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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 26. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Das Haus am Meeresstrande.
Eine pommersche Geschichte von Oswald Tiedemann.
(Schluß.)

„Redet!“ befahl der Freiherr dem Kreuzwirth. – Dieser begann: „Es wird wohl kein Hehl nöthig sein, Alles zu sagen. – Es ist ja bekannt in der ganzen Umgegend und wohl darüber hinaus, daß ich eine Tochter hatte – Rosi – das schönste Mädchen – und was für ein traurig Ende es mit ihr nahm. Bevor es so weit kam – redete ich auch mit Euch, gnädiger Herr – aber Ihr sagtet damals: das wär’ Vaters Sache, der müßt’ aufpassen über die Kinder. – Ja, du lieber Himmel, in der Liebe aufpassen, das kriegen keine Aeltern fertig. – Dann sagtet Ihr mir auch, der Bauer erreiche das Ohr des Königs nicht. – Ich sah das wohl ein. – Aber der Junker hatte meiner Rosi die Ehe versprochen – ich war in meinem Recht – und doch hätt’ ich’s vielleicht in Berlin versucht – aber Gott sprach dazwischen – meine Rosi legte sich hin und kam zum Sterben. – An ihrem Bette da wachte ich – und dort des Claus Schilder’s Katharina. Sie war die Freundin meiner Tochter. – Man brachte Rosi auf den Kirchhof – da war aber das Kind – das kleine Wesen, das nicht umkommen durfte. – Ich konnt’ es nicht warten und hegen, hatte auch einen Haß gegen das kleine Geschöpf – fehlte doch die Mutter, die ich gar sehr geliebt. – Wohin damit? Ich sprach mit Katharina, die in Allem verschwiegen ist. – Wir riethen hin und her, endlich wurde beschlossen, das Kind einem Weibe zu übergeben, fünf Meilen von hier, das ich kannte – und dem die Sache auch willkommen war – arm, wie das Weib ist, konnte demselben die Sache nützen – ich setzte für das Kind etwas Gewisses für den Monat aus. – Später, da ging es aber mit meinem Ausschank schlecht. – Die Bauern zogen in andere Dörfer. – Mit meinem Sinne stand es auch gar übel – denn ich konnte Rosi nicht vergessen, die mir stets an die Hand gegangen war und die mir aller Orten fehlte. – Ich bin alt, gnädiger Herr – und da sehnt man sich gar sehr nach seinen Kindern. – Wie gesagt, die Geschichte ging mir im Kopf herum, mehr und mehr. – Zudem kam noch, daß letzten Sommer meine Felder durch Hagelschlag furchtbar gelitten hatten – die größte Noth kehrte bei mir ein – ich wußte gar nicht mehr, wo was zum Leben hernehmen – Haus und Hof waren verschuldet – das Weib vom Dorfe drüben jammerte auch für das Kind. – Mir ging es immer wie ein Messer durch’s Herz und mein Sinn wurde gar rachsüchtig gegen den Junker. –

„Wir trafen uns mehrmals, der Herr Junker und ich. Es drängte mich dann immer, mit ihm zu reden und ihm das Elend vorzuhalten, das über mich durch seine Schuld gekommen war. Denn er war daran Schuld, gewiß und wahrhaftig – die Bauern meinten, ich sei hoffärtig gewesen und habe es mit Fleiß mit dem Junker getrieben und gestattet, daß er mit Rosi verkehre. – Sie nannten mich keinen ehrlichen Kerl und blieben aus meiner Schenke. – Eines Tages nun, da hatte ich keine Ruhe im Haus – das Weib hatte mir wieder Nachricht gegeben von ihrer Noth – mein Haß stieg und stieg, daß ich manchmal gar sehr vor mir selbst fürchtete. – Eines Tags, ja, da lief ich von Haus und fort durch den Wald – Es war ein gewaltiges Unwetter im Anzuge, aber mich kümmerte das nicht. – Ich warf mich unter einen Baum, auf dem Wiesfleck, wo die Buchen und Eichen stehen. Nicht lange, da sah ich den Junker daherkommen, das Gewehr auf der Schulter, den Hund hinterher. – Heiß lief es mir über den Rücken. Ich stand auf und trat ihm, die Mütze in der Hand, entgegen.– „Guten Tag, Herr Junker!“ sprach ich. – „Guten Tag!“ – „Herr Junker, ich hätt’ Euch was zu sagen!“ – „Nun, so sprecht, aber rasch! Es wird gleich losgießen vom Himmel, ich will nach Hause!“ – Ich hielt dem Junker nun meine Noth vor und bat, daß er etwas thun sollte. – „Seid Ihr verrückt, Kreuzwirth!“ fuhr er mich an. „Mein Vater hält mich so knapp, daß ich kaum Pulver genug für die Jagd auftreiben kann, ich kann Euch nichts geben.“ –

Ich trat ihm in den Weg: „Aber Ihr seid verpflichtet, was zu thun!“ – „Verpflichtet, ich? Ihr habt wahrhaftig Zeit in’s Tollhaus, grauer Betrüger! Ist es ausgemacht, daß ich der Vater zu Rosi’s Kinde bin? Die Dirnen hier zu Land laufen von Einem zum Andern.“ – Das Blut schoß mir zu Kopfe, ich faßte den Junker beim Rockzipfel, hielt ihn zurück und sagte: „Herr Junker, meine Tochter ruht im Grabe, sie kann sich nur vor Gott vertheidigen, aber ich lasse sie nicht beschimpfen, von Niemand, am allerwenigsten von dem Schurken, der sie in das Grab gebracht!“ –

Der Junker schlug mich – Herr, ich hatte noch nie einen Schlag bekommen. Die Verzweiflung und die Wuth gaben mir Riesenkräfte – ich riß dem Junker das Gewehr von der Schulter, trat mehrere Schritte zurück – er liegt von der Kugel getroffen zu Boden. – Der Hund, der sich bis dahin ruhig verhalten, sprang jetzt wüthend auf mich zu und an meinen Hals – das Entsetzen über das Geschehene lähmte mich so, daß ich mich hätte ruhig erwürgen lassen. – In diesem Augenblicke kam Claus Schilder den Weg, er sah meine Gefahr und riß mit eiserner Faust den Hund von meiner Brust. Die Bestie wandte sich nun gegen ihn – Claus erschlug ihn mit einem starken Ast, den er in der Hand hielt. – Jetzt erst sah er den Junker am Boden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_297.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)