Seite:Die Gartenlaube (1854) 356.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Blätter und Blüthen.

Die praktische Seite der Amerikaner. Es giebt wohl keinen praktischeren Menschen auf der weiten Gotteswelt, als den Nordamerikaner, und unser sächsischer Stamm hat Ursache, auf diesen Sprößling besonders in dieser Hinsicht stolz zu sein. Wir dürfen aber auch darin eben nichts Ungewöhnliches oder selbst Unerwartetes finden, denn aus der Mischung aller Racen hervorgegangen, mit einem Lande zur Entwickelung, das seinen Kräften vollen und freien Spielraum ließ, und eigentlich gar keine Grenzen für ihn hatte, weder für die Strebsamkeit seines Geistes, noch die, dem Amerikaner eigene Wanderlust, waren und sind gerade ihm alle jene Vortheile gegönnt, die wir zum großen Theil im alten Vaterland entbehren. Mit der vollen Freiheit seiner Bewegungen und in einem noch wilden, kaum begonnenen Lande zwang ihn die Noth zuerst zu manchem Schritt, und der Ehrgeiz dabei, es dem Mutterland zuerst gleich-, dann zuvorzuthun, wie eine rasch aufwachsende Opposition im eigenen Vaterland, die drängte und trieb, den Nachbar zu überflügeln, und der wachsende Reichthum mit dem Verlangen nach mehr, half nach.

Keine Gesetze, nur scheinbar geschaffen, eine zahllose Beamtenwelt in Brot zu halten, beengen dort sein Streben; kein Zunftzwang, keine alten, hartnäckig aufrecht erhaltenen Gerechtsame und Monopole Einzelner oder ganzer Regierungen warfen ihm Hindernisse in den Weg, deren Beseitigung bei uns Rebellion genannt werden würde. Regierung und Natur erlauben ihm dort, praktisch zu sein – oder er erlaubt es sich vielmehr selbst, und das Resultat stellt sich heraus, daß er es ist.

Der Geist dazu liegt aber schon in dem Volke selber, und aus tausenden von Beispielen will ich hier ein einzelnes anführen. Ich stand einst vor einem Laden in Cincinnati, vor dessen Thüre sich ein junger Bursch müßig herumtrieb. Der Eigenthümer verwies es ihm und der Knabe antwortete erst trotzig, war dann still, ging fort und kehrte nach etwa zehn Minuten zurück.

„Sir“, wandte er sich dann an Jenen, nachdem er uns Beide erst einen Augenblick betrachtet hatte, „Ihr wollt, ich soll nicht müßig sein, so gebt mir Gelegenheit, etwas zu verdienen.“ – „Ich habe nichts für Dich zu thun“, lautete die Antwort. – „Das ist auch gar nicht nöthig“, sagte der Knabe ruhig, „ich will schon selber Beschäftigung finden, aber ich brauche ein Capital.“ Der Kaufmann lachte und frug wie viel. „Ich brauche einen halben Dollar“, sagte der Knabe ernsthaft, und das Glühen seines Gesichts und das Blitzen seines Auges verriethen, daß es ihm Ernst sei mit dem neuen Gedanken. „Und wenn ich Dir den nun gebe, wann wirst Du ihn mir zurückzahlen können?“ – „In spätestens vier Wochen.“ Der Knabe bekam dan Geld und vierzehn Tage später zahlte er es ehrlich nicht allein zurück, sondern hatte in der Zeit auch schon einen kleinen Handel mit allen möglichen billigen Gegenständen begonnen, in dem selbst Zeitungen und Bücher nicht fehlten, und der allerdings noch in einem sehr kleinen Korbe Raum hatte, aber mit der Zeit wuchs und dem jungen Burschen einen „Anfang in der Welt“ sicherte.

Mit den geringsten Mitteln und dem größten Selbstvertrauen beginnt der Amerikaner, wenn er sich einer Sache einmal ernst zuwendet, seine Laufbahn; kein Hinderniß schreckt ihn dabei ab, zehn Mal zurückgeworfen, fängt er zum elften Mal eben so guten Muths von Neuem an, und sollt’ es ihm gar nicht glücken, stirbt er zuletzt darüber, so geschieht das mit der festen Ueberzeugung, daß er doch noch in kurzer Zeit ein reicher Mann geworden.

Der Hinterwäldler z. B. und ich kenne da tausende von Beispielen, zieht mit der Axt in den Wald – er hat keinen Vierteldollar baar Geld in der Tasche, kein drittes Hemd, kein zweites Paar Schuhe und beginnt den Grund zu der großartigsten Farm. Die Axt aber ist ihm auch Alles, mit ihr baut er sich sein Haus, stellt seine Fenz oder Umzäunung her, ja arbeitet sich sein ganzen Ackergeräth selber damit, Pflug und Ochsenjoch und selbst den einfachen Wagen, den er im Walde braucht.

Eben so praktisch ist der Handwerker – sein Handwerkszeug ist das vortrefflichste der Welt, sei es ein Zimmermann oder Tischler, Bäcker, Schuster, Sattler oder wie er heißen mag, und so hartnäckig der Deutsche besonders im Anfang an dem selber mitgebrachten Handwerkszeuge hängt, weil er sich nun einmal eingeredet hat, daß es wirklich das beste sei, wirft er es doch zuletzt in die Ecke, weil er sonst mit dem Amerikaner nicht concurriren kann.

Dabei weiß sich der Amerikaner, wozu ihn aber das wilde, früher von allen Hülfsmitteln entblößte Land des Westens gebracht, in Allem zu helfen; er macht Alles selber und mit den einfachsten Instrumenten, während der im alten Vaterland Auferzogene auch für jede verschiedene Beschäftigung nicht allein einen verschiedenen Handwerker oder Arbeiter, sondern auch verschiedenes Werkzeug verlangt. Eine charakteristische Anekdote hat der Amerikaner darüber selber.

Ein Farmer stellte zwei Arbeiter an, den einen, einen Amerikaner, ein paar Bäume zu fällen, später einen Steg über einen steilen Bach zu bauen und einen Irländer, einen Graben auszuwerfen und den dabei liegenden Weg von Erde frei zu schaufeln. Als er nach einiger Zeit zurückkommt, hat der Amerikaner die Stämme gefällt, sich selber dann einen Flaschenzug hergerichtet und sie allein über den Bach gezogen, dann Breter mit seiner Axt ausgespalten und den Steg fertig gemacht; der Ire dagegen seinen Graben ausgeworfen, die Erde aber auf dem Weg liegen gelassen. „Aber ich habe Dir doch gesagt, daß Du den Weg frei schaufeln solltest“, sagte ihm der Farmer.

„Frei schaufeln, Sirrah“, erwiedert ihm der Irländer, „ja wohl, aber wie sollt’ ich das machen? – Ich hatte ja nur einen Spaten.“

Die Yankees, d. h. die Bewohner der nordöstlichen Staaten der Union gelten dabei, selbst unter den Amerikanern, als die meist praktischen Menschen der Nation und sie sagen mit einem eigenthümlichen Stolz auf diese bevorzugten Kinder ihres Landes: „Setzt einen Yankee auf eine Insel mitten in’s Weltmeer und gebt ihm nur ein Federmesser und einen Haufen Schindeln, und er arbeitet sich an’s feste Land hinüber.“

Daß dieser sehr praktische Sinn, besonders der Yankees, aber auch ausarten kann, beweisen z. B. die aus Holz gedrehten Muskatnüsse, die hölzernen Schinken und die mit rohen Kartoffeln, rothem Flanell und Löschpapier gestopften „geräucherten Würste“ eben derselben.




Krieg und Seuchen. In 22 Kriegsjahren von 1793 bis 1813 zählte die englische Marine einen Verlust von 19,796 Getödteten und 79,180 Verwundeten durch Kriegswaffen, – hingegen in zwei Friedensjahren, 1848–49 durch Epidemien (Seuchen, wie Typhus, Cholera, gelbes Fieber etc.) 72,180 Todesfälle. – Im Durchschnitt gerechnet, sterben in England alljährlich 115,080 Menschen an Typhus und ähnlichen Volkskrankheiten, das heißt mit anderen Worten: an Vernachlässigung der einfachsten Gesundheitsmaßregeln, an Unreinlichkeit, schlechter Luft, stockender Feuchtigkeit, ungesunden Wohnungen und dergl. mehr.




Der Bulgarier. Die Engländer und Franzosen sind jetzt in und um Varna, in Bulgarien, deren Bevölkerung zum ersten Male civilisirte Menschen anstaunt. Der Bulgarier, wie er sich mit seinem Ochsenkarren dem Lager nähert, um seine Dienste anzubieten, ist ein starker, wohlgewachsener, schöner Kerl, mit fein geschnittenem Profil und schwarzen Augen, aber zerlumpt und mit dem Stempel der Verwahrlosung und Knechtschaft gebrandmarkt. Nur scheu wagt sich sein niedergedrückter Blick unter der schwarzen Schaffellkappe hervor. Das Gesicht steckt zum Theil in einem schmutzigen Labyrinthe von Bart, dem niemals ein Rassirmesser Schranken anwies. Die braune, grobe Jacke hängt locker um seinen Oberkörper, aus der eine bloße, beinahe schwarzgebrannte Brust sich breit hervorthut. Statt des Hemdes trägt er ein langes Stück Zeug, das in der Taille von einer Leibbinde gehalten wird. In letzterer stecken ein Yataghan (großes Messer) und ein Pfeifenrohr von Schilf. Weite Beinkleider ziehen sich unter den Knieen zusammen, weiter unten Lumpen von Lumpen und Stricken um die Beine gebunden. Man sieht ihm an, daß es in seinem Geiste eben so wüst ist, wie umher in seinem Lande. Man rechnet die Bulgarier zu den Christen, ihre Religion besteht aber in Zauberglauben, Amuletten, Besprechungen und dem Glauben an den speciellen Dorfheiligen. Er fürchtet in dem Türken seinen vom Himmel bestimmten Meister, hofft aber auf den Russen, der, wie man ihm eingeimpft, von Gott berufen ist, ihn zu erlösen. Sein ganzer Reichthum ist diese elende Ochsenkarre, neben der er viele Meilen weit her getrampelt kam, um Geld zu verdienen. Er bekömmt von dem englischen Commissariat für seine, seiner magern Ochsen und seines Karren Dienst täglich drei Schillinge (einen Thaler) und kann nicht begreifen, wie seine Dienste auf einmal zu so hohem Werthe gekommen. Er lebt von elendem schwarzen Brot und Reis in Oel gekocht, gewürzt mit Knoblauch, dessen Geruch sein ganzes Wesen wie eine Festung umgiebt, die ohne Tödtung des Geruchssinns keine Macht so leicht einnehmen kann. In seinen stolzesten Momenten trinkt er Fusel oder „Raki,“ einen Landwein, dessen Name schon im Halse kratzt. Grüneberger soll Honig dagegen sein. Vergebens sucht man in dem Bulgarier nach den Spuren seiner Ahnen, der alten Thracier und römischen Legionen, von denen er abstammt. Der bulgarische Bauer ist das vollendetste Produkt eines verthierten Menschen. Wenn er so, niedergeschlagen, mit herabhängendem Kopfe, träge und schwer neben seinen Ochsen hinstolpert, muß das härteste Herz Mitleid ergreifen über diese dumpfe, stumpfe, stumme Niedertracht. Was die Engländer und Franzosen auch vor seinen Augen thun, er staunt zum ersten Male Civilisation darin an. Die regelmäßige Uhr des Dienstes, die Art, wie sie sich amusiren, Gänse, Enten und Fische in dem großen See hinter Varna schießen, stechen und angeln, wie sie waschen, rasiren, spielen, trinken und überhaupt leben und leben lassen – ist ihm die erste dämmernde Morgenröthe der Civilisation vom Westen, die einst vor Jahrtausenden auch über sein verwahrlos’tes Land vom Osten nach Westen schritt. Die englisch-französische Expedition ist auch bei aller bisherigen Faulheit der Politik, die dahinter zögert und lauert, eine große Mission der Bildung. Der Bulgarier, der Rajah lernt zum ersten Male sein Haupt erheben, der Türke, bisher in seinem bornirten Glauben der von Allah berufene Herrscher und Höchste des Ostens, lernt sich ducken unter den Sitten und Gebräuchen christlicher Missionäre des Westens, die alle seine Macht und Herrlichkeit spielend zusammenbrechen könnten und ihn in Wissen und Können chimborassohoch überragen. Die Christen der Türkei lernen sich aufrecht tragen, der Türke verliert den Halt für seine Vorrechte. Die Racen, Klassen und Sekten finden in der Civilisation einen Punkt der Gemeinsamkeit. Die Verschmelzung dieser Unterschiede in Bildung und Arbeit bildet eine stärkere Mauer gegen das Eindringen asiatischer Barbaren, als alle Siege mit Waffen.




Literarisches. Gott sei Dank, mit der deutschen Literatur wird sich’s wohl wieder machen! Die Rettung kömmt abermals aus Weimar, von wo einst Schiller, Goethe, Herder, Wieland etc. etc. ihre Meisterwerke veröffentlichten. Dort kündigt nämlich eine Buchhandlung eine „Wohlfeile Unterhaltungs-Bibliothek“, das Bändchen zu 5 Ngr. an, ein Unternehmen, wie sie sagt, was vor jedem andern derartigen einen Vorzug dadurch habe, weil damit die Herausgabe von Ritter-, Räuber- und Geistergeschichten verbunden sei, die von einem großen Theile des leselustigen Publikums sehr gern gelesen würden und seit Jahren im Buchhandel fehlten. – Das heißt doch einem längst gefühlten Bedürfniß abhelfen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_356.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)