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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Karl Gutzkow.

kurzgeschnittene Haar wieder einen milderen Ausdruck, als sie sonst wohl haben würde. Die Augen, aus hellem Blau und Grau zu einem eigenthümlichen Glanze gemischt, groß und schön geschnitten, doch fast zusammengedrängt durch die, in der außerordentlichen Kurzsichtigkeit des Blickes bedingte, Gewohnheit: die Augen halbzuzudrücken und gleichsam zu „blinzeln.“ Die Nase stark, trotzig, energisch, doch durchaus nicht derb, unschön. Zwischen dem kleinen blonden Schnurrbart und dem Napoleon’s-Kinn mit dem kecken „Henri-Quatre,“ der scharfgeschlossene Mund mit feinen, ironischen Zügen, mit kaustischen Linien umspielt. Der Ton des Gesichtes mehr erdbleich als frisch; doch nicht ungesund und nach dem was Gutzkow erfahren und gewirkt, nach dem, wie man sich ihn denken möchte: sieht er weit eher jünger als älter aus; der 43jährige Mann könnte noch recht gut für einen „Vierziger“ gelten. Seinem vielbewegten Leben und Wirken gegenüber, ist diese wohlerhaltene Kraft bestaunenswerth. Die Totalerscheinung des Mannes ist sofort bedeutend, vielleicht zu bedeutend, um auch sofort angenehm, wohlthuend zu sein; man muß sich erst darin zurecht finden; in den äußerlich scharfen Linien und Kanten erst nach und nach ihre weichen, schönen Wellenschwingungen herausfinden und fühlen; die Derbheit der Züge sich erst auflösen in der tief unter ihnen gleichsam versteckt liegenden Güte und Weichheit seiner tiefinnersten Natur; den spürend-prüfenden Blick aushalten, bis er zu etwas hingedrungen ist, was dem scharfen Prüfer Vertrauen und dann auch seinem Blicke einen ganz andern Ausdruck giebt; man muß auch ihn erst in Erregung sprechen oder ihn dramatisch vorlesen hören, um in seinem sonst herben, spröden, fast klanglosen Sprachton ein Schönes, Tiefes und elastisch Klangvolles zu finden. Kurz, man muß dieser merkwürdigen, freilich schwer beizukommenden Erscheinung die mannigfachste, allseitigste Aufmerksamkeit des Verstandes und Gefühles widmen, um sie nach ihrer wahren Bedeutung auffassen zu können. Die Einen traten nur mit dem Verstande, die Andern nur mit dem Gefühl zu ihr heran; Viele konnten sich aus ihrer Subjektivität nicht losmachen und wollten den Mann haben, wie er nach ihren Anforderungen sein sollte oder legten ihr Eigenes ihm zu; daher die so unendlich verschiedenen und die vielen so unendlich falschen Auffassungen, wonach er geschildert wurde.

„Nun rathe, wer das ist, lieber Karl,“ sagte die hübsche, liebenswürdige Frau zu dem Eingetretenen. Dieser trat dicht zu mir heran und beschaute mich mit freundlichem Blicke, dann sah er seine Frau heiter fragend an. Sie nannte meinen Namen.

„Also das sind Sie? Nun, herzlich willkommen,“ er reichte mir die Hand, „und nun lassen Sie sich einmal betrachten, wie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_301.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)