte mir, daß das Dampfschiff gerade jetzt einer gründlichen Reparatur unterworfen werde, ich aber desto besser fahre, wenn ich nur vier bis sechs Wochen warten könne. Dazu hatt’ ich keine Lust, ich fuhr also meinen Weg zurück und eilte in Halifax athemlos nach dem Hafen, wo eben das große Dampfschiff „Canada“ angekommen war, in welchem ich mich vor allen Dingen schlafen legte, um für neue Eindrücke in der neuen Welt die Folgen meiner beschwerlichen Rückreise loszuwerden. Inzwischen will ich aber meinen Besuch bei Mr. Haliburton, Sam Slick, niederschreiben, in der Hoffnung, daß er bei meinem lieben Freunde E. Keil, alte Welt, Leipzig, Königsstraße Nr. 14, wohlbehalten ankomme. Für ansprechenden Inhalt in meinen weiteren Briefen wird die ungeheuere, neue Welt, der ich nun immer näher entgegenbrause, gewiß nur zu gut sorgen, so daß ich schon fühle, wie meine Hauptarbeit darin bestehen wird, tausenderlei Dinge, die mir im Augenblicke ganz ungeheuer wichtig erscheinen, ganz zu unterdrücken, und kurz und bündig und in den Grenzen zu bleiben, von denen hier Niemand die geringste Ahnung hat. Insofern ich hoffe, daß Sie meine Briefe der Veröffentlichung werth halten, erlaube ich mir alle Leser ohne Ausnahme unbekannter, aber herzlicher Weise zu grüßen.


Als ich in meinem neuschottischen Windsor wohlfeil ausgeschlafen und gefrühstückt hatte, begab ich mich mit einem meiner englischen Reisegefährten auf den Weg, in die reichlich zwischen Wiesen und Baumgruppen zerstreuten Landhäuser, deren eins dem lustigsten und schneidendsten aller amerikanischen Humoristen, dem schon erwähnten Advokaten Haliburton, der als Sam Slick schon lange auch in Deutschland eingeführt ist, gehören sollte. Wir fragten nicht lange, da Jeder seine Wohnung zu kennen schien. Und so kamen wir nach etwa einer halben Stunde vor einen großen, reichlich mit Baum- und Blumenwerk besternten Rasenplatz, auf welchem frei und luftig eine herrliche Villa im schönsten englischen Landsitzstyle sich erhob. Hier wohnt der Weise des modernen amerikanischen Charakters. Es war noch ziemlich früh, und wir trugen Bedenken, so ohne Weiteres einzudringen; aber es war nun nicht mehr gut warten. Wir ließen uns also als ein Paar Ankömmlinge aus zwei verschiedenen Theilen der alten Welt melden, wurden in ein großes, prächtiges, ganz aristokratisch-englisch ausgeschmücktes Besuchzimmer geführt, das in seinem Teppich, seinen Stühlen und Tischen, Büchern und Gemälden wohl auch den luxuriösesten Ansprüchen wenig zu wünschen übrig ließ. Kaum hatten wir Platz genommen, meldete ein reizendes, schlankes, kastanienbraunes Mädchen (ein Neger hatte uns die Thür geöffnet), daß der Herr in einigen Minuten die Ehre haben werde. So machten wir denn bald einer epigrammatisch überraschenden Erscheinung unsere Verbeugungen. Ein vom Kopf bis zu Fuß lachender, frischer, derber, untersetzter Vierziger mit einem Kopf voll ewig junger, unsterblich lachender Heiterkeit. Die Stirn groß und weit und edel gewölbt und ohne Spur von Sorgenfalten. Die Augen unter starken, buschigen, etwas spöttisch herabgezogenen Brauen, ein Arsenal blitzender, stechender, schneidender, schießender, durchdringender Waffen des Witzes und Humors. Nase schmal und groß und in der Mitte konvex und scharf in der Linie, wie denn überhaupt im ganzen Gesicht nichts Stumpfes zu entdecken war. Mund, etwas dicht zusammengepreßt, wodurch die Winkel noch spöttischer, jovialer, schäkernder wurden.

Die ganze Persönlichkeit machte den wohlthuendsten und edelsten Eindruck. Er sprach sehr ruhig, klangvoll und gemüthlich über alle mögliche Gegenstände mit uns und bemerkte in Bezug auf mich, es thue ihm sehr Leid, daß er Deutschland niemals gesehen und nichts von der Sprache Goethe’s, Humboldt’s, Jean Paul’s und Gutenberg’s verstehe. „Aber ich kann den Deutschen nie verzeihen, daß sie das Pulver erfunden haben“, setzte er mit der trockendsten Schalkhaftigkeit hinzu. „Ich säh’ es auch lieber, wenn sich alle Menschen und Völker blos mit den Waffen schlügen, deren Meister wir die Ehre haben, persönlich vor uns zu sehen“, versetzte ich. Die Unterhaltung lief nun wieder rasch durch Alt- und Neu-England, Nord- und Südamerika, die Sklaven- und die Fischereifrage, neuschottische Eisenbahnen, Literatur u. s. w., wobei ich nur bemerkte, daß sich der Schalk nicht die geringste Mühe gab, witzig zu erscheinen, daß aber seine harmlosen Fragen und Entgegnungen fast immer unwillkürlich etwas Epigrammatisches, Scharfsinniges und ungenirt Kurzes und Bündiges annahmen. Viel Komik lag dabei in einer Art von englischem Platt, das etwa mit „Keener“, „Nee“, „Appel“, „Boom“ u. s. w. im Deutschen zu vergleichen wäre. Aehnlich läßt er bekanntlich gern „Sam Slick“ selbst und seine Neger reden. „Sam Slick“ ist das personificirte und individualisirte Urtheil der Neu-Engländer in Canada über die eigentlichen Yankees und der schlaue, spekulative, durchdringende, furcht- und schonungslose Genius Amerika’s selbst, oder wie er selbst zu Ende seiner „Weisen Sprüche und modernen Zustände“ sagt: „Na also, Mr. Slick, ich sage Ihnen, ’S sind der Mann für mein Geld. Sprechen den meesten Sinn und den meesten Unsinn in der Welt. Spielen mit de Mächens, haben de Mannsleute zum Besten, schneiden uf nach der Uhr und sind ’n gebornes Schäkerken. Dabei sind S’ der Mann, dem man den Spruch gleich an der Nase ansieht: Bange machen gilt nich! und ’ne Macht, Ihn’n ’s Maul zu stoppen, is nich.“

Nachdem wir ziemlich eine Stunde mit diesem nicht bange zu machenden und nicht zu stopfenden personificirten Yankee-Humor gesprochen hatten, verabschiedeten wir uns. Ich erwähne nur noch, daß er uns die Entstehungsart seines neuesten Buches: „Weise Sprüche und moderne Zustände“ (vielleicht besser „Beispiele“) mittheilte. Er erhielt von der Regierung den Auftrag, die Fischereifrage in Neuschottland, Neubraunschweig und auf der Prinz Eduard-Insel an Ort und Stelle selbst zu untersuchen und darüber zu berichten. Er bekam außer sechs Dollars Diäten noch täglich sechs Dollars Reisegeld und ein eigenes Dampfschiff zu seiner Verfügung. Dabei ließ sich schon lustig sehen und schreiben. Seiner Gesandtschaft nach England verdanken wir die sarkastische, witzige Schilderung altenglischer Zustände in: „Ein Attachée oder Sam Slick in England.“ Er ist der einzige Diplomat, der lustige Bücher schreibt und die Wahrheit ungenirt sehr spitz heraussagt, statt sie abzustumpfen oder gar zu verbergen. Ist er schon als „Wanduhrmacher“ (er schrieb früher viel unter diesem Namen) in Deutschland bekannt?

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