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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

für die Pforte von ungleich größerem Werth, als alle die unregelmäßigen Reiterschwärme, welche einzelne asiatische Volksstämme jetzt stellen, mag auch das Aussehen letzterer noch so kriegerisch und für das Auge bestechend sein. Auch die Albanesen, so muthige Kämpfer und geschickte Schützen dieselben sind, haben lange nicht den militärischen Werth, wie man ihrem äußeren Ansehen nach wohl glauben sollte, da ihnen jegliche Zucht und Ordnung gänzlich fehlt. Von allen Truppen, welche der Sultan jetzt unter seine Fahne gerufen hat, sind diese Albanesen die zuchtlosesten und verwildertsten und verüben die meisten Excesse aller Art. Werden die Albanesen übrigens unter das reguläre Militär gesteckt, und die Energie von Omer Pascha hat dies eingeführt, so sollen sich bei strenger Zucht die besten Soldaten von der Welt aus ihnen heranbilden lassen. Namentlich wurden uns die Albanesen, die man bei der regulären türkischen Artillerie eingestellt hatte, von den Artillerie-Offizieren als ihre besten und zuverlässigsten Soldaten ungemein gerühmt. Sie sollen sich durch Schnelligkeit, große Körperkraft und scharfen Blick beim Zielen vorzugsweise auszeichnen, Eigenschaften[WS 1], die freilich für Artilleristen, auch von einem besondern Werthe sind.

Die Kriegslust aller hier versammelten Truppen war ungemein groß, und sie konnten es kaum erwarten, daß die Kriegserklärung gegen Rußland bald erfolgen würde. „Giebt es keine Neuigkeiten? Man sagt, es wird Krieg geben, Herr!“ war eine Frage, welche die türkischen Offiziere durch den Dollmetscher gar unzählige Mal an uns richten ließen. Die regulären Truppen waren gegen meine Begleiter, die ihnen als englische Offiziere vorgestellt waren, ungemein respektvoll, und machten ihnen stets die gleichen militärischen Ehrenbezeigungen, wie ihren eigenen Vorgesetzten, von den irregulären aber wurden uns bisweilen einzelne Verwünschungen zugerufen, oder ein halblautes, ingrimmiges „Giaur“ kam ihnen zwischen die Lippen, wenn wir vorbeigingen. Ein Arnaut machte sich den Spaß, ganz unversehens seine scharf geladene Flinte uns über die Zöpfe abzuschießen, als wir vor den Thoren spazieren gingen, vermuthlich um uns zu erschrecken. Ein türkischer, höherer Offizier hatte dies aber gesehen und sandte sogleich zwei Gensd’armen dem Arnauten nach, die ihn arretiren mußten. Wie in der Türkei alle gerichtlichen Proceduren mit äußerster Schnelligkeit abgemacht werden, so geschah dies auch jetzt. Der Schuldige wurde zu fünfzig Stockschlägen verurtheilt, mußte sich sogleich niederlegen, erhielt seine fünfzig Hiebe aufgezählt, ohne daß er auch nur eine Miene dabei verzog, und konnte sich dann seiner Wege scheeren.

Außer der Besichtigung der verschiedenen Truppen und den Ausflügen in die Umgegend, so viel es das Wetter erlaubte, was gerade, während ich in Varna war, sich ziemlich schlecht gestaltete, bot der Ort selbst verzweifelt wenig Interessantes dar. Mehrere Stunden des Tages verbrachten wir in Begleitung unseres Wirthes und einiger türkischer Offiziere in einem echt türkischen Kaffeehaus, und es war das erste Mal, daß ich ein solches betrat, denn zufällig war dies in Schumla und Rustschuk nicht geschehen. Wir besuchten besonders häufig ein kleines Kaffeehaus, nicht weit vom Hafen gelegen, was von einem alten freundlichen Türken mit einem gutmüthigen, dabei aber doch schlauem Gesichte verwaltet wurde. Das Mobiliar dieses Kaffeehauses, welches auch keine Glasscheiben, sondern nur leere Fensteröffnungen hatte, zeichnete sich durch große Einfachheit aus und bestand aus mehreren herumlaufenden breiten, aber sehr niedern Divans, und einigen kleinen Tischen. Von Stühlen, Billards, oder gar Zeitungen war keine Spur zu finden, denn der echte Türke kennt alle dergleichen Bedürfnisse nicht.

Das erste war nun stets, wenn wir hereinkamen, daß der „Tschotschuck“ (Kellner) des Kaffeehauses, übrigens ein alter, einäugiger Bursche, der so und so viel Jahre schon beim Militär gedient hatte, Jedem von uns die Spitze einer schon angerauchten „Nargile“ (Wasserpfeife) präsentirte. Eine solche Wasserpfeife besteht aus einer plumpen Flasche mit Wasser, die in einen engen Hals zuläuft, unten mit einem kleinen Pfeifenkopf, in dem der fein geschnittene Taback gestopft wird, versehen. Von der Mitte der Flasche läuft ein mehrere Klafter langes, elastisches Rohr aus, so daß der Tabacksrauch erst immer durch das Wasser muß, und so ganz abgekühlt in den Mund des Rauchern gelangt. Solche „Nargiles“ sind theils für einen Raucher bestimmt, und haben dann nur kleine Köpfe, theils sind sie so groß, daß vier, sechs, acht Personen zu gleicher Zeit daraus rauchen, oder den Dampf trinken können, wie die Türken es nennen.

So wie nun ein Gast in das Kaffeehaus kommt, nimmt der Kaffeesieder ein sehr kleines offenes, kupfernes Kasserol mit einem langen Stiel versehen, gießt aus einer großen Kupferkanne kochendes Wasser hinein, wirft dann zwei kleine Löffelchen voll ganz fein zerriebnen Kaffee, der in verschlossenen Büchsen gehalten wird, in dies Wasser und hält das Kasserol nun über ein flammendes kleines Feuer auf einem Herde in der Ecke des Gemaches. So wie das Wasser dreimal aufgewallt ist, was augenblicklich geschehen, ist der Kaffee fertig und wird in einer Tasse, die auf metallener Untersatzchaale ruht, dem Gaste mit einem „Sei willkommen“ überreicht. So wird jede einzelne Tasse Kaffee besonders und vor den Augen des Gastes bereitet, doch geht das ganze Geschäft ungemein rasch vor sich. Der Kaffee ist sehr wohlfeil und kostet die Tasse nur einige Paras, die man beim Weggehen von selbst auf einen Polster legt. Für die Pfeife giebt man dem Aufwärter ebenfalls einige Paras als Trinkgeld. Von diesen Kaffeestuben, großen wie kleinen, gab es in Varna eine unzählige Menge und doch waren alle schon während des ganzen Tages fast immer sehr besucht. Sie gehören nebst den Bädern zu den einzigen öffentlichen Orten, welche die Türken zu besuchen pflegen und in denen sie oft einen großen Theil ihrer vielen müßigen Zeit verbringen. Allzu große Redelust entwickeln die Gäste in diesen Kaffeehäusern freilich nicht, doch war bisweilen die Unterhaltung ziemlich lebendig, obgleich sie stets in dem ruhigen gemessenen Ton geführt wurde, der den Türken so sehr eigen ist. An italienischen und griechischen Schenken und Restaurationen, für Gäste jeglichen Standes berechnet, war übrigens in Varna, als einer ziemlich belebten Hafenstadt, kein Mangel, obgleich sich auch das vornehmste Lokal dieser Art nicht über die Mittelmäßigkeit erhob und besonders hinsichtlich der Reinlichkeit auch Vieles zu wünschen übrig ließ. Dafür waren aber die Preise, die man uns als Fremde abforderte, so hoch, daß wir bequem in der elegantesten pariser Restauration dafür hätten essen können.

Wir gaben einigen türkischen Offizieren ein Mittagsessen nach französischer Weise zubereitet, und obgleich das Essen nur sehr mäßig war, und nur aus fünf bis sechs Gerichten bestand, so kostete das Couvert doch, außer dem Wein, einen Dukaten. Ueberhaupt ist eine Reise in Bulgarien eine ziemlich theure Sache, obschon Manches freilich wieder sehr wohlfeil ist, und man wird Alles in Allem zusammengerechnet selbst in England bedeutend billiger reisen wie gerade in diesem Lande.

Was unsere Aufmerksamkeit außer den Truppen auch besonders in Varna auf sich zog, war das Leben und Treiben der türkischen Frauen. Es reizte unsere Neugierde sehr, womöglich Eine dieser dicht vermummten Gestalten, deren wir in kleinen oder größeren Trupps häufig auf den Straßen begegneten, wenn sie sich in die Bäder begaben, auch ohne Schleier zu sehen, doch wollte uns dies, trotzdem daß wir zu List, ja selbst Bestechung unsere Zuflucht nahmen, nie gelingen. Auch der Dollmetscher Stephan-Gregorio, der sonst, wenn er nur Aussicht hatte Geld zu verdienen, und so leicht vor nichts zurückschreckte, wollte sich in eine Intrigue gegen die wachsame Eifersucht der Türken nicht einlassen und meinte, es sei leichter und ungefährlicher dem Padischah an dem Barte zu zupfen, wie in den Harem eines vornehmen Türken einzudringen. Wie aber gerade das Verbotene so ungemein anlockt, so war auch bei meinem jungen englischen Gefährten das Verlangen immer dringender, Eine jener schönen Türkinnen, deren Reize er sich in seiner Phantasie wahrscheinlich viel bezaubernder ausmalte, wie sie in Wirklichkeit waren, von Angesicht zu Angesicht zu schauen.

Bulgarische und griechische Mädchen aller Stände und darunter wirkliche Schönheiten hatten wir in Varna häufig gesehen, und dem Anschein nach waren Manche derselben von einer allzuspröden Zurückhaltung ziemlich entfernt, und hätten leicht zu einer Liebesintrigue sich bewegen lassen, er aber hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, einer Türkin und keiner andern die Gefühle seines Herzens zu offenbaren. Besonders eine sehr schön gewachsene, schlanke Frau, soviel man trotz des dichten Schleiers, der sie umwallte, erkennen konnte, die von einem alten widerlichen Verschnittenen bewacht sich öfters in einem Garten, nahe unserer Wohnung, sehen ließ, hatte seine Neugierde, oder wenn man es auch so nennen will, Neigung erweckt. Hat ein echter Engländer sich aber einmal erst eine Sache, mag sie nun so gut oder so

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Eigengenschaften
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_341.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)