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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

denn ich bin im Stande, Alles, Alles zu hören! Louise, nicht um Dich zu rechtfertigen fordere ich, daß Du redest, denn ich habe kein Recht, Dir Vorwürfe zu machen; aber um meinen qualvollen Zustand des Zweifelns und Hoffens zu beenden, wirst Du reden. Ich bin eine Kreatur Deines großmüthigen Vaters, der mir die Tochter wie sein Vermögen anvertraute – ich habe seine Kapitale redlich verwaltet, und darüber werde ich ihm Rechenschaft ablegen; ob ich aber Deinem Herzen genügt, wirst Du entscheiden müssen, denn nur Du kennst es. Warum zitterst Du vor Joseph, der als Waisenknabe Dein väterliches Haus betrat? Fürchte nicht, daß ich meine Stellung verkenne, denn was der Dankbarkeit unmöglich sein sollte, wird mein Ehrgefühl vollbringen. Darum antworte mir offen: hast Du in meiner Abwesenheit das Haus verlassen ?“

„Ja, ich war ausgegangen, Joseph,“ antwortete sie mit unsicherer Stimme, obgleich ihr bleiches Gesicht ruhig blieb. „Wenn ich es im ersten Augenblicke leugnete, so geschah es aus Rücksicht für Deinen aufgeregten Zustand, den ich vorübergehen lassen wollte.“

Ein kalter Schauder durchbebte den armen Joseph.

„Der Advokat hat Recht!“ dachte er. „Nur aus Mitleid hat sie bisher geschwiegen, und nur aus Mitleid sprach sie jetzt diese Lüge aus. Louise,“ sagte er laut, „seit meiner Rückkehr von der letzten Reise hat sich der Argwohn meines Herzens bemächtigt, und ich gestehe offen, daß ich ihn mit aller Kraft, obgleich vergebens, bekämpft habe. Ende diesen Kampf, der mich aufreibt, gieb mir Gewißheit, und bekenne mir Alles, was in Deinem Herzen vorgeht.“

Die junge Frau sah auf, und eine leichte Röthe verbreitete sich über ihre Wangen.

„Joseph, so hast Du mich mit unwürdigem Verdachte verfolgt?“ fragte sie.

„Nein, dessen ist Gott mein Zeuge!“

„Was ist heute geschehen? Woher kommt Deine Aufregung?“

„Der Zufall führte mich Dir an einem Orte entgegen, wo ich Dich nicht vermuthete. Du hast mich gesehen –“

„Ich?“ rief sie aus. „Doch Du glaubst mir ja nicht mehr,“ sagte sie schmerzlich hinzu, „Du kannst mir vielleicht nicht mehr glauben, weil der Schein gegen mich ist. Ich habe diesen Morgen einen Gang zu unserm Arzte unternommen – er war nicht zu Hause, und so kehrte ich zurück.“

„Du warst nur bei dem Doctor?“

„Nur bei ihm. Aber frage mich nicht weiter – vertraue mir nur noch kurze Zeit, und Du wirst das kleine Geheimniß erfahren, das ich jetzt zu bewahren gezwungen bin. Joseph, das Vertrauen ist eine Tugend der Liebe – bewahre es mir, daß ich nicht an Deiner Liebe zweifeln muß, denn dieser Zweifel wäre mein Tod. In diesem Augenblicke bin ich so aufgeregt, daß ich mich nicht vertheidigen kann; aber ich bin kein arglistiges Weib, und daß ich Dich liebe mußt Du wissen, wenn Du die Vergangenheit bedenkst. Das ist mein Bekenntniß, mehr kann ich Dir nicht sagen.“

„Louise, was forderst Du?“ rief Joseph. „Umgeben von Zweifeln, die den Glauben des Mannes erschüttern und seine Eifersucht erregen müssen, soll ich Dir vertrauen? Louise, ich bin nicht mehr der Erste, nicht mehr der Einzige in Deinem Herzen.“

„Mein Gott, Du zweifelst an meiner Liebe?“ rief sie unter Thränen.

„Ich verberge Dir keinen meiner Gedanken, und Du –“

„Sprich nicht weiter, Joseph!“ rief sie hastig und in einer furchtbaren Angst. „Sage mir nur jetzt nichts – wir müssen Beide schweigen, wenn wir nicht muthwillig unser Glück zerstören wollen.“

Ein Diener trat ein und meldete, daß das Mittagsessen aufgetragen sei.

„Ich habe gegessen!“ sagte Joseph.

„Man warte nicht auf mich!“ fügte Louise hinzu.

Verwundert entfernte sich der Diener, indem er zugleich einen mitleidigen Blick auf seinen Herrn warf.

„Louise,“ wandte sich Joseph zu seiner Gattin, „Dir fehlt der Muth, mir mündlich eine Eröffnung zu machen von der Dein zukünftiges Glück und meine Ehre abhangen – ich erwarte einen Brief von Dir. Du wirst dem Papiere um so leichter Alles anvertrauen können, wenn der Anblick meiner Person Dein Mitleid nicht mehr rege macht.“

Nach diesen Worten ging er in sein Arbeitszimmer.

„Was ist das? Was ist das?“ flüsterte Louise. „Diese ängstlichen Zweifel dürfen nicht länger mein Herz zerfleischen, und noch heute soll der Doctor Alles erfahren, damit er dem traurigen Zustande ein Ende mache. Ich will Nichts, Nichts verhehlen; ehe ich länger ein solches Leben fortführe, will ich lieber der traurigsten Gewißheit zum Opfer fallen.“

Die junge Frau setzte sich an ihren Schreibtisch, ergriff die Feder, und begann zu schreiben. Nach einer Stunde rief sie ihre Kammerfrau.

„Diesen Brief besorgen Sie selbst sogleich zum Doctor Friedland. Tragen Sie Sorge, daß hier im Hause Niemand erfährt, wohin Sie gehen. Sie werden so rasch als möglich zurückkehren.“


VII.

Denselben Abend noch erschien der Doctor in dem Hause des Kaufmanns. Er fragte nach Madame Raimund, und man führte ihn in ihr Zimmer. Bei seinem Eintritte erhob sich die junge Frau von dem Sopha, sie trocknete rasch ihre Thränen, und streckte dem Arzte die Hand entgegen.

„Ich komme selbst, um Ihnen die Antwort auf Ihren Brief zu bringen,“ sagte er in einem freundlichen Ernste. „Unsere Angelegenheit ist so wichtig und erfordert eine so zarte Behandlung, daß ich das Schreiben so oft vermeide, als nur möglich.“

Der Arzt führte Madame Raimund zu dem Sopha zurück und ließ sich neben ihr nieder. Dann ergriff er traulich ihre Hand und sagte: „Sie haben mich aufgefordert, der Arzt Ihrer Ehre zu sein – Louise Cordes hat Ansprüche auf meine väterliche Liebe, und ich stehe nicht einen Augenblick an, Ihrem Wunsche zu willfahren.“

Louise erröthete und begann zu weinen.

„Doctor,“ stammelte sie, verwirrt vor Beschämung, „ich, muß Ihnen mein Herz ausschütten! Ich bin keine Sünderin, die durch eine reuige Beichte ihre Schuld sühnen will – ich habe Nichts verbrochen, meine Seele ist rein, und mein Gewissen klagt mich nicht an; aber ich bedarf eines rathenden Freundes, der kräftigen Hand eines aufrichtigen Beschützers.“

„Ich verspreche, Ihnen Beides zu sein.“

„Mein Brief enthielt einige schwache Andeutungen von dem, was Sie wissen müssen, Doctor. Ach, fürchten Sie nicht, der Mitwisser eines gefährlichen Geheimnisses zu werden!“ rief sie leise aus, und indem sie ihr Gesicht mit dem weißen Batisttuche bedeckte, um die aufsteigende Röthe der Schaam und Verlegenheit zu verhüllen.

„Nein, das fürchte ich nicht, meine arme Louise, denn ich müßte Sie nicht kennen, um so etwas vorauszusetzen. Man hat es gewagt, Ihr Glück, Ihre Ehre anzutasten – –“

„Wie, Sie wissen? “ fuhr Louise überrascht auf.

„Ich weiß bereits Alles,“ sagte lächelnd der Arzt, „und ich freue mich, Ihnen die Erzählung Ihrer Leiden ersparen zu können.“

Plötzlich erbleichte die junge Frau.

„Wer hat es Ihnen gesagt?“ flüsterte sie mit tonloser Stimme. „Vielleicht mein Mann?“

„Nein, nein: Joseph kennt vielleicht nicht einmal die Gefahr, die sein häusliches Glück bedroht, und wir werden sie abgewendet haben, ehe er sie ahnt.“

„Doctor, er kennt sie bereits!“ rief Louise.

„Wie?“ fragte der Greis erschreckt. „Sollten Sie eine Unvorsichtigkeit begangen haben?“

Louise erzählte Joseph’s Rückkehr und ihre Unterredung mit ihm.

„Mein würdiger Freund,“ schloß sie mit bewegter Stimme, „der Gedanke, Julius Morel angehört und seine Briefe nicht ungelesen zurückgesendet zu haben, lastet wie ein furchtbares Verbrechen auf meiner Seele. Von einer mir unerklärlichen Angst gefoltert, leugnete ich, daß ich ohne Wissen meines Mannes in Ihrem Hause gewesen bin, denn mir ist, als ob der leiseste Argwohn von seiner Seite mein ganzes Lebensglück zertrümmern müßte. Ich bin unschuldig, Doctor, und dennoch kann ich nicht ganz offen gegen ihn sein. Daß er nie die Verirrung seines Jugendfreundes erfahren sollte, war mein eifrigstes Bemühen, es widerstrebte meinem

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