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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

suchen. Ein Pferd war glücklicher Weise da geblieben. Es war zu alt, um fortzulaufen.

„Nachdem der Prairiehund verzehrt war, hörten wir bald darauf ein Schnaufen hinter unserm Lager. Wir sahen das Pferd sich auf die Hinterbeine aufrichten und dann auf die Seite sinken.

Das Beil hatte seine Stirn getroffen. Eine Stunde darauf hatten meine hungrigen Kameraden sich voll gegessen und sanken in tiefen Schlummer. Brutus und ich holten uns auch unsern Theil. Es schien mir die köstlichste Mahlzeit, die ich je genossen hatte. Das erste Stück verschlang ich halb roh, fast ungeröstet. Dann überkam auch mich der Schlaf, der immer nach solchem Exzeß folgt und ich überließ es Brutus, mich zu bewachen. Es gab indessen nichts zu bewachen, und wären in dieser Nacht Indianer gekommen, es wäre uns ganz recht gewesen, denn dann hätten wir ihnen ihre Jagdbeute abnehmen können. Es störte uns jedoch nichts.

„Das Pferdefleisch unterhielt uns beinahe eine Woche lang, ging aber zuletzt auch aus. Wir zogen immer vorwärts, trafen aber kein Wild. An dem Tage, als das Fleisch zu Ende ging, kamen wir mit der gewöhnlichen traurigen Nachricht zusammen, das nichts geschossen war, nicht einmal ein Prairiehund oder eine Schlange. Ich sah Joe Winn, einen meiner Jagdgefährten, einen großen, starken Mann einen begierigen Blick auf Brutus richten, und der Hund kroch augenblicklich an meine Seite und legte sich nieder.

„Am nächsten Abend machte Winn den Vorschlag, daß Brutus geschlachtet werden solle.

„Ich griff nach meiner Büchse und schwor, daß der Erste, der die Hand an den Hund lege, des Todes sein solle. Keiner regte sich, denn sie wußten, wie lieb ich den Hund hatte. Die ganze Zeit über sah der Hund mich starr an, als ob er sein Geschick in meinen Augen lesen wolle. Als er sah, daß ich nach der Büchse griff, schien er meinen Entschluß zu wissen, denn er wedelte mit dem Schwanze und legte sich dann auf seinen gewöhnlichen Ruheplatz.

„Meine Kameraden drangen aber darauf mit so viel Vorstellungen in mich, daß ich endlich einwilligte, daß der Hund getödtet werden solle.

„Als ich Joe Winn das Beil nehmen sah, ging ich aus dem Lager fort, um nicht das Ende meines treuen Freundes zu sehen. Ich wandte mich aber doch um, um ihm noch einen letzten Blick zuzusenden und sah, wie er mich sanft und bittend ansah, als wüßte er, was über ihn gesagt worden, und bäte mich, ihn zu schützen. Er regte sich dabei nicht von seinem Platze, sondern sah mich nur starr an. Ein Wink von mir und er wäre Winn an die Kehle gesprungen, aber er regte sich nicht. Ich wandte mich ab und hörte gleich darauf das Beil auf seinen Kopf niederfahren und diesen zerschmettern. Einen Augenblick darauf fühlte ich etwas an meinem Schenkel und sah den Hund meinen Fuß lecken. Das Blut strömte aus seiner Stirn, aber nach dem tödtlichen Schlag war er noch aufgesprungen und verendete zu den Füßen seines Herrn, um seine letzte Ergebenheit kund zu geben. Ich konnte es nicht mit ansehn. Ich weinte wie ein Kind.“

Hier bedeckte Wade sein Gesicht. Die Thränen traten ihm noch in die Augen und auch ich konnte den riesigen Mann nicht weinen sehen, ohne daß mir die Wangen dabei feucht wurden. Endlich fuhr er fort: „Als ich mich ausgeweint hatte, trat ich auf Joe Winn zu. Joe Winn, sagte ich, es war gut für Euch, daß meine Büchse mir nicht zur Hand war. Ich vergebe Euch, aber vergessen kann ich Euch diese That doch nicht, die mich des edelsten und treuesten Geschöpfes beraubte. Der arme Brutus! Sein letzter Blick hat mir seitdem immer auf der Jagd vorgeschwebt. Ich mußte ihn immer sehen, wie er mich zuletzt anblickte. Ihr kennt die Schrecken noch nicht, welche diese Jagd mit sich brachte, Phil, aber für mich war dieser Augenblick doch der furchtbarste.

„Mir wurde mein Antheil an dem Hunde zuertheilt, ich konnte es aber nicht essen. Ich trug es heimlich aus dem Lager und[WS 1] begrub es im Sande. Meine Thränen flossen darüber hin und ich fühlte mich trostlos verlassen. Meine Gefährten mußten mich dabei wohl belauscht haben, denn als ich am andern Morgen einen Blick auf die Stelle warf, sah ich, daß sie umgewühlt war. Auch dieser Rest des armen Brutus war von den Hungrigen verschlungen worden.

„Im Lauf des Tages verschwand jede Spur von dem Hundefleisch. Als daher am nächsten Abend wieder nichts geschossen war, entstand eine sehr ernste Berathung, was nun zu thun sei. Die Aussicht auf Wildpret war fast ganz verschwunden, die Rückkehr ebenso trostlos als das Weiterziehen. Alles war verzehrt, was das menschliche Leben erhalten konnte, da schlug Einer vor – ich weiß nicht mehr, wer es war, da wir wahrscheinlich Alle umkommen würden, sei es besser für die Uebrigen, daß Einer sich opfere, und daß kann die Rückkehr versucht würde. Der Vorschlag wurde mit nur einem mißfälligen Gemurre angenommen und beschlossen, daß man noch einen Tag die Jagd versuchen, und wenn auch diese ohne Erfolg bleibe, einen aus der Gesellschaft auswählen wolle, der sich entweder selbst tödten oder von Einem getödtet werden solle, den das Loos dazu bestimmte.

„Der nächste Tag verfloß wie gewöhnlich und wir kamen sämmtlich mißgestimmt und hoffnungslos in’s Lager zurück. Einstimmig und ohne ein Wort zu sagen, bildeten wir einen Kreis. Endlich brach einer das Stillschweigen und schlug vor, das das Loos in folgender Weise entscheiden solle: Es sollten zehn Stäbe von ungleicher Länge geschnitten und von Einem, dem die Augen verbunden worden, an die Erde gelegt werden. Jeder solle mit verbundenen Augen ziehen. Der den kürzesten Stock zog, sollte das Opfer, der den längsten zöge, der Vollstrecker sein.

„Dies wurde ausgeführt. Niemand sprach ein Wort dabei.

Man hörte nur den unsichern Schritt und den kurzen Athem jedes Einzelnen, als er mit verbundenen Augen an die Stelle geführt wurde. Endlich erfolgte die Entscheidung. Ich zog den längsten Stab und Joe Winn, der Mörder des Brutus, den kürzesten.

„Ich habe manche Hinrichtungen gesehen, und schon manchen Mann sterben sehen, Phil, aber solch Gemisch von tödtlicher Angst und Verzweiflung sah ich nie, wie dieser Mann sie kund gab, als das Loos ihn als Opfer bezeichnete. Es war der peinlichste Anblick, den ich je in meinem Leben hatte. Wir wandten uns sämmtlich unwillkürlich ab und erwarteten, daß der unglückliche Mann selbst die Weise angeben möge, in der er vom Leben scheiden wolle.

„Er stand von seinem Platze auf und sagte: „„Jungen, mir ist der kürzeste Stab zugefallen und –““ hier stockte seine Stimme vor Bewegung. Als er sah, daß wir unsere Gesichter abwandten, stieg in dem unglücklichen Manne plötzlich ein Hoffnungsstrahl auf. Im nächsten Augenblick faßte er mich beim Arm und wisperte mir zu, aber so, daß es Alle hören konnten, in dem jammervollsten, herzbrechenden Tone: „„O Wade, rette mich? Rette mich, Tom! Ich weiß, Du kannst es, wenn Du willst. Wenn Du es sagst, werden die Andern mich nicht tödten wollen. Ich weiß es, sie werden’s nicht. Sag’ es, lieber Tom, und ich will Alles für Dich thun. O Tom, schieß mich nicht todt! Schieß mich nur jetzt nicht todt. Wir können ja noch einen Tag ohne Nahrung zubringen. Ein Tag wird uns ja nicht so hart ankommen. Ich glaube sicher, wir finden morgen etwas. Du wirst etwas schießen, ich weiß es. Laß mich also nicht jetzt sterben. Ich kann jetzt nicht sterben. O, rette mich, Tom! Morgen will ich sterben, ohne ein Wort zu sagen. Ich habe Deinen Hund todtgeschlagen, Tom, aber die Andern haben mich dazu aufgehetzt. Du kannst sie darnach fragen, wenn Du willst. Wenn er noch am Leben wäre, sollte ihm jemand ein Haar krümmen. Rette mich, Tom, Du kannst, wenn Du nur ein Wort sagst. Willst Du’s thun, lieber Tom?““

„Dabei verschlang der Mann meine Hand mit Küssen. Ich fühle eine tiefe Verachtung gegen Feiglinge. Die Erwähnung des Brutus hatte mich vollends toll gemacht, aber mein besseren Gefühl und der starke Widerwille gegen das Vergießen von Menschenblut bei kaltem Blute gewannen das Uebergewicht, und indem ich mich zu meinen Kameraden umwandte, fragte ich sie, ob sie Winn bis morgen Abend leben lassen und ob wir’s noch einmal einen Tag mit der Jagd versuchen wollten. Das wurde angenommen, jedoch mit der Bedingung, daß, wenn es nöthig wäre, Winn das erste Opfer sein sollte.

Wir schliefen die Nacht so gut es anging und der Anbruch des Tages fand uns sämmtlich zur Jagd bereit. Wir gingen nach verschiedenen Richtungen aus, mit der Verabredung, daß wir uns mit Sonnenuntergang in demselben Lager treffen wollten.

„Mir war der Tag in fruchtlosem Suchen verstrichen, als sich mein Blick auf etwas richtete, was ihn für einen Augenblick ganz starr fesselte. Es war das köstlichste Schauspiel, das ich unter diesen Umständen genießen konnte. Ich sah im Sande die frische Spur eines großen Thieres. Mein Herz schlug hoch, indem ich meine Büchse unter den Arm nahm und mich zur Verfolgung anschickte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nnd
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_304.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)