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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Alfred mußte die Sicherheit, Unbefangenheit und natürliche Würde bewundern, mit welcher sie sich darstellte. Auf die ungezwungenste Weise grüßte sie und bot sie den jungen Männern Plätze an.

„Womit kann ich dienen?“ frug sie mit einer vollklingenden Stimme.

Alfred blieb im Anschauen der holden Erscheinung versunken, so daß er gar nicht daran dachte, irgend etwas zu sagen. Sein Gefährte jedoch begann mit geläufiger Zunge: „Wir haben von Ihren Talenten und Ihrer Schönheit gehört, mein Fräulein, und wir hegen den lebhaften Wunsch, unter Ihre Jünger aufgenommen zu werden, damit auch wir Ihren Ruhm verbreiten helfen. Und wenn die Verehrung für den Meister auf den Schüler wirken muß, so – –“

„Ich ertheile Unterricht in Sprachen, Musik und Kalligraphie“, unterbrach mit kaum merklicher Schärfe Adele zur nicht geringen Verlegenheit des jungen Weltmannes, der, wie es Alfred vorkam, erröthete. Nach dieser zurechtweisenden Erklärung schwieg das Mädchen, als erwartete sie nun eine einfachere Andeutung von den beiden Herren über den Zweck ihres Besuches. Und Alfred sagte bescheiden mit gedämpfter Stimme: „Wollen Sie so gütig sein, mein Fräulein, mir in der italienischen Sprache nachhelfen?“

„Und mir, worin Sie selber wollen, Fräulein; ich lasse Ihnen vollkommen die Wahl. Was Sie mich auch lehren, es kann für mich nur vortheilhaft sein“, sagte Theophile Lamon in einem einschmeichelnden Tone, nachdem er sich von seiner Betroffenheit erholt.

„Ich habe noch zwei Stunden der Woche frei“, versetzte die Meisterin zu Alfred gewendet, „und die stehen Ihnen zur Verfügung. Was die Bedingungen betrifft, finden Sie dieselben auf diesem kleinen Programme angegeben.“ Bei diesen Worten überreichte sie Alfred ein Blättchen gedruckten Papiers.

„Und mich lassen Sie leer ausgehen? Nicht doch, mein Fräulein“, bat Lamon und glaubte sich unwiderstehlich. „Sie glauben gar nicht, wie mir eine Verbesserung der Handschrift nach der neuen Methode Noth thut. Alle Welt beklagt sich über die Unleserlichkeit meiner Briefe.“

„Es thut mir recht leid“, entschuldigte höflich Adele; „es sind für den Augenblick all meine Stunden besetzt. Und nun verzeihen Sie, meine Herren“, setzte sie lächelnd hinzu, „die kleinen Wißbegierigen da drinnen fordern meine Gegenwart.“ Sie grüßte anmuthig, wie etwa eine Königin, die sich aus ihrem Rath zurückzieht, und verschwand in dem anstoßenden Gemach.

„Zum Entzücken ist dieses Weib; doch es will mich fast bedünken, daß sie wirklich tugendhaft ist“, ließ sich Theophile vernehmen. Alfred sagte nichts. Die beiden jungen Männer verließen die Wohnung der Lectionsgeberin.


II.

Von Orleans zurückgekehrt, erhielt Arnold aus dem Munde des Freundes eine so lebhafte Schilderung der schönen Lehrmeisterin, daß sie der Besonnene, wie natürlich, übertrieben schalt.

„Uebertrieben“, versetzte Alfred, „sind die Vorzüge dieses Mädchens, aber keineswegs die Darstellung derselben.“ Und es gab für ihn nun zwei Festtage jede Woche: Dienstag und Freitag, ohne Unterschied des Kalenders, oder eigentlich zwei Feststunden an diesen Tagen, wenn er Unterricht in der italienischen Sprache nahm. Und wie gelehrig war er. Alles, was die Meisterin während der Stunden sagte, selbst was keinen Bezug auf die Sprachwissenschaft hatte, behielt sein Gedächtniß fest. Wie konnte es da fehlen, daß die Meisterin mit dem lernbegierigen Schüler zufrieden war! Und es geschah wahrscheinlich, um ihn für Fleiß und Aufmerksamkeit zu belohnen, daß sie ihm einen Abriß ihres Lebens erzählte. „Ich bin die Tochter eines redlichen Kaufmannes zu Paris, und von beiden Aeltern verwaist“, erzählte sie. „Die Mutter verlor ich als ein Kind von zehn Jahren. Ich war alt genug, um aufs Tiefste den Verlust zu fühlen. Ich ward in eine Pension gethan, da mein Vater, von seinem Geschäft in Anspruch genommen, keine Zeit übrig behielt, um sich mit meiner Pflege und Erziehung zu befassen. Uebrigens liebte mich der treffliche Mann aufs Zärtlichste und that nach seinen Kräften Alles, was meinem Bruder Thomas und mir Nutzen oder Vergnügen gewähren konnte. Vor zwei Jahren folgte er, durch ein Nervenfieber hinweggerafft, der Mutter in’s Grab, und hinterließ uns ein mäßiges Vermögen und ein Geschäft, das gut im Gange war, und das mein Bruder weiter führen sollte. Thomas, durch das pariser Leben zu unbegrenzter Habgier gespornt, verfiel dem Börsenspiel, ließ das Geschäft zu Grunde gehen, verlor sein Vermögen und wußte mir, der ich dieser Dinge ganz unkundig war, auch das Meinige zu entlocken, um es ebenfalls in den finstern Schlund der Börse zu werfen. Was wußte er mir Alles vorzuspiegeln von glänzenden Aussichten und gewinnbringenden Spekulationen. Bald hatte er sich in eine große industrielle Unternehmung eingelassen, bei welcher sich der goldene Ertrag mit mathematischer Gewißheit erwarten ließ. Bald hatte er durch Bankerotte mit ihm in Geschäftsverbindung stehender Häuser Verluste erlitten, und ich sollte aushelfen. Kurz, es gelang ihm, das Vermögen der Unerfahrenen durchzuschlagen. Ich lebte während dieser Stürme bald bei meiner Tante in Montpellier, bald bei meinem Bruder in Paris, je nach den unglücklichen oder glücklichen Schwankungen des Spiels.

„Was war Thomas früher ein guter, hübscher Junge, und wie hat ihn das unselige Gewerbe physisch und moralisch zerstört! Bald konnte er sich vor Glück und bald vor Unglück nicht fassen. Er ist nur um fünf Jahre älter als ich und schon ein Greis mit Runzeln und grauen Haaren. Wenn er mich nun besucht, um sich Geld für seinen Unterhalt zu holen, und mich arbeiten sieht, weint er wie ein Kind und ich muß ihn noch trösten, ob er gleich selbst die Schuld an unserer Verarmung trägt. Als er mir vor fünf Monaten nach Montpellier schrieb, daß er nicht nur das Letzte verloren, sondern nach einer großen Bewegung auf der Börse – das erste Mal gestand er die Laufbahn, welche er eingeschlagen, auch die Differenzen, wie sie das heißen, nicht bezahlen könne, und daß ihm nichts Anderes übrig bleibe, als sich in die Seine zu stürzen, um der Schande und dem Hunger zu entgehen, eilte ich nach Paris, um ihn zu retten, und ich entschloß mich zu der Thätigkeit, von welcher Sie mich in Anspruch genommen sehen, und die mehr als hinreichend ist, uns Beide zu versorgen.“

Ist es nöthig zu bemerken, daß Alfred ganz glücklich durch das Vertrauen war, welches die Meisterin durch die Erzählung ihrer Geschichte ihm schenkte?

Es dauerte nicht gar lange, so kam er auch außer den Unterrichtsstunden, die übrigens diesen Namen zu verdienen aufgehört, zum Besuch in die Wohnung Adele’s und er durfte sich schmeicheln, denn es war zu sehen, daß er stets willkommen war, und daß er von den jungen Männern, mit denen die Meisterin durch ihren Beruf in Berührung kam, am Meisten begünstigt war. Ein einziger Mann, der ebenfalls mit Adelen im nähern Verkehr stand und zu ihrem Umgang gehörte, mochte hie und da die Eifersucht Alfred’s erregen. Dieser Mann war ein russischer Graf, Namens Worsakoff, der Schwester von dem Bruder vorgestellt und sehr angelegentlichst empfohlen. Der Russe war ein Mann in den Dreißigern, viel gereist, von feinem Benehmen und männlicher Haltung, der, wie sich aus seiner Art zu leben schließen ließ, über große Reichthümer verfügte.

Arnold erfuhr von dem Freunde Alles, was diesen erfreute oder beunruhigte; doch entschlüpfte ihm niemals ein Urtheil, weder ein tadelndes noch ein billigendes über diese Angelegenheit, wahrscheinlich, weil er diese Bekanntschaft zu denen zählte, die man eben so rasch abbricht, als man sie angeknüpft. Als ihn aber Alfred eines Tages von seinen ernsten Absichten in Bezug auf die Lehrmeisterin Eröffnungen machte, da glaubte der besonnene Mann seine Ansicht über den Gegenstand nicht länger zurückhalten zu dürfen und erhob Einwendungen gewichtiger Art.

„Mein Freund“, sprach er, „Du willst dem Irrlicht Deiner aufflackernden Leidenschaft folgen und denkst nicht daran, daß dergleichen Gestirne in den Sumpf, aber niemals an ein erwünschtes Ziel führen. Wer ist Mamsell Adele? Ist sie eine passende Lebensgefährtin für Alfred Duberville? Du kennst sie ja gar nicht. Und was von ihr bekannt, ist für eine dauernde Verbindung wahrlich nicht empfehlend.“

„Wir haben unsere Herzen einander geöffnet, wir haben unsere Gefühle einander bekannt. Ich habe tief in ihr Innerstes geschaut“, versetzte Alfred mit Begeisterung.

„Das Herz ist ein schlechtes Auskunftsbureau, mein Lieber“, gab Arnold zurück, „und die Gefühle sprechen häufig, was man ihnen dictirt. Und es handelt sich auch nicht um das allein. Ruf,

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