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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Ein Besuch in Bethanien.
Die Rosen sterben und die Schmerzen sterben,
Und Alles stirbt. – 
M. Ant. Niendorf. 

In einem abgelegenen, stillen Theile des geräuschvollen Berlins, auf dem köpnicker Felde, wo noch innerhalb der Ringmauern Ackerbau getrieben wird und nur erst die Linien gezogen sind für die künftige Ausdehnung der Stadt, die, wie ein ewig wachsender Riese, ihre kolossalen Glieder immer weiter und weiter streckt, – dort erhebt sich auf freiem luftigen Gebiete das Krankenhaus Bethanien. Es hat seinen Namen erhalten nach jener Stätte des Orients, nahe der „Tochter Zions“, an dem Abhange eines mit Oliven besetzten Hügels, wo Lazarus durch Jesum Christum aus der Nacht des Todes erweckt wurde.

Trotz der vielen Anlagen und Bauten, welche in letzter Zeit auf den vor fünf Jahren noch unbewohnten Feldern emporwuchsen, herrscht noch fast die Ruhe des Landlebens; der verworrene Lärm der Straßen dringt nur gedämpft hierher, die Schatten der Häuser fallen erst über den großen Platz, wenn die Sonne dem Untergange nahe ist und freie frische Luft weht von der Spree und den köpnicker Haiden über die niedrigen Ringmauern. Es ist hier die geeignetste Stelle für ein Asyl leidender Menschen, welche Ruhe, Luft und Licht bedürfen.

Bethanien liegt auf einem quadratischen Raum von etwa 1400 Geviertruthen Flächeninhalt. Eine steinerne Mauer umgiebt den großen Platz, läßt aber die Vorderseite des Gebäudes frei, welche dem köpnicker Thore zugekehrt ist. Diese Front hat in der Mitte den Haupteingang, ein Portal im gothischen Style, auf jeder Seite einen spitzen, das ganze Gebäude weit überragenden Thurm. Die Länge des dreistöckigen Hauptgebäudes enthält auf jeder Seite des Portals sechs Fenster, hieran schließen sich an beiden Enden rechtwinklig die gleichen Seitenflügel, welche auf die Stadt gerichtet sind, gleiche Höhe mit der Front haben, dieselben aber um die doppelte Länge übertreffen. Wenn man die Anstalt von der Brücke des neuen Kanals betrachtet, erblickt man die Rückseite der Mittelfront mit den von drüben herüberragenden Thürmen des Portals und die mächtig langen Flügel, welche nach zwei Seiten 90 Fenster in dreifacher Reihe öffnen. Die nächste Umgebung bilden einzeln stehende Gebäude, die Wohnungen der Oberin, der Aerzte und Geistlichen enthaltend, ein Leichenhaus, welches noch nicht ganz vollendet ist, und ein großer Garten mit frisch gelegtem Rasen und jungen durch Pfähle gestützten Bäumchen, welche durch ihr gedeihliches Aussehen den künftigen Lohn für die Mühe versprechen, mit der man dem unfruchtbaren Boden erquickendes Grün und schattiges Laub abzugewinnen sucht.

Das Krankenhaus Bethanien in Berlin.

Die Anstalt besteht jetzt im achten Jahre, und wurde vom Könige gegründet, welcher 50,000 Thaler zu ihrem Bau bewilligte und ihr noch fortgesetzte Unterstützungen zu Theil werden läßt; durch milde Beiträge und Stiftungen, so wie durch wiederholte Sammlungen sucht sie die Mittel zu einer größeren Wirksamkeit zu erlangen. Obgleich für 300 Kranke eingerichtet, vermag sie jetzt nur 120 aufzunehmen. Der König verfügt über 60 Krankenbetten und für die Stadt stehen 20 zur Verwendung, andere werden durch die Beisteuer der Johanniter in der Mark oder einzelner Privatpersonen unterhalten. Die Verpflegten zerfallen in drei Klassen, je nach den monatlichen Kurgeldern von 9, 15 oder 40 Thalern. – Ein großer Vortheil ist den bemittelteren Herrschaften gewährt, indem dieselben für einen jährlichen Beitrag von zwei Thalern jederzeit ihre erkrankten Dienstboten zur Heilung einliefern können.

Im Publikum hört man zuweilen die Meinung aussprechen, dieses Krankenhaus mache einen zu großen Aufwand von Raum und Geldmitteln, welcher mit den erreichten Zwecken nicht in richtigem Verhältnisse stehe. Diese Meinung erhält allerdings Begründung, wenn man die kleine Anzahl Kranker, welche in dieser großartigen und kostbaren Anstalt verpflegt werden, mit der vielmal größeren vergleicht, welche die Charité für die gleichen Mittel aufnimmt. – Eine andere Stimme noch spricht sich gegen die ganze Organisation des Instituts aus und erklärt sie für pietistisch und krypto-katholisch. Indeß wittert die streng protestantische Richtung gleich in jedem Altarbilde, in jeder buntgedünchten Kirchenwand und in jeder Ordenseinrichtung den versteckten Katholicismus, und es läßt sich vermuthen, daß Bethanien nicht mehr des pietistischen Geistes enthalte, als alles Andre, was sich heut zu Tage der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_349.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)