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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

dem Haare packend, schleuderte er sie heftig auf den Boden und schlug dann mit geballten Fäusten auf sie los, daß ich glaubte, er müsse ihr jedes Glied am ganzen Leibe zerbrochen haben. Die Tochter hatte sich mittlerweile wieder geflüchtet und nachdem die Mutter ihre Prügel weg hatte, stand sie auf und murmelte etwas, was dem alten grimmigen Hausherrn wieder nicht gefiel und wofür er ihr noch eine furchtbare Ohrfeige versetzte, so daß sie bis an das andere Ende der Hütte taumelte.

„Dieses letzte Argument war entscheidend und sie hielt nun ihren großen Mund. Es trat vollkommenes Schweigen ein und wir legten uns, ohne daß weiter ein Wort gewechselt ward, zur Ruhe nieder. Mir kam es vor, als wenn während der Nacht den alten Heiden das Gewissen plagte, denn sein Schlaf war ein sehr unruhiger. Zeitig am nächsten Morgen begab er sich nach der Wohnung des neuverheiratheten Paares und hatte mit demselben eine lange Unterredung, in deren Folge sehr schnell ein besseres Einverständniß herbeigeführt ward, denn noch im Laufe desselben Tages kehrten die jungen Leute mit Sack und Pack in die Hütte des alten Häuptlings zurück, um hier ihren dauernden Aufenthalt zu nehmen.“


Das Portrait. (Eine Skizze treu aus dem Leben.) Ludwig Tieck, dessen gemüthvolle und prunklose Gastfreundschaft die berühmtesten Künstler und Gelehrten Dresdens in seinen Salon versammelte, und welcher mehrere Abende der Woche so gern die Meisterwerke Goethe’s und Shakespeare’s selbst vorlas und durch seinen gediegenen Vortrag den Anwesenden eben so geistiggenußreiche, als heitere Stunden schuf, erlitt einst durch die Neugierde und Kurzsichtigkeit seines alten Freundes, des Hofraths Bötticher, welcher nun auch schon längst heimgegangen ist, eine Kränkung, durch welche zwischen Ludwig Tieck und einem ihm lange Jahre befreundeten Schriftsteller eine Feindschaft entstand, die nie wieder zur Versöhnung führte. – Ein junger talentvoller Maler, welcher von einer Kunstreise aus Italien zurückgekehrt war, befand sich auf Tieck’s freundliche Einladung, zum ersten Male in einem der kleinen Salonzirkel, in welchem Fräulein Dorothea, Tieck’s geliebte, nun ebenfalls verstorbene Tochter die Honneurs auf so anmuthsvolle herzliche Weise zu machen verstand. Der größte Theil der anwesenden Damen gehörte den beliebtesten und berühmtesten Schauspielerinnen des königlichen Hoftheaters an, und von diesen wurde der junge Maler bestürmt, seine Reiseabenteuer zu erzählen.

„Also in den Abruzzen waren Sie auch?“ frug die eben so liebenswürdige als geistreiche Caroline Bauer. „Sind Sie da nicht calabresischen Räubern in die Hände gefallen?“

„O, zu zwei verschiedenen Malen,“ entgegnete der junge Künstler.

„Wie, unter Räuber sind Sie gerathen?“ frugen die Damen neugierig. „O bitte erzählen Sie, hat man Sie ausgeplündert, war Ihr Leben in Gefahr?“

„Das eben nicht,“ lächelte der Maler, „selbst meine Börse blieb verschont, nur mußte ich zwei Tage in den Schlupfwinkeln dieser Banditen zubringen, bis ich das Portrait ihres Hauptmanns vollendet hatte, von welchem jedes Mitglied der Bande eine Zeichnung haben wollte.“

„Und hatten Sie dazu die nöthige Fassung?“

„Warum nicht, diese Räuber behandelten mich sehr achtungsvoll und störten mich nicht im Geringsten, nur war der Hauptmann selbst ein verteufelt unruhiger Patron, dem das Stillsitzen sehr schwer ankam.“

„Aber das Portrait gelang?!“

„Meisterhaft!“ lachte der junge Maler.

„Und Sie sind noch im Besitz einer Zeichnung desselben?“

„Ja wohl; hier ist es!“

Mit diesen Worten reichte der Maler den Damen ein kleines Bild, welches das Miniaturportrait des Räuberhauptmanns vorstellte.

„Ha, wie entsetzlich! O welche Wildheit in dem Blicke dieses Tigerauges, welch’ abscheulicher Zug roher Sinnlichkeit! Nein, das ist ein Scheusal!“ so tönte es aus dem Kreise der Damen, durch deren Hände jetzt das Bildchen ging.

„Was giebt’s denn da, was habt Ihr denn da, Kinderchen?“ frug der alte Hofrath Bötticher durch diese Exclamationen der Damen neugierig gemacht, und Ludwig Tieck verlassend, mit welchem er sich unterhalten, trat er dem Maler näher. „Wem sieht dies Portrait ähnlich, Herr Hofrath?“ frug jetzt einer der Anwesenden, welcher mit Bötticher und Tieck scheinbar eng befreundet war.

„Dies Portrait hier?“ frug Bötticher zurück und blickte etwas verlegen bald auf den Frager, bald nach Ludwig Tieck; denn seiner Kurzsichtigkeit entging jeder Zug der Zeichnung desselben.

„Ja dies Portrait!“ wiederholte der Erstere und nickte dem Hofrath lächelnd zu.

„Ah, das ist unser guter alter Tieck!“ rief Bötticher, welcher von dem vorhergehenden Gespräche kein Wort gehört hatte und der festen Ueberzeugung war, daß der junge Maler denselben in Eile portraitirt und sehr gut getroffen habe.

„Ei, ei, Hofrath!“ kicherten die Damen. „Das ist stark. Einen Räuberhauptmann aus den Abruzzen mit unserm edlen Gastfreund zu vergleichen, des verzeihen wir Ihnen nie.“

Das Gelächter wurde allgemein, auch Ludwig Tieck stimmte mit ein, der Hofrath Bötticher aber warf dem Frager einen bitterbösen Blick zu und schlich sich ärgerlich über den ihm gespielten Streich fort.

Aber zwischen Tieck und dem ihm bisher anscheinend so genau befreundet gewesenen Schriftsteller, welcher Bötticher’s Kurzsichtigkeit zu einem solch fatalen Mißverständniß verleitet hatte, begann von diesem Lage an eine Feindschaft, die durch ernstere Auftritte immer heftiger wurde und zuletzt zu gegenseitigen Schmähschriften führte, in welchen sich beide Männer unter dem Mantel der Anonymität auf das Schonungsloseste geißelten.


Haschisch-Trunkenheit. Die asiatischen Türken, besonders die Syrier, besitzen in dem Haschisch, ein von ausgetrockneten Blättern der Pflanze Cannabis Indica bereiteten Masse, das mächtigste Nerven- und Phantasie-Reizmittel. Schon die Sarazenen begeisterten sich durch Haschisch zum Kampfe gegen die Kreuzzügler. Von den Indiern als „Bang“ getrunken, ruft es eine Art Tollheit hervor, die unter den Malaien oft in „Mordläufe“ durch die Straßen ausbricht. Von den arabischen Hachachim oder Haschischessern kommt das Wort assassin: Attentäter her. Die Türken genießen den Haschisch in der milderen Form von Zuckerplätzchen, in welchen er zu den wollüstigen Phantasien und Träumen des Orients anregt, ohne so zerstörend zu wirken, wie Opium. Ein Amerikaner, der unlängst in Damaskus versuchsweise gleich für sechs Mann Haschisch aß, beschreibt die Wirkung unter anderem so: Nachdem ich Haschisch in milder Form genommen, in welcher er mich mit dem Gefühle der geistvollsten Lustigkeit und Leichtigkeit und der schärfsten Wahrnehmung für alles Lächerliche erfüllte, aß ich in Damaskus reinen Haschisch. Die Magenhöhle fing an zu brennen, jedes Gefühl von Körper und Schranke hörte auf, in Luft und Licht aufgelöst, verlor ich ganz die Vorstellung, daß ich eine beschränkte Gestalt habe. Das Blut durchlief unzählige Meilen, die Luft, die ich athmete, dehnte sich aus zu Seen klaren Aethers, und in dem zum ganzen Himmelsgewölbe ausgedehnten Kopfe wogten unergründliche blaue Tiefen und leuchtende Wolken und in ihrer Mitte die Sonne. Ich war allgegenwärtig, umfluthet von einem Lichtmeere auf welchem die reinsten lichtgebornen Farben spielten. Dann befand ich mich auf der Pyramide des Cheops, aus lauter Tabaksblättern erbaut. Ich verfiel in einen förmlichen Lachkrampf über diese neue Form der ältesten Baukunst. Nun fuhr ich in einer Barke von Perlemutter und Juwelen über Tausende von Meilen durch ächten Goldsand der Wüste ohne Anstoß und geräuschlos, umwogt von Musik, Licht und Duft, nach Regenbogen mit Edelsteinen besetzt, durch Wölbungen von Ametysten, Smaragden, Tobas und Rubinen. Die Geister des Lichts, der Farbe, des Geruchs, des Schalls und der Bewegung waren meine Sklaven: ich war Herr des Universums, Erbe der Schöpfung. Die fünf Minuten dieser Vision dehnten sich zu Jahren des Entzückens und ununterbrochener Fülle von Genüssen aus. Später kamen zauberische Landschaften in üppiger Fülle von Blüthen und Früchten. Dabei lebte ich stets zwei Wesen, das körperlich aufgelöste und mein nüchternes Ich zugleich. Ich verlor nie ganz das Bewußtsein, daß ich zugleich blos im Zimmer sitzen und an den Wirkungen des Haschich leide. Später wurde es freilich heller. Mein nüchternes Ich verwandelte sich in weiche Gallerte; ich quälte mich in den lächerlichsten Anstrengungen ab, meinen zerfließenden Körper in eine Form zu pressen. Zugleich lachte ich über meine Verzerrungen, daß mir die Augen übergingen. Jede Thräne ward zu einem Brode, die sich um den Bäcker im Bazar so aufhäuften, daß ich ausrief: Der Mensch wird ersticken, aber ich kann nicht an mich halten. Zuletzt ward ich von einer aus dem Magen glühenden Angst gepackt, daß ich Bewußtsein und Verstand auf die Dauer verlieren werde. Während ich kreischend bat, man möge mich von dem Dämon erlösen, sprang mein Freund mit einem Lachkrampfe auf und rief: „Ihr Götter, ich bin eine Locomotive!“ Und so benahm er sich auch Stunden lang seiner neuen Gestalt gemäß. Er paustete den Athem wie Dampf aus und drehte fortwährend die Arme, wie die Kurbeln an den Maschinenrudern, indem er stets im Zimmer umherlief. Nach Mitternacht stellten sich die schrecklichsten Wirkungen der sechsfachen Dosis ein. Das Blut tobte mir und quoll aus den Ohren. Ich litt in entsetzlichster Todesqual. Der letzte Rest des Willens, gegen den Wahnsinn zu kämpfen, schwand und ich warf mich voller Verzweiflung auf’s Bette. Einwohner der Stadt, die uns bewacht hatten, erzählten uns später, daß unsere Seligkeit fünf Stunden gedauert und ich sechs Mal mehr genommen, als zum Lachen gehöre. Man hat nämlich Dosen „zum Lachen“ und Dosen „zum Schlafen“. Nur durch Reisen und Bäder konnte ich langsam mein zerrüttetes Nervensystem wieder herstellen. Die „Locomotive“ befindet sich auch wohl. Ein Engländer, der auch mit uns experimentirte, hatte sich von dem Augenblicke an, als er die Wirkungen spürte, fest in seinem Zimmer verschlossen und dem Diener einen Eid abgenommen, nie zu verrathen, was er für Visionen gehabt. Ganz John Bullisch. Wahrscheinlich hat er ungeheure Plum-Buddings, riesige Rostbeefs und Säcke voll Geld gesehen.“ – Dieser penetranteste, alle Tiefen den Nervenlebens und der Phantasie-Plastik aufrufende Pflanzensaft mag in den Händen des Arztes noch einer schönern Mission fähig sein, als bisher im Oriente. Vorsicht, Erfahrung und Wissenschaft können ihn zu einem Heilande gegen die schwersten, schmerzhaftesten Krankheiten erheben, in welchen oft das viel schwerere und angreifendere Opium gegeben wird.




Fürst Blücher und die gelehrten Kriegsgefangenen. Vor dem Einmarsche der alliirten Truppen in Paris, 1815, war das Hauptquartier des Fürsten Blücher nach St. Cloud verlegt, und das eigentliche Hauptquartier hatte das prachtvolle und geräumige kaiserliche Lustschloß in Besitz genommen, während die Truppen die Stadt im eigentlichsten Sinne überfüllten, so daß außer den Lieferungspassionen selbst für Geld kaum etwas zum Essen zu bekommen war.

In der kaiserlichen Bibliothek, welche die besondere Aufmerksamkeit der Offiziere des Generalstabs erweckte, fanden dieselben mehrere sehr kostbare und zum Theil höchst seltene Werke, die sie sich zuzueignen wünschten, ohne dies jedoch zu wagen. Einer von ihnen aber faßte sich ein Herz, und theilte dem Fürsten seinen und seiner Kameraden Wunsch mit.

„Bücher?“ sagte Blücher auf seine gewohnte derbe Weise; „Sie stehen in Reihe und Glied und sind also Kriegsgefangene.“

Der Wink ging nicht verloren und viele Kriegsgefangene wurden zu ewiger Gefangenschaft abgeführt, ohne daß jemals an ihre Auswechselung oder Freigebung gedacht worden ist.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_368.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)