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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Gefrierpunkt, noch schlimmer, als Gefrierpunkt im ganzen Saale. Und das nennen die Leute erschütternde Wirkungen. Wie gewissenlos, eines Kameraden Willen der großen Leistung ehrlicher Leute, die ihr Fach verstehen, das Verdienst abzusprechen! Können Sie sich etwas Unwürdigeres, als so einen Vorgang denken. Ich habe zwar Herrn Ponsard die Wahrheit gesagt; es ist aber zu fürchten, daß er von Eitelkeit verführt, diesen Leuten ohne alle Sachkenntniß, mehr glaubt, als einem von meiner Erfahrung, ob ich gleich im Feuer gestanden und wissen muß, wie heiß es herging. – So wird einem alle Freude an Arbeit und Erfolg verleidet.“

Der Angeredete antwortete nicht, und der Entrüstete, nachdem er eine Weile weiter gelesen, begann wieder: „Hören Sie nur, was da geschrieben steht: „Das Publikum im Theater français ist so fein gebildet, hat an so viel Meisterwerken sein Urtheil zu schärfen Gelegenheit gehabt, daß ihm keine einzige Schönheit einer dramatischen Dichtung entgeht, und daß jedes gut angewendete Wort, jeder schöne Gedanke ohne jedes weitere Kunstmittel die Empfindung trifft und Beifall hervorruft, wie sich das an Herrn Ponsard’s Charlotte Corday deutlich genug erwiesen.“

„Wie kann man nur die Stirn haben, so unverschämt zu lügen und die Wahrheit zu entstellen“, rief Herr Porcher mit zornglühendem Gesichte und in einer Erregung, die ihm sichtlich durch alle Glieder zuckte. „Dieses gebildete Publikum am Theater français ist wie von Stein, alle Wörter und Gedanken der Welt gewinnen ihm oft kein Zucken der Wimpern ab. Und ich weiß es am Besten, wie wenig die Verse in der Charlotte Corday ausgerichtet. – Die Leute blieben erwartungsvoll auf ihren Bänken sitzen, und sahen dem Effekt entgegen, der nicht kam. – In der Lucretia ging es wenigstens am Ende los; diese Charlotte bringt keinen Pulsschlag, geschweige denn eine Hand in Bewegung. Ich habe es meinem Freunde Ponsard aufrichtig gesagt, denn es ist nicht meine Sache, hinter’m Berge zu halten; hätte er sich von Dumas einige Scenen hineinmachen lassen, dann wäre es freilich leichter gegangen, aber zu so einem Anlehen sind die Herren zu stolz. – Ich sagte meinem Freund Ponsard, wenn sich ein Staat nicht schämt zu borgen, brauchen Sie sich auch nicht zu schämen, wenn es sich nun einmal um einen nothwendigen Bedarf handelt. Herr Ponsard hätte noch den Vortheil, daß er keine Interessen bezahlen müßte, wie Herr von Rothschild sie fordert. Meine Vorstellungen halfen nichts, Herr Ponsard bestand darauf, von seinem eigenen Einkommen die Auslagen zu bestreiten. Es wurde so viel als möglich nachgeholfen; das sollte zum Mindesten anerkannt werden. Mit Herrn von Larmartine war’s derselbe Fall, als er seinen „Toussaint Louverture“ zur Ausführung brachte. Was hilft’s, daß Herr von Lamartine ein Mann von Genie ist, wie allgemein behauptet wird? Auf die Rampen versteht er sich so wenig wie auf’s Regieren, und er könnte sehr gut bei Herrn Bayard in die Schule gehen, ich meine nicht etwa bei dem Ritter ohne Furcht und ohne Tadel, sondern bei dem Bandevilledichter mit viel Furcht und vieler Bühnenkenntniß. – Als ich eine Probe des Toussaint Louverture angesehen, sagte ich Herrn Lamartine: Monsieur, dem Ding fehlt viel, um Glück zu machen.“

„Was zum Beispiel?“ frug mich Herr von Lamartine stolz lächelnd, wie Jemand, der sich seiner Ueberlegenheit über den andern vollkommen überzeugt ist.

„Nicht weniger als Alles“, gab ich darauf zur Antwort, da mich dieses Lächeln ärgerte; denn ich brauche Herrn von Lamartine nicht, sondern er braucht mich. – „Es hat keinen Zündstoff“, setzte ich hinzu, „und stände auf dem Anschlagezettel ein anderer Namen, als der Ihrige, würde das Stück ausgegähnt.“

„Das ist schlimm“, versetzte Herr von Lamartine, ernstlich den Kopf schüttelnd.

„Sehr schlimm!“ antwortete ich. „Was hilft es Ihnen, daß Ihre Freunde und Verehrer in den Zeitungen posaunen, wenn die Bänke täglich leerer werden. Glauben Sie mir, ich weiß, was durchzusetzen ist, aber diesem Toussaint hilft keine Menschenmacht über die dreißigste Vorstellung hinüber.“

„Ja, was ist zu thun, mein lieber Porcher?“ frug nun der berühmte Dichter, ohne im Mindesten zu lächeln. Das söhnte mich aus und ich gab zur Antwort: „Versuchen Sie Scenen hineinzubringen, vor denen sich das Publikum fürchtet, dann haben sie gewonnenes Spiel. Herr von Lamartine hat meinen Rath nicht befolgt und sein Toussaint Louverture liegt im Theaterarchiv verscharrt, und wie viel Aufwand an Klugheit und Mühe es gekostet, um ihn sein kurzes Leben mit Ehren durchmachen zu lassen, weiß ich am Besten. Denen Dank gebührt, hat Niemand gedankt. Ich sollte an diese Ungerechtigkeit der Welt gewöhnt sein; allein ich kann sie nicht verwinden.“

Meine Neugierde war zum Höchsten gestiegen, als ich dieses Alles hörte. Wie ich auch grübelte, ich vermochte keinen Stand ausfindig zu machen, auf den dieses Alles, was der Unbekannte sprach, gepaßt hätte. Ich riskirte, da sich Herr Porcher entfernt hatte, die Frage, was er denn eigentlich treibe, die ich an den Mann richtete, welcher unmittelbar mit den angegebenen Erörterungen beehrt wurde.

„Er ist der erste und ausgezeichnetste Chef der Claqueurs von Paris“, erhielt ich zur Antwort.

„Hat diese Kunst auch ihre Grade, ihre Talente und Berühmtheiten?“ frug ich spöttisch weiter.

„Das will ich meinen“, erwiederte mit allem Ernst der Befragte, ein Sänger der komischen Oper, „und seien Sie gewiß, daß es Herrn Porcher Niemand gleich thut.“

„Unglaublich!“ rief ich aus.

„In welchem Lande sind Sie denn zu Hause?“

„Ich bin ein Deutscher, Monsieur.“ – „Ist bei Ihnen ein Claqueur wie der andere?“

„Bei uns wird diese Profession als solche gar nicht getrieben“, versetzte ich. „Ein Schauspieler oder dramatischer Dichter sorgt wohl hie und da dafür, daß gekaufte oder sonst wie gewonnene Gönner seinen Abendtriumphen nachhelfen; man würde aber in Deutschland unendlich darüber lachen und gewiß auch sich ärgern, wenn man, wie hier, eine organisirte Claque im Parterre beisammen sitzen sähe, die gar kein Hehl von ihrer Absicht nacht, die nach Vorschrift, bei bestimmten bezeichneten Stellen in die Hände klatscht, und oft einen Enthusiasmus an den Tag legt, der dem gesammten übrigen Publikum fremd bleibt. Dieses Publikum im Publikum würde bei uns einen Widerstand hervorrufen, der leicht in Beleidigungen ausarten könnte.“

„Seltsam und bedauerlich“, meinte der Sänger. „Dann freilich können Sie nicht gut begreifen, welche Verdienste Herr Porcher um dramatische Kunst und Künstler besitzt. Manche Berühmtheit von heute wäre ohne seine Mitwirkung verkannt, mancher Emporgekommenn wäre verborgen geblieben, manche Leistung wäre ohne Herrn Porcher der Abschluß einer Wirksamkeit gewesen, der die Welt Verdienstliches zu verdanken hat.“

„Trifft denn das nicht ein Jeder so gut, wie Herr Porcher, in die Hände zu klatschen?’

„Gewiß nicht. Niemand weiß wie er das rechte Maß zu halten, den rechten Augenblick zu treffen, nicht mehr zu thun, als zulässig, nicht weniger, als erforderlich. Viele verderben durch schlecht angewendeten Eifer, indem sie durch Uebertreibung zu Gegendemonstrationen herausfordern, oder unterstützen zu lässig, wo lebhafte Nachhülfe am Platze wäre. Kurz, Herr Porcher ist ein Meister in seiner Kunst, und nur seinen Händen kann man einen Erfolg mit aller Beruhigung anvertrauen. Glauben Sie mir, daß ihn nicht umnsonst die ersten wie die letzten Capacitäten von Paris, die mit der Bühne zu thun haben, aufsuchen und beschäftigen, und man muß sich wohl auf ein Handwerk verstehen, das Einem 20,000 Franken jährlich abwirft, und so viel gewinnt Herr Porcher durch seine Arbeit.“

Es wird Niemanden befremden, wenn ich sage, daß mich diese Auskunft der Neuheit des Gegenstandes halber, dem gewiß die lokale Färbung nicht fehlt, interessirte, und den Wunsch in mir erregte, den vielbelobten „Meister in seiner Kunst“ mit all seinen Beziehungen näher kennen zu lernen. Bei der Mittheilsamkeit des Herrn Porcher war nichts leichter, als an dieses Ziel zu gelangen.

Schon nach wenigen Tagen war ich mit dem großen Claqueur auf so gutem Fuße, daß er mich nicht nur in alle Einzelheiten seines seltsamen Metiers einweihte, sondern sogar zu sich in sein Haus lud, wo er mir sein Tagebuch und manches schätzenswerthe Autograph zu zeigen versprach; Überhaupt erwies mir der Mann die außerordentlichste Zuvorkommenheit, als er bei mir eine Theilnahme für seine Laufbahn bemerkte, die ich ihm nach seinem Gutdünken auszulegen überließ. Herr Porcher setzte mir zunächst auf mein Begehren die Organisation der Claque auseinander.

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