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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

den gegen damals so unendlich vervollkommneten Transportmitteln, welche es möglich machen, dahin wo ein Mangel an den ersten Lebensbedürfnissen eintritt oder einzutreten droht, allemal sogleich in kürzester Zeit den Ueberfluß anderer Gegenden, anderer Länder, ja anderer Welttheile zu versenden. Wie ganz anders war dies vor hundert, vor fünfzig, ja noch vor zwanzig Jahren! Heut zu Tage können, wenn es nöthig ist, mittels der Eisenbahnen Tausende von Scheffeln Getreide binnen wenigen Tagen von einem Ende Deutschlands, ja des europäischen Festlandes, nach dem andern, mittels der Dampfschiffe in verhältnismäßig ebenso kurzer Frist vom schwarzen Meere in die Nord- und Ostsee, von Amerika nach Europa verfahren werden. Früher, als man noch keine Eisenbahnen, sondern nur etwa gute Chausseen hatte, brauchte man bei sechsmal so viel Zeit, als jetzt, zu diesem Transport. Auf dem Wasser war es dasselbe; bei widrigen Winden oder auf Flüssen, bei der Bergfahrt konnte man sich wochen- oder monatelang quälen, um eine Strecke zurückzulegen, die man jetzt in dem dritten oder vierten Theile dieser Zeit durchführt. So lange mußten also die Nothleidenden die sehnlich erwartete Zufuhr von Lebensmitteln entbehren, und ein Glück war es, wenn nicht noch gar diese letztern durch die lange Wasserfahrt zu Grunde gingen oder in einen verderbteren, der Gesundheit nachtheiligen Zustand geriethen. Nun aber vollends in jener frühern Zeit, wo es nicht einmal ordentliche Kunststraßen gab! Und das ist keineswegs so sehr lange her. Vor 70 Jahren war in den sämmtlichen preußischen Landen noch keine einzige Chaussee zu finden und selbst vor 40 Jahren gab es in den drei Provinzen Ost- und Westpreußen und Posen erst eine, sage eine Meile chaussirten Weg!

Man versuchte in früheren Zeiten oft, durch Magazinanstalten, durch strenge Anweisungen von oben her für einen rationellen Betrieb der Landwirthschaft, durch Getreideankäufe im Auslande auf Staatskosten, durch künstliche Regelung der Preise und andere dergleichen Maßregeln dem Eintreten von Lebensmitteltheurungen vorzubeugen oder die eingetretenen zu lindern. Man hat ähnliche Maßregeln auch neuerdings wieder von manchen Seiten in Vorschlag gebracht. Aber alle künstlichen Vorkehrungen vermögen zur Abstellung solcher Uebelstände viel weniger als die natürliche Entwickelung des freien Verkehrs, als die Vervollkommnung der Verkehrsmittel, des Transportwesens, der Straßen, der Eisenbahnen, der Kanäle, der Dampfschifffahrt, als die Beseitigung der künstlichen oder gewaltsamen Störungen dieses Verkehrs der Ausfuhrverbote, der Hemmungen der freien Schifffahrt, der Verwüstung ganzer Lander durch die Kriegsfurie, mit einem Worte also als die fortschreitende Kultur. In den civilisirten Ländern mag sich immerhin die Bevölkerung verdoppeln und verdreifachen – an Lebensmittelmangel oder gar an Hungersnoth ist deshalb noch lange nicht zu denken, wenn nur die täglich fortschreitende Kultur mit Hülfe einer vervollkommneten Technik immer neue Mittel und Wege auffindet, um die Erzeugnisse der verschiedenen Gegenden und Zonen der Erde gegen einander auszutauschen. Trotz der in den letzten fünfzig Jahren beinahe um die Hälfte gestiegenen Bevölkerung Deutschlands hat sich der Verbrauch dieser Bevölkerung an Nahrungsmitteln nicht vermindert, im Gegentheil in Bezug auf manche Arten der Nahrungsmittel vermehrt. Der Fleischverbrauch z. B. betrug im Jahre 1806 erst 33 Pfund auf jeden Einwohner Preußens, im Jahre 1849 aber schon 40 Pfund; an Getreide rechnen manche Statistiker jetzt noch einmal so viel als früher auf den Kopf. – Andere freilich meinen, der Verbrauch dieses Artikels sei sich seit beinahe fünfzig Jahren so ziemlich gleich geblieben, jedenfalls hat er sich nicht verringert, und dazu kommt jetzt ein, vor hundert Jahren noch sehr wenig benutztes, jetzt beinahe in jeder Haushaltung als unentbehrlich geschätztes, für die ärmeren Klassen oft alle anderen ersetzendes Nahrungsmittel, die Kartoffel. Auf alle Fälle können die sich beruhigen, welche jeden neuen Fortschritt der Kultur mit Angst betrachten, weil sie meinen, die immer raschere Vorwärtsbewegung der Menschheit sei im Grunde doch nur ein Schwindel, der dieselbe in Bezug auf wahres Wohlbefinden und Lebensbehagen weit mehr zurück als vorwärts bringe. Es läßt sich mit Zahlen nachweisen, (wie theilweise in dem Vorstehenden geschehen ist[1], daß die Menschen heutzutage, und zwar auch die unbemittelteren Klassen, im Durchschnitt besser leben, reichlichere Nahrung haben, gesünder wohnen, sich behäbiger kleiden können, daß Theuerungen und Nothstände, wenn sie auch noch immer nicht ganz den Völkern erspart werden können, doch seltener sind und viel weniger Verheerung anrichten, daß für die Nothleidenden besser gesorgt wird und besser gesorgt werden kann, als ehedem, und daß man keinesfalls jetzt Hunderttausende von Menschen vor Hunger und Entbehrung umkommen läßt, wie in der vielgepriesenen „guten alten Zeit.“

C. B. 




Amerikanische Briefe.
III. Neu-Schottland. (Schluß.)

Reise nach Windsor. – Annapolis. – Rückkehr nach Halifax. – Besuch bei Sam Slick. – Dessen Persönlichkeit. – Sam Slick’s Charakteristik eines Yankee.

Um die Halbinsel im Innern näher kennen zu lernen, unternahm ich Landkutschen-, Wasser- und Fußreisen, um bis Annapolis und St. Johns vorzudringen. Ein rohes, altes Ungeheuer von Landkutsche brachte mich zunächst in das 45 englische Meilen entlegene Windsor durch rohe Natur und Felsen, weidendes Vieh, weiße Landhäuser, an Flüssen, Höhlen, wilden Weinlabyrinthen, Kürbissen und Indiokornfeldern vorbei, ohne beim Essen unterwegs jemals etwas von Bier oder gar Branntwein zu sehen. Windsor ist im Kleinen, was Halifax im Großen, doch Alles mehr eben, niedlicher, gemüthlicher, besonders durch die vielen zerstreuten Landhäuser, Bäume in den Straßen und den Fluß Avon, der hier sich mit einem andern vereinigt und bis in die Minen-Bay schiffbar wird. Als ich hier geschlafen, fragte ich das Landhaus, die eigentliche Wohnung des lustigen „Sam Slick“, aus. Doch von diesem Besuch will ich ja besonders sprechen.

In Windsor mit seiner Universität und vierzehn Studenten, Unter-Horton, Wolfville, Kentville, Cornwallis und anderen Orten, die alle denselben Charakter tragen, nur daß Alles allmälig kultivirter ringsum aussieht, will ich mich auch nicht weiter aufhalten; es verdient Cornwallis mit seiner herrlichen Ebene, die als die fruchtbarste in ganz Neuschottland gilt, ein Paar Worte. Die ganze Ebene ist dem Wasser (der Fundy-Bay) durch ungeheuere Dämme abgetrotzt worden, welche die ersten Colonisten, die Franzosen, im großartigsten Style angelegt hatten. Als die größte Merkwürdigkeit des Landes gilt der Wellington-Damm, 30 Fuß hoch und ebenso dick von Erde und Reisholz, mit glücklichem Erfolg den Angriffen des Weltmeeres als eine der praktischsten, modernen Fortifikationen entgegen gemauert. Das so geschützte „Damm-Land“ bildet hier den Maßstab für den Reichthum der Farmer. Dieser dem Meere abgewonnene Boden ist so fruchtbar, daß er seit einem Jahrhundert ohne Dünger die reichlichsten Ernten liefert. Freilich thut eine Art Erdflöhe dem Weizen viel Schaden, so daß man mit großem Nutzen angefangen hat, Kartoffeln zu bauen, die in ungeheuern Massen nach Nordamerika ausgeführt werden. Farms mit solchem Dammland werden hier mit 30 bis 50 Pfund (200 bis 400 Thaler) auf jeden Acker verkauft und sind immer leicht zu haben, da die Besitzer den Wechsel sehr lieben, so gut sie sich auch stehen.

Nur die eigentlichen Boden-Eigenthümer (die meisten andern stehen noch in feudalistischer Abhängigkeit, wie sie von den ersten Herren Canada’s, den Franzosen, eingeführt ward) lieben ihren Boden und ihre schöne gebildete Heimath in ganz fein-studirt eingerichteten Villa’s, wo Speise-, Besuch- und Studirzimmer und schöne, kleine Equipagen die Freunde und Nachbarn gar oft zu schönen, geselligen Freuden vereinigen. Sie haben über nichts zu klagen, über keine Polizei, keine Steuern, Landräthe und Soldaten; doch auch sie schimpfen auf eine Regierung, nämlich die nordamerikanische, welche allerdings den ziemlich dummen Streich gemacht


  1. Ausführlichere Nachweisungen über diese und ähnliche Verhältnisse findet man in dem unlängst erschienenen kulturgeschichtlichen Werke von C. Biedermann: „Deutschlands politische, materielle und sociale Zustände im 18. Jahrhundert.“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_378.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)